Bertram Dickerhof SJ, Januar 2020
Der 1. Januar ist in der katholischen Kirche der Gottesmutter Maria geweiht, eine sehr gute Wahl, wie ich finde. Wenn man die biblischen Texte naiv nimmt, d.h. so, wie sie dastehen, tritt dem Leser aus ihnen eine Frau entgegen, die mit unglaublicher Offenheit das Leben, das auf sie zukommt, an sich heranlassen und sich ihm anvertrauen kann: „Mir geschehe, wie du gesagt hast“ (Lk 1,38). Mit Entscheidungen tun Maria und auch Josef sich nicht schwer (Mt 1,24; 2,13-23). Dass ihnen ihre Entscheidungen so klar und gewiss werden, ist letztlich ein Geschenk Gottes: in den Texten ist es ja jeweils der Engel, ein Gottesbote, der sie überbringt. Dass ein solcher Engel nicht jederzeit zu jedem kommt, wissen wir aus eigener Erfahrung. Der Engel kann ja auch nur zu den Empfänglichen kommen, zu denen, die offen sind.
Empfänglichkeit und Offenheit sind jedoch keine Selbstverständlichkeiten. Weder von außen noch aus unserem Herzen kommt uns stets nur Angenehmes entgegen. Auch die Botschaften, die der Engel Maria und Josef bringt, sind nicht nur Frieden und Freude: im Leben Mariens geht nichts mehr so weiter wie gehabt, eine unsichere Zukunft liegt vor ihr. Und Josef hat die Entscheidung zur Migration zu vollziehen.
Da also Empfänglichkeit und Offenheit Verletzungsgefahr in sich bergen, müssen sie gelernt und geübt werden, und Maria lehrt uns, wie das geht. Denn es heißt: „Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen“ (Lk 2,19). Was sie tut, ist keine reine Kopfsache. „Im Herzen“ sind Empfindungen, Gefühle, Motive mit dabei, die gewogen, geprüft, er-fahren werden wollen. Das braucht Zeit und Raum, um dabei verweilen zu können. Das ist nicht nur Aussuchen der schönen Empfindungen, sondern auch Wahrnehmen der schmerzlichen. Im Silvesterkurs erzählte eine junge Frau, dass sie sich im vergangenen Jahr einem für sie schwierigen Thema gestellt habe. Während sie sprach, saß sie hoch aufgerichtet auf ihrem Stuhl, voll Freude und Würde. Das ist des Erwägens-im-Herzen unmittelbare Wirkung. Die weitere Folge der Freude und Aufrichtung ist, dass Vertrauen und damit Offenheit und Empfänglichkeit wachsen.