Petra Maria Hothum SND, August 2017
In den letzten Ashram-Kursen tauchte mehrfach das Thema „Enttäuschung” auf. Die Anlässe dafür und die Bereiche, in denen Teilnehmende Enttäuschendes erlebt haben, waren vielfältig.
So etwa in Beziehung und Partnerschaft, in familiären Kontexten, in beruflichen Gegebenheiten und Entwicklungen, im Scheitern von Projekten und Aufbrüchen verschiedener Art, im Spüren eigener Grenzen, im Erleben von schwer zu akzeptierendem Verhalten anderer sowie eigener – manchmal eingefahrener und wenig lebensförderlicher – Verhaltensmuster. Und über das hinaus, was die Teilnehmenden aus ihrem Alltag mitgebracht haben, bietet auch das Setting des Ashram Jesu selbst in seiner Reduziertheit und Konzentration auf Wesentliches immer wieder Gelegenheiten, Enttäuschung zu erleben. Sei es, dass bestimmte materielle Annehmlichkeiten nicht verfügbar sind oder aber, dass Hoffnungen und Erwartungen, die man an sich, seine Gestimmtheit, den Prozess, die Meditation … hat, sich nicht erfüllen.
Wie nun mit solchen Enttäuschungen umgehen?
Ein wichtiger Schritt ist, sich seiner Enttäuschung überhaupt bewusst zu werden, zu merken, wie man an einer Situation, einem Mangel leidet, darüber nicht hinwegkommt, immer wieder vielleicht an eine Grenze stößt, immer wieder vor die Wand läuft. Sich eine solche Wirklichkeit einzugestehen, ist alles andere als einfach oder selbstverständlich. Das Zugeben entsprechender Empfindungen – und wenn auch erst einmal nur vor sich selbst – kann am eigenen Selbstbild kratzen; das Spüren der Unannehmlichkeit, Unerfülltheit oder des Schmerzes stört vielleicht die normalen Abläufe und das reibungslose Funktionieren; unter Umständen kommen Zweifel oder Fragen auf, denen man sich lieber nicht stellen würde aus Angst vor einer Antwort, die nicht zum eigenen Wünschen und Planen passt.
Entsprechend entwickeln wir normalerweise gerne Strategien der Abwehr, um entweder Enttäuschungen gar nicht an uns heranzulassen oder aber damit einhergehende Erschütterungen möglichst begrenzen und kontrollieren zu können. Dies reicht von Anstrengungen, die Enttäuschung zu überwinden bzw. eine schnelle Lösung des Problems zu finden oder aber um jeden Preis den Status Quo aufrecht zu erhalten über Beschwichtigungen, Erklärungs- oder Entschuldigungsversuche bis hin zu verschiedensten Weisen der Ablenkung.
Im Ashram Jesu versuchen wir, auf solche Strategien – wenn sie uns denn bewusst werden – zu verzichten, Enttäuschendes wahrzunehmen, dabei zu verweilen und zu lernen, damit zu leben. Indem wir immer wieder üben, das, was ist, nüchtern da sein zu lassen und es zu durchleben, sei es noch so unangenehm, frustrierend oder schmerzlich, kann langsam ein anderer, tieferer Kontakt zur Wirklichkeit, wie sie nun einmal ist, wachsen oder besser gesagt: geschenkt werden. Der Blick kann sich weiten, mit einem Mal werden Facetten erkennbar, die an der Oberfläche zunächst nicht sichtbar waren. Dieses tiefere Verstehen geht oft einher mit einem wachsenden Erkennen von eigenen Anteilen an einer enttäuschenden Situation, vielleicht auch von Zusammenhängen mit der eigenen Lebensgeschichte, die über die aktuelle Enttäuschung hinaus weisen, zugleich aber nicht selten eine Erklärung bieten können für die Heftigkeit der damit verbundenen Empfindungen.
Auf einem solchen Boden des Wahrnehmens und geduldigen Verweilens kann eine Enttäuschung zur Ent-täuschung werden, „zum Ende der Täuschung durch die Vorstellungen und Hoffnungen des Ego” (B. Dickerhof, Der spirituelle Weg, S. 245).
Was ist die Wirkung eines solchen Umgangs mit Enttäuschendem?
So hart und schmerzlich der Abschied von einer Illusion sein kann, die ich mir gemacht habe vom Leben, von mir selbst, einer Beziehung, einer Situation…, hat ein solcher Prozess des Durcherlebens einer ent-täuschenden Wirklichkeit doch letztlich klärende, lösende und befreiende Wirkung. Das Ego verliert an Macht, und das wahre Selbst kommt auf diesem Weg immer mehr zum Vorschein. Aus diesem heraus kann ein Mehr an Annahme des Enttäuschenden möglich werden, was wiederum auch zu differenzierteren, tragfähigeren Lösungsansätzen oder Entscheidungen führt – dort, wo solche anstehen. Und manchmal erwächst aus der Ent-Täuschung eine ganz neue, unerwartete Perspektive, die man so vielleicht gar nicht wünschen und erhoffen konnte, die aber durchaus die eigenen Erwartungen übertrifft.
In den oben angesprochenen Kursen wurde immer wieder deutlich, wie wichtig beim Durchgehen durch enttäuschende Wirklichkeit neben der Meditation auch andere Menschen sind. Die hörende Präsenz, die Unterstützung und das ehrliche Feedback in der Gruppe haben oft zu hilfreichen Einsichten und Auseinandersetzungen für die jeweils Betroffenen geführt und sie einen Schritt weiter gebracht.
Unterstützend beim Umgang mit den je eigenen Enttäuschungen war ebenso die Beschäftigung mit dem entsprechenden Kapitel aus Bertrams Buch „Der spirituelle Weg”. Er sieht „Die ent-täuschende Nicht-Annahme von Enttäuschungen” als wichtige Phase auf dem hinabsteigenden Weg an und beleuchtet dies eingehend. In den Kursen haben seine Darlegungen sehr zur Erhellung und Vertiefung der Thematik beigetragen, und auch Ihnen und Euch möchte ich sie sehr empfehlen.