Bertram Dickerhof SJ, November 2011
Unter den Faktoren, von denen das „Gelingen“ eines Kurses abhängt, ist sicherlich von Bedeutung, wieviel der Begleiter seinerseits zulassen kann, ohne unter Druck zu geraten, was er verkraften kann, ohne sich abwenden zu müssen, wie sehr er sich selbst lassen kann.
Wir haben das Gefühl, dass sich um den Ashram herum langsam eine Gemeinschaft von Menschen bildet, die mit uns die Perle entdecken, die er in sich birgt, die hier ihre spirituelle Heimat finden und ihren Alltag entsprechend gestalten möchten. Diese Resonanz gibt unserem Leben im Ashram und unserer Arbeit Rückhalt.
Den „Alltag entsprechend gestalten“: kontemplatives Leben erfordert Muße. Die Wirklichkeit an sich heranlassen, ihrer Wirkungen auf das Innere gewahr werden und ihnen nachspüren, das braucht in der Tat Muße. Aber der Alltag birgt auch vielerlei Kräfte, die einen, gleich Ungeheuern, aus dem ruhigen Gewahrsein bringen und in ihren unguten Bann ziehen. Sie können allerdings nur wirken, weil sie einen Ansatzpunkt an der eigenen Person finden; eine Stelle, wo man für sie empfänglich ist. So führen sie einen dankenswerter Weise an die eigenen wunden Stellen.
Auch wenn wir öfters hören, man lebe im Ashram eingetaucht ins Sein, gilt diese Alltagsdynamik hier wie dort. Im Sommer ging es mir so, dass ich dachte: „Ich habe mich jetzt hier eingerichtet. Doch habe ich Gott nicht verloren?“ Wie oft kehrt meine Sehnsucht an den Mauern der Bequemlichkeit um, wird sie getötet von der Flucht in die, ach so wichtige!, Betriebsamkeit des Alltags. Ich merkte das und wollte oder konnte mich doch nicht daraus befreien. „The show must go on!“, band mich. Ab Ende August ging es mir gesundheitlich nicht gut. Konsolidierung und Routine ade! Zur Abklärung musste ich ins Krankenhaus. Ich musste inne halten. Und ich konnte mich stellen. Da zerbrach die Wand. Wieviele Lektionen werde ich noch brauchen, um zu lernen: wer mit Gott leben will, der muss sich entäußern: loslassen, was ihm je zum Äußeren wird; „nicht anhaften“(Bhagavadgita).
BITTE
Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut.Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.Und daß wir aus der Flut,
— Hilde Domin
daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.
„Daß wir … immer versehrter und immer heiler … zu uns selbst entlassen werden.“ Nichts ist tödlicher als siegen, als Besitzstände wahren, als fortschreiten. Niederlage, meine Freundin, Verlust, mein Helfer – steht ihr mir auch im nächsten Jahr bei – auch wenn ich euch nicht willkommen heiße?
Euch/Ihnen alle eine Adventszeit mit Muße, ein fröhliches Weihnachtsfest und ein gesegnetes Neues Jahr.