Bertram Dickerhof SJ, Mai 2020
Inzwischen haben wir gemerkt, dass die Corona-Krise keine kurze Unterbrechung unseres gewohnten Lebens ist, sondern uns zwingt, ein neues Leben zu lernen, neue Formen von Kontakt zu entwickeln. Das gilt auch für die Beziehung zu Gott, zu der das derzeitige ablenkungsfreiere und durch Unsicherheit belastete Leben uns einlädt. Diese Beziehung zu Gott wird vor allem durch das persönliche Gebet gepflegt, das nicht dem Zufall oder Lust und Laune überlassen wird, sondern einen festen Platz im Alltag hat. Beten ist der Kern des Christlichen.
Wer es üben will, wird sehr schnell merken, dass das oft ein wenig Überwindung kostet. Plötzlich erscheint alles andere wichtiger als die Zeit mit Gott im Gebet. Wer diese Hürde überwindet, merkt gewöhnlich auch etwas vom Trost und der Kraft des Gebetes.
Zu Beginn ist eine Phase der Sammlung wichtig. Dabei helfen die Methoden, die Ihr aus dem Ashram kennt: das ruhige Atmen, während die Aufmerksamkeit das Heben und Senken der Bauchdecke begleitet, das Erspüren der eigenen Befindlichkeit und das wahrnehmende Verweilen dabei, „aufmerksam, gelassen und liebevoll.“ Wer mehr Erfahrung mit Gott hat, der findet in diesem wortlosen Innehalten und Lauschen in das Herz der Stille alles, was er oder sie sucht.
Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es mehrere Möglichkeiten:
- was man von sich selbst beim Innehalten gewahrt, als Bitte, Dank, Vorwurf,…. an Gott richten;
- einen Gebetstext sprechen; Psalmen eignen sich dafür gut, z.B. Ps 23, 90, 103, 121, 123, 130, 131, 138, 139, aber auch Gebete aus dem Gesangbuch oder sonstigen Gebetbüchern. Dabei kann sehr helfen, den Text Wort für Wort zum Atem zu sprechen und auf das Echo des Wortes in einem selbst zu lauschen; oder ein Wort zum Atem zu wiederholen, das ein solches Echo in einem auslöst;
- einen Abschnitt aus einem Evangelium lesen, z.B. den Text des Evangeliums vom kommenden Sonntag. Ich habe mir dazu die App „Die Bibel, Einheitsübersetzung 2016”, des Kath. Bibelwerks heruntergeladen. Auf unserer Webseite findet Ihr auch Methoden zum Umgang mit Bibeltexten.
Bedenkt, dass die Beziehung zu Gott wachsen muss, dass sie wie jede Beziehung Pflege und Geduld braucht, und dass es wie in jeder anderen Beziehung, gerade die schwierigen Phasen sind, die die Beziehung vertiefen, wenn sie miteinander durchgestanden werden. Es gibt Durststrecken in der Beziehung zu Gott. Es wird immer wieder Phasen der Unruhe, der Ohnmacht, der Verunsicherung, des Sich-Fremd- und Unbehaust-Fühlens, der gefühlten Gottesferne geben. Das Gebet, ja das Leben überhaupt, entspricht dann nicht den eigenen Wunschvorstellungen. Aber solche Grenzerfahrungen verändern denjenigen, der an der Grenze bewusst aushält, weil sie bislang verborgene innere Bewegungen aufdecken. Es gilt, gelassen und liebevoll geschehen zu lassen, was geschieht. Auch die Jünger*innen Jesu haben sich seine Passion und seinen Tod nicht gewünscht. Die Frauen, die unter dem Kreuz verweilten, bei der Beisetzung Jesu zugegen waren, am und sogar im Grab aushielten, sie sind die ersten, die dem Auferstandenen begegnen. Sie blieben bei dem, was war. Die Verwandlung, die das Durchleben der Grenze bewirkt, ist eine Verwandlung vom Haben zum Sein, vom falschen zum wahren Selbst, vom Getriebensein zur Freiheit der Person.