Bertram Dickerhof SJ, October 2019
Wir erleben in unserer Zeit, wie Diesseitserlösungsideen obsolet werden: zuerst hat sich der (real existierende) Marxismus als untaugliches Instrument erwiesen. Er hat die Gesellschaften, die ihn zu verwirklichen suchten, durch Unfreiheit und mangelnde Güterversorgung enttäuscht. Das hat der kapitalistischen Organisation unseres westlichen Lebensstils erheblichen Auftrieb gegeben. Dieser hat Bankenkrise und islamistischen Terror bisher überstanden. Doch nun kommt bei uns an, was seit etwa einem halben Jahrhundert bekannt ist: dass das Wachstum Grenzen hat. Wir beginnen diese Grenzen durch die von unserem Lebens- und Produktionsstil mitverursachte Erderwärmung zu spüren. Drastisch zu spüren! Unsere Weise zu leben ruiniert nicht nur uns selbst, sondern durch das Klima den ganzen Planeten. „Wir sind am Beginn eines massenhaften Aussterbens. Und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum” sagte Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel im September in New York. In der Tat: Klimaerwärmung heißt nicht nur extremeres Wetter, sie heißt Zerstörung, Hunger, Flucht und Tod.
Wir müssen also nun den Planeten retten. Hoffentlich ist diese Aufgabe nicht zu groß für uns. Wie kann es gelingen, den babylonischen Turm unseres Lebensstandards so um- und abzubauen, dass wir aus dem Straßengraben Umweltzerstörung heraus finden, ohne in den anderen einer Klimadiktatur und ihrer Gegner zu fallen?
Die Einschnitte, die die Rettung des Klimas erfordert, werden unser Leben tiefgreifend verändern. Zum Beispiel wird individuelle Mobilität sehr teuer werden. Statt schnell mal, wenn einem das Dach auf den Kopf fällt, wie bisher hierhin und dorthin zu fahren oder zu fliegen, wird es dann öfter heißen müssen: bleib zu Hause! Was dabei das Problem ist? Nach einigen Stunden ermüdet auch das hunderste Fernsehprogramm. Dann stösst er auf seine Unzufriedenheit, seine Nervosität, vielleicht gar seine Leere und begreift, dass eine wesentliche Triebfeder seines Lebensstils ist, das Unangenehme im Leben nicht an sich herankommen zu lassen.
Wer meditiert, weiß hingegen aus eigener Erfahrung:
- Die Erde ist nicht in ein Schlaraffenland zu verwandeln. Jede Erfüllung, die sie gewährt, vergeht auch wieder. Ist die Erfülltheit vergangen, ist Unerfülltheit da. Unerfülltheit gehört zum Leben des Menschen dazu wie der Tod auch.
- Streben, das aus dem Wegkriegen-Wollen der Unerfülltheit und des „Es–ist–nie–genug!” geboren wird, ist zerstörerisch. Der westliche Kapitalismus scheitert an seinem Grund legenden Credo: dass aus dem selbstsüchtigen Streben des Einzelnen das Wohl aller entsteht. Dieses Wohl aller, des ganzen Planeten, steht nun aber auf der Kippe.
- Die Unerfülltheit ist jedoch auch eine Chance: Sie zu ertragen ist ein Weg zur Selbstwerdung, zur Humanisierung und zur Entdeckung des Absoluten. Sie ist ein Weg zu einer Erfülltheit ganz anderer Art, die sich erst im Tod vollendet.
Diese drei Punkte sind Botschaft der Religionen. Die Klima- und Umweltkrise ist technologisch allein nicht zu bewältigen. Zu sehr droht sie die gängige „Spiritualität” des „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot” (Jes 22,13; 1Kor 15,32) zu stören. Sie fordert zu einer Spiritualität heraus, die einen bescheideneren Lebensstil begünstigt, das Leben entschleunigt, vom Druck entlastet, „sein Leben in dieser Welt gewinnen” (Mt 16,26) zu müssen, und es attraktiv macht, Zeit für und mit anderen Menschen zu haben. Wohl Euch, die Ihr meditiert!