Bertram Dickerhof SJ, März 2018
Oft wird am Ende eines Aufenthaltes im Ashram Jesu gesagt: „Gut, dass es diesen Ort gibt!” Der „Ort”: eine alte Mühle mit wenig Komfort und der Ästhetik der Einfachheit, schön gelegen, geradezu „umarmt” von Fluss, Wiesen und Wald, in einer Oase der Ruhe, der Unmittelbarkeit und des Sein-Dürfens. Ein Ort, an dem der Gast mehr bei sich selbst ankommt, bei seinem Grund; und er ahnt, dass dieser Grund der Abgrund des Geheimnisses aller Wirklichkeit ist; dass die Gegenwart, die ihn im Ashram Jesu umfängt, von Gott erfüllte Gegenwart ist. Ja, dann ist da gut sein!
Allerdings, es passt, dass der Ort am Ende des Kurses gerühmt wird, dann nämlich, wenn der Gast wieder in seine Alltagswelt zurückkehrt, beschenkt und zentriert – und vielleicht auch froh, wieder abreisen zu dürfen. Denn bei sich selbst ankommen heißt, Ja sagen zu all den Seiten, die das Selbst während einer Zeit im Ashram zu erkennen gibt. Die angenehmen, schönen, friedlichen sind nicht das Problem, sondern die Öde und Stumpfheit, die das Selbst zeigt, seine Unzufriedenheit, manchmal Zerrissenheit, seine Hilflosigkeit… Wenn es Letztere erfährt, dann möchte es nicht mehr bei sich aushalten, sondern es strebt weg, um sich aus der Gegenwart zu retten.
Als die Stunde seiner Passion gekommen ist, die alle kleinen und großen Passionen eines jeden Lebens in sich enthält, zeigt sich auch das Selbst Jesu als prekär, wenn es spricht: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen” (Joh 12,27). Wer existentiell erschüttert ist, was liegt dem näher als zu bitten „Vater, rette mich aus dieser Stunde”, und wegzulaufen, damit das Retten auch klappt? Doch Jesus will dieses Naheliegende nicht. Sein zweiter Satz heißt vervollständigt etwa: „Ich bin gerade deshalb in diese Stunde gekommen, damit ich, indem ich sie annehme, meine Bestimmung finde.”
Das ist eine Herausforderung, die gegen den Strich geht und schwer zu fassen ist. Doch kann die klare Haltung Jesu auch entlastend wirken auf eine Person, die mit ihrer „Stunde” ringt und mit sich kämpft. Denn die Klarheit Jesu lässt die Wahrheit dieser Stunde, nämlich dass das Selbst prekär ist, zu Tage treten und macht klar, worauf es jetzt im Leben ankommt: diese Wahrheit gelten zu lassen und anzunehmen und dafür Energie und Aufmerksamkeit einzusetzen. Annehmen heißt, Ja sagen zu dem, was ist, und wie es im Bewusstsein ist, heißt wegstrebende Wünsche nicht auszuagieren und Vorstellungen loszulassen, an denen das Leben zu hängen scheint. Nur so kommt man auf dem Grund der Wirklichkeit an. Nur so gelangt man auch auf den Grund seiner selbst. Nur dort teilt sich Gott mit als Vater und weist die lösende Lösung. Die Kraft dazu kommt aus dem „wachet und betet!” des Ölbergs, der Meditation, der Gemeinschaft mit anderen auf dem gleichen Weg – und aus der Gnade. In dieser Kraft und in der Gewissheit, dass es jetzt so geschehen „muss”, lässt sich handeln und sich verhalten wie Gott es offenbart.
Ein Jesus, der überzeugt ist, gerade „deshalb in diese Stunde gekommen” zu sein, damit er durch ihre Annahme seine Bestimmung findet, muss an einen Sinn sowohl einer solchen Stunde, als auch der Annahme des in ihr prekär gewordenen Selbst glauben. Dieser Sinn liegt in einer Transformation: das Selbst, „das sich als Weizenkorn in die Erde fallen lässt, … bringt reiche Frucht, … wird vom Vater geehrt, … wird dort sein, wo auch Jesus ist” (Joh 12,24-26): es wird hineinverwandelt in ein wahrhaftiges Sich-Selbst-Sein bei Gott.
Ostern ist, dass dieser Glaube Jesu auch seine Jünger erfasst. Für sie wird Wirklichkeit, dass Jesus transformiert wurde, aufersteht ins Haus seines Vaters hinein, ins wahre Leben; den Jüngern wird plausibel, dass er ihnen dort einen Platz vorbereitet, eine Wohnung im Haus des Vaters, einen Ashram Jesu im Himmel sozusagen; sie erfahren sich auf dem Weg dahin begleitet, „damit auch ihr dort seid, wo ich bin.” Der Weg ins Leben ist sein Weg, der Weg der Annahme der Wahrheit des Selbst hier und jetzt. Darum: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!” (Joh 14,1-6).