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Zwei Welten
Bertram Dickerhof SJ, September 2014
Deutlicher als je zuvor ist mir bei den Schriftbetrachtungen in den letzten Grundübungen die Existenz zweier Welten aufgegangen: Die erste Welt ist die uns selbstverständliche, in der wir unser tägliches Leben vollziehen. Es ist die gesellschaftlich konstruierte, inzwischen globalisierte Welt. Ihre Werte, ihre Kultur, ihre Normen und Regeln bestimmen unseren Lebensalltag: Machen und Gebrauchen der Dinge, Sich-Absichern – und von allem immer mehr. Hin und wieder erleben die Bürger dieser Welt etwas wie eine „Gipfelerfahrung“: unbedingte Annahme ihrer selbst und Eröffnung des Seins auf seine Tiefe und Mitte hin. Liebe, Bescheidenheit, Freundlichkeit, … teilen sich mit. Und das eigene Herz bejaht erfüllt, was es erlebt. Doch verblassen solche Gipfelerfahrungen auch wieder im Tal des von Haben-Wollen und Gewalt geprägten Alltags. Sie sind seltene und tröstliche Momente, sie sind auch Indizien und Einladungen einer anderen Welt, die ebenso gegeben, dauerhaft und präsent ist.
Das tibetanische Totenbuch sieht diese als die ursprüngliche Welt an:“Erinnere dich an das klare Licht, das reine, klare, weiße Licht, von dem alles im Universum abstammt, zu dem alles im Universum zurückkehrt, die ur¬sprüngliche Natur deines eigenen Geistes. Der ur¬sprüngliche Zustand des nicht-manifestierten Univer¬sums. Ergib dich dem klaren Licht, vertraue ihm, ver¬schmelze mit ihm. Es ist deine eigene wahre Natur, dein Zuhause. … Die Visionen, die du hast, sind Ausge¬burten deines eigenen Bewusstseins.“ Die globalisierte Alltagswelt, die durch unsere Wahrnehmungen und Gedanken („Visionen“) konstituiert wird, ist demnach lediglich Ausgeburt unseres eigenen Bewusstseins, von der man sich „nicht in Bann ziehen lassen sollte“, wie es dort weiter heißt. Nicht dass sie nicht real wäre, doch ist die Welt des „reinen, klaren, weißen Lichtes“ in höherem Sinne wirklich, da ursprünglicher und unzerstörbar.
Auch das Evangelium kennt zwei Welten: die eine ist schlicht „die Welt“, gefangen in Sünde. Die andere ist das Reich Gottes. Es ist erlöste Schöpfung. Das Universum wird ja nicht dadurch zur Schöpfung, dass der Schöpfer den Urknall zündet, sondern so, dass er allen Dingen einwohnt: von ihm empfangen sie fortwährend ihr Dasein und Sosein, statt es egoman zu produzieren. Und erlöst ist die Schöpfung, wenn die Geschöpfe dieses Sich-Verdanken je nach ihrer Art vollziehen. „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Wir sind von Gottes Art.“ (Apg 17). Die Versöhntheit im eigenen Herzen, die dies bedeutet, äußert sich in der Versöhnung mit allen Wesen.
Wieso ich Euch das mitteile? Weil mich schon lange Zustand und Perspektiven der „Welt“ Schlimmes befürchten lassen. Die in der Alltagswelt nicht zu befriedende Zerstörung und Gewalt an so vielen Orten der Erde sind ein Indiz dafür, dass auch im Inneren des noch ruhigen Westens etwas schief läuft.
Die beiden Welten sind „unvermischt und ungetrennt“, um die christologische Formel zu benutzen. Das drückt auch das tibetanische Totenbuch aus. „Ungetrennt“ heißt: es handelt sich nicht um Parallelwelten, sondern die „Territorien“ und Wesen der beiden Welten sind die gleichen. „Unvermischt“ bedeutet, dass kein Teilchen der einen Welt identisch sein kann mit einem Teilchen der anderen Welt: der Übergang von der Alltagswelt zur wahren Wirklichkeit bedeutet eine Transformation. Wie geschieht sie? Die buddhistische Antwort ist eher methodischer Art. Die christliche weist auf die Bedeutung dessen hin, was geschehen muss: etwas im Menschen muss sterben, damit Neues entsteht. Damit ist nicht nur das Sterben am Ende des Lebens gemeint, sondern alle Tode im Leben, die gestorben werden, wenn man sich seinem Leben und seiner Wahrheit stellt. Das ist der Weg, den der Ashram Jesu zu gehen versucht.
Mit diesen ernsten Gedanken entlasse ich Euch nach den Ferien in den Alltag, hoffend Euch zu unterstützen, ihn zu bewältigen.
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Wir sind hier nicht bei WÜNSCH DIR WAS, sondern bei SO ISSES!
Petra Maria Hothum SND, Juli 2014
„Wir sind hier nicht bei WÜNSCH DIR WAS, sondern bei SO ISSES!“
In diesem kurzen, eindrücklichen Slogan hatte ein Teilnehmer unserer Ausbildung im vergangenen Jahr beim Ashram-Jubiläum zusammengefasst, worum es hier im Ashram Jesu geht. Ein kleines Plakat mit diesen Spruch, das er entworfen hatte, hat seither seinen Platz in einem Winkel unseres Essraumes, und immer wieder werden Gäste des Ashram darauf aufmerksam. Interessant ist, welch unterschiedliche Reaktionen der Spruch hervorruft: Sie reichen von Erstaunen über Abwehr, Unverständnis, ja sogar Ärger bis hin zum Empfinden von Ermutigung, Freude, ja Faszination. Besonders eindrücklich war für mich die Reaktion einer Frau, die vor kurzem einen unserer Kurse besucht hat. Sie erzählte mir, dass sie auf einem Foto im Internet den Spruch entdeckt hatte und dies den letzten Ausschlag dafür gegeben habe, endlich einmal in den Ashram zu kommen. Sie folgte ihrem spontanen Impuls: „Da muss ich unbedingt hin!“
Wie kommt es zu einer solchen Reaktion? Was ist so einladend an diesem „SO ISSES“, dass man sich deshalb tatsächlich auf den Weg macht? Immerhin ist ja das, was ist, vielfach gar nicht so erstrebenswert, außergewöhnlich oder erhebend – oft genug vielleicht sogar das Gegenteil davon! Warum also unbedingt hin zu einer Lebensschule, in der das Lernprogramm v.a. darin besteht, bei sich einzukehren, auszuhalten und in der Wahrnehmung der eigenen Wirklichkeit zu verweilen?
Ich glaube, dieses „SO ISSES“ rührt an eine tiefe Sehnsucht in uns, der Mensch sein zu dürfen und zu können, der man in Wahrheit ist, aus seinem Inneren zu leben und zu handeln, im Kontakt zu sein mit sich selbst und der Wirklichkeit, wie sie ist.
Nur zu gut kennen wir jedoch die „WÜNSCH DIR WAS“-Antreiber in uns und um uns, die auf unterschiedlichste Weisen zu immer mehr und spektakulärerem Haben-, Erleben-, Erreichen-, Verhindern-Müssen animieren. Der Druck dieser Antreiber – nicht selten unbemerkt von uns – kann enorm und unersättlich sein. Zwar können wir unter dem Einfluss dieses Regimes durchaus Momente kurzfristiger Befriedigung und punktuellen Wohlbefindens erleben, doch bleiben wir auf lange Sicht unerfüllt und mit dem Verlangen nach immer noch mehr zurück. Um dem nachzukommen, funktionieren und re-agieren wir, erfüllen an uns gestellte Erwartungen, spielen unsere Rollen, drücken Knöpfe oder ziehen Fäden – und verlieren dabei immer mehr den Menschen aus dem Blick, der wir selber wirklich sind.
Der Weg aus dieser Dynamik führt über das Innehalten und das geduldige Verweilen bei dem, was man jeweils von sich selbst spürt. In diesem Aushalten bei sich selbst kann man bemerken, wie es einem wirklich geht, was einen beschäftigt und antreibt, wohin die eigene Sehnsucht geht. Und im liebevollen Daseinlassen dessen, was ist – gleich ob angenehm oder unangenehm, willkommen oder störend – kann sich langsam etwas klären und vielleicht ein nächster Schritt zeigen.
Solches Innehalten und Bei-Sich-Verweilen ist sicher immer wieder auch schmerzlich und eine Herausforderung. Aber letztlich ist es immer wieder wohltuend, stärkend und befreiend, Kontakt zum eigenen Inneren zu finden und sich je neu seinem „SO ISSES!“ zu stellen.
In diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen einen wohltuenden, erholsamen Sommer, der neben manchen äußeren Erlebnissen und Reisen auch Zeiten der inneren Einkehr mit sich bringt.
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Pfingsten, Unterstützer*innentreffen
Bertram Dickerhof SJ, Juni 2014
Impuls zu Pfingsten
Pfingsten, „das liebliche Fest“, gefeiert zu einer Zeit, da in der Natur die Blüten zur Frucht werden, ist das Tor, durch das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu für uns fruchtbar werden können. Der Geist, den Jesus atmet, geht nun auf die Jünger über. Gottes Heiliger Geist wird nun zu ihrem Atem, „in dem sie leben, sich bewegen und sind“. Möglich wird dieser „Geistransfer“ durch ihr Mitleben mit Jesus und durch die Schule, in die sie sich von ihm nehmen ließen. Vor allem aber werden die Jünger für Gottes Geist empfänglich durch ihre Passion anlässlich der Passion Jesu: sie sitzen da, eingesperrt in Angst und Scheitern, da sie ihn auf seinem Kreuzweg und bei seinem Sterben alleine ließen, ihn, den Geliebten.
Doch in der Mitte ihrer Nacht entsteht eine Bewegung.
Frieden breitet sich aus. Ein Friede, der begangene Fehler nicht ungeschehen macht, sondern alles Geschehene, ja das ganze Leben unterfasst. Ein Friede, der Frucht der zu Ende durchlittenen Verbindung von Unglück und Schuld ist, die das eigene Leben traf. Sie erkennen ihn als Frieden des Herrn (Gottes). In ihm sind sie gesandt zum Dienst der Versöhnung: derselben Versöhnung, die gerade an ihnen geschieht. Nun werden sie den Geist dieses Friedens atmen. Andere, die dafür bereit sind, werden darin ebenfalls Versöhnung und Heimat finden.
Was für eine Botschaft! Was für eine Möglichkeit wird hier eröffnet. So viele sind es in unserer Zeit, die ohne Heimat, ohne Ort, an den sie gehören, innerlich zerrissen leben müssen. Der Alltag gewinnt auf Grund dieser Botschaft eine neue Ausrichtung, die sich allmählich gegen die ökonomischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten behauptet. Durch sie wird das profane Leben in persönliche Heilsgeschichte verwandelt, zum Ort, an dem Gottes Geist am Werk ist und Frieden und Beheimatung schafft. Dass dieser Geist Euch mehr und mehr erfüllt, dass Ihr für ihn empfänglich werdet, das ist in diesen Pfingsttagen meine Bitte für Euch.
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Berufsbegleitende Auszeit
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2014
Nächstes Jahr bieten wir eine „Berufsbegleitende Auszeit“ an. Manche werden verwundert feststellen, dass dies doch ein Widerspruch in sich selbst ist. Nicht ganz. Die Wirkungen der besten und längsten Auszeit werden relativ schnell vom Alltag kassiert, wenn nicht gelernt wird, diesen Alltag selbst anders zu gestalten. Dies ist aber nicht leicht, da wir mit vielen Fesseln sozusagen in ihn hineingebunden sind. Neben den Notwendigkeiten gibt es die Gewohnheiten, die Erwartungen der Mitwelt, die eigenen Vorstellungen usw.
Um diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, hat unsere „Berufsbegleitende Auszeit“ folgenden Aufbau:
Sie beginnt mit einer 10-tägigen Grundübung (15. – 25. Januar 2015) und gestaltet sich dann im Wechsel von normalem Alltag zu Hause und diesen unterbrechenden vierteljährlichen Übungseinheiten hier, im Ashram. Diese verlängerten Wochenenden dienen vor allem der Implementierung derjenigen Veränderungen in den Alltag, die einem im Januar bewusst geworden sind.
Über dieses Angebot hinaus ist es möglich, die Intensivzeit im Januar individuell auf den ganzen Monat auszudehnen. Wer das möchte, beginnt mit dem Kurs „Das neue Jahr in Stille beginnen“ am 1. Januar und hält sich vor und nach der Auszeit-Grundübung als Gast im Ashram auf. Das ist bis maximal 31. Januar möglich. Vielleicht finden einige Geschmack an dieser Auszeit, die merken, dass sie dem Druck der Alltagswelt etwas entgegensetzen müssen, um sich nicht zu verlieren, und die die Sehnsucht haben, in die eigene Tiefe zu graben, um sich neu auszurichten und authentischer leben zu können.
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Ostern
Bertram Dickerhof SJ, April 2014
Eine große Schwierigkeit, die sich dem Glauben an Ostern entgegenstellt, ja überhaupt dem christlichen Glauben, ist unser modernes Realitätsbewusstsein. Danach ist Realität „nur“, was objektiv ist, am besten immer wieder herstellbar und beobachtbar. Mit der Aufklärung setzten Bemühungen ein, die Auferstehung Jesu als objektives, historisches Ereignis zu rekonstruieren und zu ergründen, ob das Grab tatsächlich leer war. Überzeugend finde ich sie nicht, sie können es auch kaum sein. Wie soll eine Auferstehung, die nicht Rückkehr ins irdische Lebens ist, auch nicht ein bisschen, eine historische Tatsache sein können? Zugegeben: auch ich finde es nicht so leicht, sich damit abzufinden, dass die Auferstehung keine historisch-objektive Tatsache ist.
Nehmen wir aber mal an, es sei so. Jesus ist gestorben und begraben worden. Was weiter mit ihm geschieht oder nicht geschieht, klammern wir zunächst einmal ein. Was bleibt dann übrig von Ostern? Übrig bleibt eine geistliche Erfahrung der Jünger. Spirituelle Erfahrungen gibt es unterschiedlichster Art. Diese hier aber ist speziell: Sie macht aus einer sich auflösenden Gruppe ängstlicher, enttäuschter Jünger mutige Bekenner. Sie hat folgende Charakteristika:
- Die Jünger gehen im Vertrauen mit Jesus nach Jerusalem, gehen damit in ihre Angst vor dem Tod hinein und erleben ihre hilflose Panik und Flucht angesichts von Jesu Verhaftung.
- Sie müssen alle Vorstellungen loslassen, die sie sich von Jesus als Propheten, vielleicht sogar als Messias, und ihrem Leben an seiner Seite gemacht hatten. „Wir aber hatten geglaubt, dass er es sei, der Israel erlösen würde“, resümieren die Emmausjünger enttäuscht auf dem Weg fort von Jerusalem. Ihre Vorstellungen und Hoffnungen sind an der Realität des Kreuzes zusammengekracht wie ein Kartenhaus.
- Diesen Kreis von Menschen und Paulus trifft eine Erfahrung ihrer eigenen Auferstehung, als sie gar nicht damit rechnen, geschweige denn ihre Akteure sein könnten: die Frauen am Ostermorgen wollten salben oder das Grab sehen, als das Himmlische unvermittelt in ihr Leben einbricht, Paulus war mit Christenverfolgung und der Geltung der Tora beschäftigt.
- Die Struktur dieser spirituellen Erfahrung ist stets: Zuwendung und Annahme durch Gott, Mitteilung von Erkenntnis und Liebe und eine dem entsprechende Handlungsperspektive.
- Doch heben die Jünger nicht ab. Aufkommende esoterisch-gnostische Fabeleien werden sie zurückweisen. Sie bleiben geerdet. Ihre Auferstehungserfahrung bewährt sich im Zeugnis und in der dienenden Liebe.
Spirituelle Erfahrungen dieser Art machen Menschen durch die ganze Geschichte, über den ganzen Erdball, wenn sie bereit sind, sich auch den „tödlichen“ Wirklichkeiten ihres Lebens zu stellen, ihre Vorstellungen dabei loslassen und annehmen, was ist. Wie die Jünger, erfahren sie an sich selbst, wovon Jesus gesprochen hat: die Nähe des Reiches Gottes, ein Angeld ewigen Lebens, einen Zugang zu Gott, die Hoffnung, im Tod nicht unterzugehen. Kurz: Auferstehung. Im Ernst: ist das nicht genug, um leben und sterben zu können?
Offen bleibt jetzt nur das persönliche Schicksal des gekreuzigten Jesus. Hier kommt das Besondere der spirituellen Erfahrung der Auferstehungszeugen Jesu zum Tragen. Ihnen widerfährt eine besondere Auferstehungserfahrung. Sie ist sowohl zeitlich als auch auf einen bestimmten Personenkreis begrenzt (1 Kor 15, 5-8) mit dem inhaltlichen Kern „Gott hat ihn (Jesus) von den Toten erweckt“ (Röm 10,9). Wenn schon die Jünger Jesu Auferstehung erfahren, sollte dann nicht der Protagonist auf diesem Weg, Jesus, erst recht in das Leben Gottes eingegangen sein? Dies zu glauben, fällt mir nun nicht mehr so schwer, und das wünsche ich auch Euch.
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Notwendigkeit des Gebets
Bertram Dickerhof SJ, März 2014
Wenn die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift beim Imperativ endet, genügt es nicht. Es ist zwar gut, immer wieder daran erinnert zu werden, z.B. sich zu versöhnen, barmherzig auch gegenüber den Gegnern zu sein usw. Auch ist es notwendig, diese Imperative immer wieder zu hören, wo doch so viele Botschaften um unser Gehör ringen. Aber das allein genügt nicht. Im Getriebe des Alltags ist solch ein Appell schnell vergessen. Woher sollen außerdem die Kraft und der Sinn zur Selbstüberwindung kommen? Das Gebet ist es, das nötig ist – irgendwie in der Form, wie es im Ashram Jesu praktiziert wird: als Verweilen bei dem, was man je jetzt von sich selbst spürt, von seinem Körper, seinen Gefühlen, seinen inneren Empfindungen, von seiner momentanen geistigen Haltung. Bei solchem Gewahrwerden kommt der Beter in Kontakt mit sich selbst, wie er gerade ist, und erfährt Annahme. Das entlastet und lässt aufatmen. Im Durchleben der inneren Bewegungen klären sich diese und können unterschieden werden. Die komplexe äußere Situation und die eigenen Möglichkeiten werden deutlicher. Ihm tut sich die Wahl auf, zu welchem Menschen er sich nun bestimmen und wie er sich also verhalten will. Wer innehält, gewinnt dadurch Freiheit gegenüber den Mächten des blinden So-und-So-Reagieren -Müssens. Und er spürt die Kraft, die ihm aus der Tiefe zufließt. Denn das Durchleben der Stunden, gleich ob gut oder böse, führt schließlich zu dem „Brunnenpunkt, an dem alle Stunden aus Gott hervorgehen.“ (Delp).
Das gilt für den Christen, aber das gilt für jeden Menschen, der nicht einfach vom Regime dessen, was in der Luft liegt an Meinungen und Trends, bestimmt werden will, sondern sein Leben selbst gestalten möchte. In dieser Weise innezuhalten ist auch dem möglich, der nicht an Gott glaubt.
Weil dieses Innehalten so wichtig ist für das Gelingen des eigenen Lebens, möchte ich es Euch wieder für die Fastenzeit ans Herz legen. Sollte nicht doch im Alltag ein Winkel zu entdecken sein, in dem die Schlagzahl des Lebens verlangsamt und die eigene Person besucht werden kann?
Entlastend und klärend wirkt auch ein Gespräch, in dem man sich selbst zum Thema machen kann und Resonanz erfährt. Vielleicht wäre dies eine weitere Möglichkeit des „Fastenprogramms“ bis Ostern? Wie könnte es wohl tun, vor einem annehmenden Zuhörer /einer annehmenden Zuhörerin einmal ausbreiten zu können, womit man sich herumschlägt und abquält, was einen belastet und mürbe macht. Wenn diese Vorstellung Raum gewinnen darf, dann werden auch mögliche Gesprächspartner*innen einfallen und der heilsame Ruck sich einstellen, der dazu nötig ist.
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Weihnachten
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2013
Ein weihnachtlicher Gedanke zur Betrachtung Wenn ich die Unruhen all überall auf der Welt verfolge, bin ich froh, in einem Land wie Deutschland leben zu dürfen. Und doch beunruhigt mich unsere Lebensweise.
Machen unsere Errungenschaften, unsere Weise zu leben, zu arbeiten uns menschlicher?
Wird der Preis nicht immer höher, den wir für „mehr vom selben“ zahlen?
Glück für uns, die Nachkriegsgeneration; Glück für uns, die wir früh mit der Ausbeutung der Erde begonnen haben, Pech für die andern, die zu spät kommen?
Zur Zeit des Noach „aßen und tranken und heirateten [die Menschen] bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging; dann kam die Flut und vernichtete alle.“ (Lk 17,27). Wie wir tun auch die hier beschriebenen Menschen nichts Böses. Sie sind beschäftigt mit dem, was an der Oberfläche liegt; was die Zeit, die Moden, die herrschenden Kräfte halt nahe legen. So sieht es auch bei uns aus. Und so wird es zur Stunde der Geburt Jesu ebenfalls gewesen sein: letztlich beherrschen Gier und Vermeidung die Welt. Doch es geht auch anders: Einige sind in der Nacht draußen auf dem Feld und wachen. So Noach, so die Hirten, …
Draußen auf dem Feld gibt es nichts, was begehrt werden könnte; da ist nichts, was ablenkt.
Draußen auf dem Feld muss man die Nächte seines Lebens durchwachen.
Draußen auf dem Feld muss man die schweren Stunden, die Krisen, die Einsamkeit, die Unruhe, die Erschöpfung und was sonst einem gerade aufgegeben ist, durchleben.
Die in der Nacht draußen auf dem Feld wachen, die – und nur sie – werden, damals wie heute, der Engel gewahr, die ihnen die Anwesenheit Gottes als neuen Anfang zeigen; und sie – und nur sie – werden seinen Frieden verspüren, der alles Verstehen übersteigt (Phil 4,7).
Draußen auf dem Feld – das ist weniger ein Ort als eine Lebens-Haltung. Es ist eine Haltung des Vertrauens und der Hingabe. Petra Maria und ich wünschen Euch von Herzen, dass diese Haltung in Euch wachsen kann, und dass Ihr die wahre Freude und den wahren Frieden erfahrt.
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Innehalten im Advent
Bertram Dickerhof SJ, November 2013
„Eigentlich” lädt die Adventszeit zu Besinnlichkeit ein: die lange Dunkelheit; das Jahr, das zu Ende geht; die verheißungsvollen Texte des Advents, –z.B. von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden (Jes 2, 4) oder vom abgestorbenen Baumstumpf, aus dem ein neuer Trieb sprosst, und dann wohnt der Wolf beim Lamm, Kalb und Löwe weiden zusammen, – gehütet von einem kleinen Knaben (Jes 11,1.6). Und die Tannen, die grün sind und still und duften… . Wie das Jahr, so geht das Leben dahin – zugebracht womit? Ist tatsächlich alles, um dessentwillen wir rennen, das Rennen wert?
Lassen wir uns doch einladen, inne zu halten im Advent; sich täglich eine kleine Zeit zu nehmen, die nur einem selbst gehört und in der man den Menschen besucht, der ich bin, – so wie man einen lieben Freund oder eine liebe Freundin besuchen würde. In dieser Zeit höre ich mir ein wenig zu: spüre heraus, wie es mir geht, wie ich mich fühle, was mein Körper mir sagt, was ich möchte und was nicht. Ich verweile ein wenig bei mir, bei dem, was ich jeweils merke. Darüber nachdenken brauche ich nicht in dieser täglichen Viertelstunde. …
Wie kann ich das tun? Ich könnte dazu in eine Kirche gehen, ich könnte einen sehr langsamen Spaziergang durch einen Park in der Dämmerung machen oder, nicht so leicht, im Zug bei mir einkehren. Oder gibt es eventuell zu Hause eine Zeit und einen Sessel, wo ich allein und ungestört sein kann? …
Vielleicht will der/die Besuchte erst gar nicht öffnen. Er/Sie fürchtet, gestört zu werden. Oder, wenn ich mich doch empfange, bin ich kaum da und renne unruhig hin und her. Doch das verändert sich, wenn ich, der Besucher meiner selbst, einen Blick der Liebe und Annahme auf mich richte, gleich, wie ich mich vorfinde.…
Im Ernst: wenn ich selbst mir kaum begegnen kann, wie soll es jemand anderes können? Wie kann mir dann Weihnachten werden?
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Grundübungen
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2013
Im Ashram Jesu geht es darum, einen spirituellen Weg zu gehen und ihn mit Menschen, die dafür offen sind, Christen und Nicht-Christen, zu teilen. Die Grundübungen sind dabei das Hauptinstrument. Sie helfen zu erkennen, worauf man das eigene Leben tatsächlich gegründet hat. Diese Gründe sind zwar verborgen, doch liefert, was ein Mensch jeweils mitbringt an aktuellen Lebenserfahrungen, Fragestellungen, inneren und äußeren Ereignissen, einen Zugangsweg zu ihnen. Dabei kommt der achtsamen, gelassenen und liebevollen Atmosphäre im Ashram Jesu besondere Bedeutung zu.
Die Achtsamkeit bezieht sich vor allem auf die eigene Person, auch auf ihren Leib. Gewöhnlich wird die Person lediglich „benutzt“: der Leib, um das Selbst von hier nach dort zu tragen; die Hände, um Knöpfe zu drücken; der Kopf, um zu analysieren; und das Selbst, um zu funktionieren. Im Ashram übt man stattdessen, sein Selbst um seiner selbst willen wahrzunehmen: was es beschäftigt und was sich in ihm innerlich bewegt, um so sich selbst liebevoll nahe zu kommen – so wie man einem Geliebten nahekommen und bei ihm verweilen möchte. Langsam gibt die eigene innere Wirklichkeit den Blick in die Gründe frei, die das tägliche Leben und Verhalten aus dem Verborgenen bestimmen, – wenn man gelassen bleibt. Gelassensein bedeutet, dasein zu lassen, was da ist, auch dann, wenn dies Daseiende unangenehm und ent-täuschend ist und den eigenen Erwartungen und Wünschen nicht entspricht.
Kann der Übende diese seine (enttäuschende) Wahrheit anerkennen, so wird Wandlung möglich: er kann die Wahrnehmung seiner inneren Wirklichkeit an dieser überprüfen durch einen zweiten Blick. Ebenso kann er die Interpretation überprüfen, die er seiner Wahrnehmung gibt. Auf diese Weise kann er frei werden von alten, verzerrenden Mustern. Das bislang Vermiedene, das hinter seinen „falschen“ Gründen steckt und ihn dazu antrieb, beginnt, sich in sein Seelenleben zu integrieren. Noch wichtiger aber ist, was dabei „nebenher“ und gratis geschieht: eine innerliche Berührung, die „ewiges Leben“ vermittelt; Anhauch eines Nichts, das die Flamme reiner Liebe nährt. Davon kommen Würde und Freiheit und eine unbedingte Bejahung. Zu Beginn des spirituellen Weges verspürt man nur einen Trost und eine Sehnsucht. In dieser Erfahrung liegt der Keim einer anderen Erfüllung als der, die unsere Kultur propagiert, und eines anderen Lebens als dem, das aus Arbeit und Spass besteht. Doch im Alltag werden dieser Keim und die Sehnsucht durch Vielerlei und Oberflächlichkeit oft erstickt. Wer also auf dem Weg bleiben will, dem ist es eine große Hilfe, sich täglich und monatlich eine Zeit des Innehaltens und jährlich eine Zeit des Tiefergrabens zu reservieren. Auf diese Weise bereitet er sich, nicht nur Trost zu erfahren, sondern auch den zu erkennen, der den Trost spendet.
Deshalb sind also Grundübungen stets aktuell. Ich möchte Sie/Euch dazu einladen.
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Liebe, nicht Disziplin
Bertram Dickerhof SJ, März 2013
Im letzten Newsletter habe ich eine „kleine“ Übung für die Fastenzeit vorgeschlagen. Ich hoffe, dass diejenigen, die sie ausprobiert haben, etwas von ihrer wohltuenden, zentrierenden Wirkung erfahren haben. Und ich hoffe und wünsche ihnen, dass Sie sie bis Ostern weiterführen können, vielleicht sogar darüber hinaus.
Letztlich ist sie nicht mit Disziplin aufrecht zu erhalten, sondern mit Liebe. Liebe gegenüber dem Menschen, der je ich selber bin. So wird sie zu einer Verlängerung der Liebe und Gutheißung des Schöpfers gegenüber mir, seinem Geschöpf – „und siehe, es war sehr gut!“ Sie ist Annahme dieser Liebe, die besteht, auch wenn der Übende sich dabei in Weh und Ach und Enttäuschung vorfindet, krank und schwach, wie manche von Euch es in den letzten Wochen vielleicht tatsächlich gewesen sind. Auf solchen trüben Wegen des Lebens ist der Übende herausgefordert, der Bejahung durch Gott zu vertrauen – sogar blind, wenn die Stimmung düster ist. Weiter auf diesem Weg wird man selbst zum Liebenden, d.h. zum Annehmenden, zum Bejahenden. Denn die Liebe ist nicht zuerst eine Sache des guten Willens; den braucht man auch, um übernommene Aufgaben zu erfüllen. Sie ist auch nicht zuerst Sache des anderen, der liebenswert erscheinen muss, um sich ihm liebend zuwenden zu können: denn oft erscheint er dem Betrachter nicht so. Quelle der Liebe ist die Annahme, die der Übende erfährt und die ihm selbst gilt – gerade dann, wenn er sich auch in düsteren Stunden so dasein lässt, wie er sich wahrnimmt.
Da beim Weitergehen auf diesem Übungsweg manche Hindernisse begegnen, ist Unterstützung nötig. Helfen kann das Gespräch mit einer Person, die ebenfalls auf diese Weise unterwegs ist. Helfen kann auch ein Kurs im Ashram Jesu. Unsere Kurse, besonders die Grundübungen, lassen einen achtsamen, gelassenen, liebevollen Umgang mit sich, den anderen, der Erde erfahren. Unsere Ausbildung „achtsam, gelassen, liebevoll“, die gerade läuft, dient dazu, regionale Gruppen aufbauen zu können, in denen Gleichgesinnte miteinander üben und sich unterstützen. Ferner beschäftigt mich die Idee, über diesen Kreis hinaus Menschen miteinander zu verbinden, die die Reise des Verweilens beim Inneren, des Gebets, im Alltag unternehmen wollen.