Diese Webseite verwendet Cookies, um die Benutzerfreundlichkeit zu erhöhen.
Bitte lesen Sie
Abschnitt 3 unserer Datenschutzerklärung,
um mehr über die verwendeten Cookies zu erfahren.
Durch die fortgesetzte Nutzung dieser Website oder durch Klicken des Buttons in dieser Infoleiste, stimmen sie unserer Datenschutzerklärung und – sofern Ihr Browser so eingestellt ist – der Verwendung von Cookies zu!
Ich verstehe und stimme zu
Wenn Ihr Browser so eingestellt ist, dass eine Nutzung von Cookies nicht möglich ist,
können Sie unter Umständen einige Seiten dieser Website nicht nutzen.
Wenn Sie mehr über Cookies und Einstellmöglichkeiten in Browsern in Erfahrung bringen wollen,
informiert Sie detailliert die Webseite allaboutCookies.org.

Spirituelle Impulse und Anregungen

Übersicht

Ein Klick auf den Impuls, der Sie interessiert, führt Sie zur entsprechenden Stelle im Dokument.

Die Impulse sind nach Datum geordnet

Scheitern einräumen
Alfons Gierse, Dezember 2022

Innehalten
Bertram Dickerhof SJ, September 2022

An Grenzen aushalten
Petra Maria Hothum SND, August 2022

Die Kunst der Erinnerung
Ada v. Lüninck, Juli 2022

Begegnung mit der eigenen Wirklichkeit im Spiegel der Natur
Petra Maria Hothum SND, Juni 2022

Pfingsten: Geburtsstunde der Kirche
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2022

Ostern
Bertram Dickerhof SJ, April 2022

Unsichere Zeiten
Bertram Dickerhof SJ, März 2022

Missbrauch
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2022

Begegnung mit der eigenen Wirklichkeit im Spiegel der Natur
Petra Maria Hothum SND, Januar 2022

Sich selbst sein lassen
Petra Maria Hothum SND, Dezember 2021

Das Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus
Bertram Dickerhof SJ, September 2021

„Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!“ (Mk 6,31).
Petra Maria Hothum SND, Juli 2021

Das Gleichnis Jesu von der selbstwachsenden Saat
Petra Maria Hothum SND, Juni 2021

Strukturen sind wichtig, wichtiger noch ist aber die Personwerdung des Menschen
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2021

Elija: vom Kämpfen-Müssen zum Sein-Dürfen
Bertram Dickerhof SJ, April 2021

Von der Stärke, seine Schwachheit anzunehmen
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2021

Die Hände von Barlachs lehrendem Christus
Petra Maria Hothum SND, Januar 2021

Weihnachten
Petra Maria Hothum SND, Dezember 2020

Graswurzelkirche
Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2020

Unser Streben nach Glück und die Erfüllung, die bleibt
Bertram Dickerhof SJ, September 2020

Die Not-wendigkeit des Innehaltens und Verweilens bei dem, was ist.
Petra Maria Hothum SND, August 2020

Corona und Achtsamkeit
Petra Maria Hothum SND, Juni 2020

Die Beziehung zu Gott wachsen lassen
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2020

Einander begegnen
Petra Maria Hothum SND, April 2020

Blick' in dein eig'nes Herz!
Petra Maria Hothum SND, März 2020

In innerer Freiheit leben ist wichtiger als Besitz, Macht und Ansehen
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2020

Empfänglichkeit und Offenheit
Bertram Dickerhof SJ, Januar 2020

Innehalten – Innewerden – Sich wandeln lassen – Tun: der Weg zu bleibender Erfüllung
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2019

Klimawandel und Religion
Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2019

Der Blick ins Innere
Petra Maria Hothum SND, Juni 2019

«Der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, taugt nicht.»
Petra Maria Hothum SND, April 2019

Suche, ohne zu suchen!
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2019

Die Heiligen Drei Könige
Bertram Dickerhof SJ, Januar 2019

Weihnachten
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2018

Dasein im Schauen
Petra Maria Hothum SND, Oktober 2018

Tod
Bertram Dickerhof SJ, August 2018

„Ashran Jesu” — der Name
Bertram Dickerhof SJ, Juni 2018

Ostern
Bertram Dickerhof SJ, April 2018

Passion
Bertram Dickerhof SJ, März 2018

Weihnachten erfahren
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2017

Virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent
Bertram Dickerhof SJ, November 2017

Spirituelle Spurensuche
Bertram Dickerhof SJ, October 2017

Gruppendynamisches Training im Ashram
Bertram Dickerhof SJ, September 2017

Enttäuschung
Petra Maria Hothum SND, August 2017

Beten
Bertram Dickerhof SJ, Juni 2017

Die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2017

Der Ashram im Alltag
Bertram Dickerhof SJ, April 2017

Was den Ashram Jesu charakterisiert
Bertram Dickerhof SJ, März 2017

Das verhüllte Kreuz
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2017

In Gott verankert
Bertram Dickerhof SJ, Januar 2017

Weihnachten
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2016

Virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent
Bertram Dickerhof SJ, November 2016

Vergebung
Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2016

Gipfelerfahrung und alltägliche Praxis
Bertram Dickerhof SJ, September 2016

Sommerauszeit im Ashram Jesu
Petra Maria Hothum SND, August 2016

In Kontakt mit sich selbst sein
Petra Maria Hothum SND, Juli 2016

Den entscheidenden Schritt wagen
Bertram Dickerhof SJ, Juni 2016

Schaffen wir das?
Elisabeth Vosen, Mai 2016

Ostern
Bertram Dickerhof SJ, April 2016

Kreative Hoffnungslosigkeit
Alfons Gierse, März 2016

Der spirituelle Weg
Bertram Dickerhof SJ, Januar 2016

Lotus und Kreuz
Bertram Dickerhof SJ, September 2015

Flüchtlinge
Bertram Dickerhof SJ, August 2015

Sich selbst sein lassen
Petra Maria Hothum SND, Juli 2015

Bei den Dingen, nicht in den Dingen
Bertram Dickerhof SJ, Juni 2015

Gebet
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2015

Die drei Heiligen Tage
Bertram Dickerhof SJ, April 2015

Standhalten lernen
Bertram Dickerhof SJ, März 2015

Beheimatung in sich selbst
Bertram Dickerhof SJ, Januar 2015

Weihnachten
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2014

Virtuelle Meditationsgemeinschaft
Bertram Dickerhof SJ, November 2014

Zwei Welten
Bertram Dickerhof SJ, September 2014

Wir sind hier nicht bei WÜNSCH DIR WAS, sondern bei SO ISSES!
Petra Maria Hothum SND, Juli 2014

Pfingsten, Unterstützer*innentreffen
Bertram Dickerhof SJ, Juni 2014

Berufsbegleitende Auszeit
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2014

Ostern
Bertram Dickerhof SJ, April 2014

Notwendigkeit des Gebets
Bertram Dickerhof SJ, März 2014

Weihnachten
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2013

Innehalten im Advent
Bertram Dickerhof SJ, November 2013

Grundübungen
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2013

Liebe, nicht Disziplin
Bertram Dickerhof SJ, März 2013

Innehalten im Alltag
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2013

Grund-Übungen
Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2012

Gemeinschaft im Ashram
Bertram Dickerhof SJ, pril 2012

Winter im Ashram
Bertram Dickerhof SJ, Februar 2012

Lassen braucht Muße
Bertram Dickerhof SJ, November 2011

Die wahre Herausforderung im Leben
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2010

Alternative
Bertram Dickerhof SJ, Mai 2008

Geistlicher Tag
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2007

Wirksamkeit des Ashram
Bertram Dickerhof SJ, Juli 2007

Was im Ashram geschieht
Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2006

 

Alfons Gierse, Dezember 2022

Scheitern einräumen

Unsere Tochter hat sich nach langem Ringen vor eineinhalb Jahren von ihrem Mann getrennt. Die Scheidung steht kurz bevor. Doch möchte ich an dieser Stelle nicht über das Scheitern von deren Ehe schreiben, sondern vielmehr über mein eigenes Ringen und Scheitern. Ich möchte über die Krise sprechen und reflektieren, in die mich dieses Ereignis hineingestürzt hat.

Als Eheberater habe ich tagtäglich mit den Krisen von Paaren zu tun und kann damit in professioneller Weise umgehen. Die sich abzeichnende Beziehungskrise unserer Tochter und unseres Schwiegersohnes hat mich dagegen mit einer inneren Lähmung und Handlungsunfähigkeit konfrontiert – hin- und hergeworfen zwischen der Weigerung, das was ist, zu akzeptieren und der immer wieder aufkeimenden Hoffnung, dass die Beziehung dennoch weitergeht. Das endgültige Aus schließlich war für mich wie ein Katalysator für ein unentwirrbar scheinendes Gemisch unterschiedlicher Gefühle und Stimmungen: Traurigkeit, Ärger, Wut und Enttäuschung, Solidarisierung mit dem Schwiegersohn, Abwertung der eigenen Tochter, insgeheimen Erwartungen und Vorwürfen. Und wo ich diese Zeilen schreibe komme ich erneut in Kontakt mit dem Gefühl der Scham, all dies in der Weise gefühlt – und vor allem aus den Gefühlen heraus gehandelt zu haben. Biografisch erlernte Strategien und Muster der Stressbewältigung und Beziehungsgestaltung lebten neu auf, mich davon zu entkoppeln war mir nicht möglich. Ich steckte fest im Widerstand, einem Widerstand, der nach außen hin dem Ende der Ehe „unserer Kinder” galt, der sich nach und nach jedoch als Widerstand nach innen entpuppte, die eigenen Erwartungen und Projektionen aufzugeben.

Das Scheitern ihrer Ehe konfrontierte mich mit dem Scheitern meiner eigenen Ansprüche und Zuschreibungen, mit dem Scheitern dessen, was ich für sie angestrebt, gesucht, ersehnt und erhofft hatte. „Wir haben so viele Krisen und schwere Zeiten gemeinsam durchgestanden und ihr gebt so schnell auf” – Das Scheitern ihrer Ehe brachte das mögliche aber als Möglichkeit ausgeblendete Scheitern der eigenen Ehe schmerzhaft ins Bewusstsein. Risse und Brüche taten sich auf: Zwischen mir und meiner Tochter auf der Beziehungsebene; zwischen dem Theologen, der vor 25 Jahren über den barmherzigen Umgang mit wiederverheiratet Geschiedenen geschrieben hat (was ihm fast den Job gekostet hätte) und dem Vater, der es nicht fertigbringt, diese Theorie praktisch werden zu lassen.

All das sickerte allmählich im meine bewusstere Wahrnehmung, hob aber mein Dilemma nicht auf, in dem ich steckte – oder besser meinte zu stecken: Entweder ich gebe meine eigenen Geltungsansprüche bzgl. einer (aus dem Glauben gelebten) Ehe auf und gehe neu in Beziehung oder ich bleibe bei meinen inneren Bildern und Vorstellungen und verrate die Beziehung. Wie kommt man aus einem solchen Dilemma heraus? Nicht durch unbekümmerte Suche oder durch theoretische Gedankenspiele. Auch nicht in Form theologischer Reflexion, die in und aus abgeklärter Ruhe entsteht und darin verläuft. Die Wende kam nicht aus eigener innerer Kraft, aber auch nicht einfach von außen durch eine Handlungsanweisung. Die Wende ereignete sich. Sie ereignete sich nach einem gemeinsamen Frühstück mit meiner Frau in der Küche im Türrahmen zum Hauswirtschaftsraum, die Türklinke in der Hand, die Tasche gepackt für den Weg zur Arbeit. „Es” schüttelte mich durch und durch, ein körperliches Beben bis zur Erschöpfung, das Hemd durchnässt von Tränen und Schweiß. Die ganze psychische und physische Not brach sich Bahn – gehalten von und in den Armen meiner Frau. Ich hatte das Gefühl, als würde der Stein vom Grab weggerollt, als öffnete sich dahinter ein Raum, in dem es möglich sein würde, die Dinge anders zu sehen und ggf. neu handzuhaben. Heute würde ich sagen, die Wende zum Neuen kommt nicht aus eigener Kraft, ist kein Entwurf und kein Projekt, über das ich souverän verfügen kann. Die Wende zum Neuen trägt sich zu, stellt sich ein, wird geschenkt – und zwar da, wo ich im Bewusstsein des Widerstands zum Grab gehe, wie Bertram es in seinem Buch schreibt. Die Frauen am Ostermorgen oder die Jünger auf dem Weg nach Emmaus geben dem Scheitern Raum und inmitten dieser „Raumgabe” geschieht die Wende zum Neuen, die den bisherigen Rahmen übersteigt – „Auferstehung”.

Mit innerem und äußerem Abstand kann ich sagen, dass diese Erfahrung meine Sicht auf viele Dinge noch einmal verändert hat. Das betrifft zunächst das Gottesbild: Gott steckt oder ereignet sich inmitten der Lebenswenden im Tod des Scheiterns. Gott ist kein Gott souveräner Erfolge. Sein Ort ist der Raum, der sich im Scheitern öffnet und in dem in dem sich neue Lebens- und Beziehungsmöglichkeiten erschließen.

Menschlich leben heißt nicht, eine souveräne, unverwundbare Identität aufzubauen, sondern in befreiender Weise neue kreative Lebensmöglichkeiten in und aus Scheitern zu entdecken und dadurch herrschende Raster in Frage zu stellen, die über die Anerkennung von Menschen entscheiden.

Es geht in Kirche und Welt um jenes andere „neue” Leben, das möglich wird durch wahre Begegnung jenseits von theologischen, moralischen oder gesellschaftlichen Rastern; um Beziehungen, die mich tiefer an die Wirklichkeit der Anderen bindet, als mir zuvor bewusst war oder ich es zulassen konnte.

Ein paar abschließende Gedanken zu dem Bild: Bei einem meiner Spaziergänge während unseres Sommerurlaubs ganz im Norden von Rügen stand ich vor diesem Stein – und ich wusste, dass dies das Bild für den Oktober-Newsletter ist. Da ist etwas unwiderruflich zerbrochen. Es gibt kein Zurück in eine zuvor existierende Ganzheit. Beide Teile tragen in den Flechten Spuren einer gemeinsamen Wirklichkeit, die wie ein Narbengewebe anmuten. Ein kleines Dreieck überragt den Spalt – Sinnbild einer tastend-zaghaften Wiederannäherung.

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2022, September 2022

Innehalten

Die TeilnehmerInnen an unseren Jahreskursen wie z.B. der Spirituellen Spurensuche richten in ihrer täglichen Routine eine halbe Stunde des Innehaltens und Innewerdens ein. In dieser stillen Zeit üben sie etwa 20 Minuten Meditation und 10 Minuten Betrachtung eines geistlichen Textes. Nach einiger Zeit zeigen sich ihnen Auswirkungen dieser Praxis auf ihren Alltag:

Sie erzählen dann, dass es immer wieder vorkomme, dass ihnen in der Meditation eine Idee einfällt, wie sie mit einem Problem, das sie umtreibt, umgehen können. Diese Idee sei nicht nur ein Gedanke und eine Möglichkeit, sondern sie „durchfahre” ihre ganze Person so konkret, dass sie die Umsetzung nicht überlegen müssen, sondern sie aus ihrer Personmitte heraus einfach vollziehen. Manchmal koste es Mut und Vertrauen, dieser Eingebung zu folgen. Aber sie fühlten sich identisch mit sich selbst dabei; es „stimme” einfach. Oft habe dies die Lösung gebracht oder zumindest vorbereitet.

Ebenfalls sprechen sie von einem Puffer, den die Stille Zeit errichte zwischen ihrer Person und den Kräften, die im Alltag auf sie einwirken. Durch diesen Puffer haben sie Abstand zu den Geschehnissen, und das sei sehr gut. Sie können nämlich dadurch den Ereignissen mit größerer innerer Gelassenheit und Freiheit begegnen, statt aus den eigenen Mustern auf sie reagieren zu müssen. Dieser Abstand verändere auch ihr Verhalten in Beziehungen. Da sie aber ihrer selbst und ihrer inneren Bewegungen bewusster seien, verlören sie sich weniger in Rivalität oder Identifikation mit dem Gegenüber, mit dessen Gefühlen und Erwartungen. Sie seien sich deutlicher ihrer selbst, ihres Gegenübers als Anderem und der Beziehung zwischen ihnen beiden bewusst.

Diese Erfahrungen der TeilnehmerInnen bestätigen die Erfahrungen mit der täglichen Zeit der Stille, die ich vor fast 50 Jahren begonnen habe. Diese Praxis hat den Grund gelegt, aus dem mein Leben und mein Glaube gewachsen sind. Ohne eine Praxis des Seiner-selbst-Innewerdens hängen die Formeln des Glaubens quasi in der Luft: „Gott ist unbedingte Liebe” – wunderbar, aber wo wird das erfahren? Der Zustand der Welt lässt dieses Urteil ja nicht ohne weiteres zu. „Wir sind Kinder Gottes” – großartig, doch wenn dieses Selbstverständnis nicht Fleisch bekommt und mehr und mehr unser Sein prägt, dann hat das Ethos des Evangeliums im Alltag wenig Chance auf Verwirklichung. Religion verfällt dann zu einer Inszenierung Gottes. Meister Eckhart kennt dieses Problem. Er unterscheidet zwischen einem Gott, der durch Worte oder liturgische Vollzüge „da” ist, und einem Gott, der dem Menschen innerlich ist und sein Wesen durchseelt. Er schreibt dazu in den Reden der Unterscheidung (Nr. 6):

„Der Mensch soll sich nicht genügen lassen an einem gedachten Gott; denn, wenn der Gedanke vergeht, so vergeht auch der Gott. Man soll vielmehr einen wesenhaften Gott haben, der weit erhaben ist über die Gedanken des Menschen und aller Kreatur. … Wer Gott so, d.h. im Sein, hat, der nimmt Gott göttlich, und dem leuchtet er in allen Dingen; denn alle Dinge schmecken ihm nach Gott, und Gottes Bild wird ihm aus allen Dingen sichtbar. In ihm glänzt Gott allzeit, in ihm vollzieht sich eine loslösende Abkehr und eine Einprägung seines geliebten, gegenwärtigen Gottes.” In der Ãœbung der Meditation, im Gewahrwerden seiner selbst und im Loslassen der Anteile seiner selbst, die der Wirklichkeit widersprechen, die sich hier und jetzt enthüllt, wird Gott dem Menschen wesentlich.

Auf diese „loslösende Abkehr” vom Lebensstandard und -genuss der letzten 50 Jahre wird es ankommen in der Wirklichkeit der Zeitenwende, in der wir durch Klimakatastrophe, Krieg, Teuerung, … stehen. Die Umkehr wird eher zu bewältigen sein, wenn uns „alle Dinge nach Gott schmecken” und wir in allen Unsicherheiten, Verlusten und vielleicht auch Leiden vom Glanz Gottes durchdrungen sind.

So werde ich nicht müde, Euch zu empfehlen, auch in Eurem Alltag eine Zeit der Stille einzurichten.

 

Petra Maria Hothum SND, August 2022

An Grenzen aushalten

„Wo Muster ist, soll Freiheit werden!” – Diese plakativen Worte gehen mir nach, seit ich sie vor einigen Wochen in einer Predigt Bertrams zu den Nachfolgebedingungen im Lukas-Evangelium gehört habe. Bertram fasst damit zusammen, worum es in der Nachfolge Jesu geht. Nämlich darum, aus unseren Mustern, die uns normalerweise wie selbstverständlich antreiben und regieren, herauszukommen und immer mehr zu dem Menschen zu werden, der wir in Wahrheit sind, zu einem Menschen, der aus dem verborgenen Grund aller Wirklichkeit, der unbedingte Liebe ist, in innerer Freiheit leben und handeln kann – so wie Jesus es getan hat.

Diese Perspektive, die in der Nachfolge Jesu eröffnet wird, klingt verlockend und einladend. Denn: Wer möchte das letztlich nicht? Wer möchte einengende Verhaltensweisen und stereotype Muster nicht gerne hinter sich lassen? Wer möchte nicht innerlich frei sein und sein Leben und Handeln dementsprechend gestalten können? Wer möchte nicht die Person sein, die er oder sie in Wahrheit ist und sich als solche bedingungslos angenommen und geliebt wissen? – Tief in uns Menschen gibt es diese Sehnsucht, eine Sehnsucht, die über alles, was die Welt bieten kann, hinausgeht, eine Sehnsucht allerdings auch, die vielfach verdeckt oder verschüttet ist durch all das vordergründig Drängende, zu Erstrebende oder zu Vermeidende, das uns beschäftigt und in unseren Mustern gefangen hält.

„Wo Muster ist, soll Freiheit werden!” – Wie kann dieser Verwandlungsprozess geschehen? Damit Muster und Automatismen ihre Selbstverständlichkeit und ihre Macht über uns verlieren können, müssen sie uns überhaupt erst als solche bewusst werden. Das wiederum ist alles andere als selbstverständlich, denn sie sind uns ja derart nah und wir sind derart mit ihnen verwoben, dass wir sie nicht ohne weiteres vor uns bringen und anschauen können. Dafür braucht es Abstand, einen Abstand, der vor allem dann entsteht, wenn wir an eine Grenze stoßen, wenn also das vermeintlich Selbstverständliche in Frage gestellt oder uns gar entzogen wird, es uns nicht mehr oder zumindest nicht im üblichen Maße zur Verfügung steht.

Was an dieser Grenze geschieht und warum sie so bedeutsam ist auf dem Weg der Nachfolge, führt Bertram in seiner Predigt folgendermaßen aus: „An der Grenze geht es nicht mehr mit dem Selbstverständlichen. Damit liefert die Grenze uns die Chance, uns dessen bewusst zu werden, was uns eigentlich in die Richtung getrieben hat, die uns die Grenze nun verlegt. Wir bekommen an der Grenze die Chance, etwas des uns Selbstverständlichen zu gewahren. Und wir kommen vor die Entscheidung, ob wir daran festhalten – auf Biegen und Brechen sozusagen – oder ob wir uns auf die Seite der Wirklichkeit stellen, die sich uns an der Grenze zeigt und ob wir uns von den Tatsachen führen lassen. Wir kommen vor die Entscheidung, ob wir die ‚Dinge' partout so haben wollen, wie wir sie haben wollen und schon immer gehabt haben oder ob wir die Wirklichkeit als solche anerkennen. Und wer Letzteres tut und seinen Antrieb, der ja jetzt ohnehin nicht funktioniert, loslässt, der erfährt Befreiung zu sich selbst. Er muss nicht das erreichen, wohin er unterwegs war; er kann ohne das leben. Er muss z.B. keinen Titel haben, kein stetig wachsendes Bankkonto, kein Ansehen und keinen Ruhm, um leben zu dürfen. Das Leben speist sich aus einer anderen Quelle, die tief in uns, aber zu der unser Zugang dünn ist. Und da wird er geweitet, das geschieht an der Grenze. Wir werden mehr der Mensch, der wir sind; wir werden mehr in unserem Kern gegründet, der Gott ist. …

Das Aushalten an der Grenze ist das, was wir in der Meditation zu üben versuchen: wir halten die Hitze aus, das Schwitzen, die Langeweile, den Schmerz … – so gut wir es halt können. Das verändert uns. Buddha sieht das genauso: ‚Das Aushalten beim Unangenehmen ist das herausragende Mittel zur Reinigung des Geistes' (Dhammapada), der dadurch freier wird.” (zitiert aus der Predigt von Bertram zu Lk 9,51-62 am 26.06.2022)

Dass uns Weitung, Freiheit und wahres Leben im Aushalten an der Grenze zuwachsen können, ist zutiefst herausfordernd, und zugleich ist es Frohe Botschaft, gerade in einer Zeit, in der es an vielfältigen Grenzsituationen – ausgelöst durch Corona-Pandemie, Klimawandel, Krieg, Teuerung, Energieknappheit usw. mit allen damit zusammenhängenden Entwicklungen, Fragen und Unsicherheiten – nicht fehlt.

 

Ada v. Lüninck, Juli 2022

Die Kunst der Erinnerung

”Erinnere dich an das klare Licht, das reine, klare, weiße Licht, von dem alles im Universum abstammt, zu dem alles im Universum zurückkehrt, die ursprüngliche Natur deines eigenen Geistes. (…)”

Diese Einladung aus dem Tibetanischen Totenbuch berührt mich jedes Mal, wenn ich den Text lese oder er mir einfällt. Spontan schenke ich der Aussage Vertrauen. Mich berührt, dass ich mich erinnern soll. Mir wird zugesagt, dass ich das, was mir hier mitgeteilt wird – meine ursprüngliche Natur sei dieses reine, klare, weiße Licht – dass ich das schon weiß. Und ich ahne, dass das stimmt. Ich merke meine Sehnsucht danach: nach diesem Licht, nach meiner „ursprünglichen Natur” , nach meinem eigentlichen Selbst.

Bei näherem Hinschauen wird mir jedoch mitunter bewusst, dass ich mich erst einmal nach der Fähigkeit sehne, mich an so etwas Schönes in mir selbst überhaupt erinnern zu können, und mir fällt alles ein, was mich daran hindert, ich ergehe mich in der Betrachtung meiner vielen schlechten Eigenschaften, meiner traurigen Erfahrungen, all der – tatsächlichen oder auch nur von mir so zugeordneten – Finsternisse, die ich in mir vorfinde.

Das Tibetanische Totenbuch ist dazu geschrieben, dass es Sterbenden vorgelesen wird, um ihnen in den Wirren des Abschieds von ihrem irdischen Leben den Weg zu weisen.

Und ich nehme im Moment wahr, wie wir in unserem von Wohlstand, Sicherheit und Frieden verwöhnten Land von manchem Abschied nehmen müssen, das wir für so selbstverständlich hielten, dass wir nicht einmal darüber nachgedacht haben: von der Gewissheit, im Winter eine schön warme Wohnung zu haben; von der Annahme, dass Frieden zwischen den Völkern ein von allen Menschen geteiltes Ziel ist; von der Möglichkeit, mit Menschen in Kontakt zu sein, wann immer wir wollen; und vieles mehr. Für mich beinhalten Grundübungen im Ashram Jesu nicht zuletzt die Einladung, mich in allen äußeren und inneren Wirren wieder erinnern zu lernen. Ich finde dort, fern von meinem Alltagstun, das sonst meine Gedanken besetzt hält, einen geschützten Raum, in dem ich es wagen kann, mich dem, was mich innerlich bewegt, auszusetzen und dabei auch zu bleiben. Indem ich dabei bleibe, übe ich – gerade, wenn es unangenehm ist – Vertrauen in ein Nichts hinein, das, wie sich zeigt, doch trägt durch mein Bleiben hindurch.

 

Petra Maria Hothum SND, Juni 2022

Begegnung mit der eigenen Wirklichkeit im Spiegel der Natur

Immer wieder hält die Natur rund um den Ashram Jesu spezielle „Schönheiten” und Ãœberraschungen bereit. So vor ein paar Jahren dieses schlichte und doch eindrückliche Bild von Leben und Hoffnung: eine kleine, leuchtende Blume, die inmitten der Enge und Bedrängtheit durch die Pflastersteine in unserem Hof einen Weg gefunden hat, zu wachsen und sich zu entfalten. Sie hätte wohl nie einen Preis gewinnen können für vollkommene Schönheit und Perfektion und wurde vermutlich von vielen Vorübergehenden gar nicht erst wahrgenommen. Aber den einen oder die andere hat sie doch in ihren Bann gezogen und eingeladen, genauer hinzuschauen und ihren Anblick auf sich wirken zu lassen. Und auch als wir vor ein paar Jahren Bild-Motive ausgewählt haben für die Info-Wände unseres Ashram-Stands beim Katholikentag, war das Foto dieser kleinen Blume mit dabei.

Für mich spricht es von Annahme, selbstverständlichem Dasein, Lebenskraft inmitten von dem, was ist. Diese kleine Blume ist unspektakulär und erregt kein großes Aufsehen. Aber sie ist da, einfach da – so wie sie ist: mit beschädigten Blütenblättern, mit ihrem Schatten, umgeben von Steinen, etwas Gras, Unkraut, Schmutz … und zugleich beschienen von der Sonne und selbst leuchtend. Sie ist versehrt und wirkt dennoch kraftvoll. Dass sie nicht ohne Blessuren davongekommen ist, tut ihrer Strahlkraft keinen Abbruch, vielmehr verleiht es ihr eine ganz eigene Würde. Es wirkt, als gehöre diese Blume genau dorthin, als habe sie ihren Platz gefunden und angenommen – inmitten von alldem, was ebenfalls da ist, was dort auch noch wächst und herumliegt, was vielleicht herumkriecht, an ihr schnuppert und nagt.

Das Bild dieser kleinen Blume kann einladen,

Vielleicht kann gerade die vor uns liegende Zeit des Sommers und Urlaubs Chancen bieten, uns zu öffnen für die kleinen und großen „Schönheiten” der Natur, in ihnen Bilder des Lebens zu entdecken, uns selbst darin zu begegnen und dem, worin unser Leben zutiefst gründet. Das jedenfalls wünsche ich uns allen von Herzen!

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2022

Pfingsten: Geburtsstunde der Kirche

Aus kleinen Anfängen in den Wohnungen der ersten Christen sind in unseren Breiten staats- und moraltragende Volkskirchen geworden. Nun läuft ihnen jedoch nicht nur das Volk davon. Nur noch sehr wenige Menschen treten in einen Orden ein oder wählen eine kirchliche Laufbahn, weder in der katholischen noch in der evangelischen Kirche. Es ist daher nur eine Frage der Zeit, bis in der Fläche die Glocken nicht mehr läuten, die Lichter religiöser Angebote ausgehen, die Kirchen leer stehen und verfallen. Es braucht eben Menschen, die Verantwortung übernehmen und sich engagieren. War es vor allem das, was an Pfingsten geschah? Dass aus Schülern, Fischern zumeist im Erstberuf, keinen Theologen, die zudem den Meister zu dessen Lebzeiten nur anfänglich verstanden hatten und durchaus Anstoß an ihm nahmen, Menschen wurden, die sich in der Öffentlichkeit hinstellten mit einer Botschaft, die den Widerspruch der Eliten und vieler Volksgenossen hervorrufen musste, und sich um diejenigen sorgten, die sich ihnen anschlossen.

Vor dieser Geburtsstunde der Bekenner und Verantwortungsträger am Pfingsttag hat der Geist Gottes jedoch schon lange im Verborgenen geweht. Sein Wirken beginnt damit, dass die Unruhe, die in jedem Menschen lebt, zu Bewusstsein kommt als nicht zu stillende Sehnsucht. So wird es auch in denen gewesen sein, die zu Jesu Jüngern wurden, weil sie ihn als jemanden erfuhren, der „Worte ewigen Lebens” hatte. Er wird ihr Lehrer, ihr Meister. Sie folgen ihm durch Durststrecken und Krisen und erkennen in ihm schließlich den Messias. Um so mehr blicken sie auf ihn, ihr leibliches Gegenüber. Sie schauen nach außen und vergessen dabei sich selbst und ihre Gefühle. Sie fragen nicht nach, als er von seinem Tod und seiner Auferstehung spricht, obwohl sie ihn nicht verstehen und nehmen weder ihre Ambivalenz ihm gegenüber noch ihre Angst ernst. Doch im Äußeren kann die Erfüllung der Sehnsucht des Herzens nicht gefunden werden. Es braucht die Wende nach innen und das Durchleben des Inneren. Das aber ist eine Lektion, die nur durch Erfahrung gelernt werden kann. Die Hinrichtung Jesu als Gotteslästerer stürzt die Jünger in eine Krise, die sie mit den Bewegungen ihres Herzens konfrontiert, ob sie wollen oder nicht: Trauer und Wut, Angst und Schuld, Scham und Ohnmacht, Gefühle, an denen sie schwer tragen oder die aus ihrer Sicht gar nicht sein dürften. Lukas ist es wichtig, uns darauf hinzuweisen, dass die Jünger nach Jesu Tod fünfzig Tage lang am selben Ort bleiben, wo ihnen der Auferstandene erscheint, zu ihnen vom Reich Gottes spricht und mit ihnen Mahl hält. Nach seiner Himmelfahrt bleiben sie im Gebet versammelt. Was kann das anderes bedeuten, als dass sie in dieser Klausur ihr Inneres durchleben und dem, was sie dort vorfinden, standhalten; dass ihr Erleben durch Schicksal und Lehre Jesu gedeutet wird und dass sie so ihrem wahren Selbst begegnen, in dem sie den auferstandenen Gekreuzigten wiedererkennen? Die Feier der Eucharistie und das Gebet sind die zwei Pfeiler der Praxis des Innehaltens und Seiner-Selbst-Innewerdens. Diese Praxis öffnet die „Täler und Tiefen des Herzens, in denen der Geist Gottes Raum finden kann” (Tauler). In der Erfahrung des Trostes, des Friedens und der Freude, die der Geist schenkt, liegt die Kraft, dem Sog der sichtbaren Welt mit ihrer Faszination, ihren Sorgen, ihren Zerstreuungen, ihrer Vergessenheit des Todes nicht zu erliegen. Nur durch Erfahrung bekommt die Welt Gottes Gewicht. Und dann kann der Mensch die Einladung vernehmen, das zu teilen, was er erfahren hat. Wer es wagt, sein gefühlt Zuweniges auszuteilen, erlebt das Wunder der Brotvermehrung: dass das anscheinend Ungenügende genügt, um den Hunger anderer zu stillen. Dann ist es offenkundig Pfingsten geworden.

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2022

Ostern

Schon der Ausbruch der Corona-Pandemie hat uns irritiert. Plötzlich ging nicht mehr, woran man ein Leben lang gewöhnt war: der morgendliche Weg ins Büro; planen, wie man will, und reisen, wohin man will; kulturelles Leben. Die Auffassung vom Dasein, die viele Jahre in der Luft lag, nämlich ein bequemes Leben zu führen, das man nach dem eigenen Geschmack gestalten und genießen kann, erhielt Dellen. Dann kam die Regenkatastrophe, die Ahr- und Erfttal zerstörte und 180 Menschen in den Tod riss …, ein Vorgeschmack der Klimakatastrophe. Nun ein brutaler Krieg in unserer Nachbarschaft mit Verknappungen, steigenden Preisen, Einbußen an Wohlstand und den bangen Fragen, ob wir, um Putin zu stoppen, nicht mehr Verzicht üben sollten, bzw., ob wir in einen Krieg hineingezogen werden, der am Ende zu einem atomar geführten 3. Weltkrieg wird. Die Bilder aus der Ukraine haben für einen Moment die gängige Ãœberzeugung in Frage gestellt, dass es immer nur die anderen sind, die sterben, und es einen selbst höchstens am Ende trifft, einem Ende, das ganz weit weg ist. Vielleicht ist dieses Ende doch näher als man meinte? Wars das dann mit dem Leben? Ein kurzes Intermezzo …, bestehend aus Hasten nach Befriedigung und Sich-Mühen, Not und Verlust zu vermeiden; beides letztlich vergeblich, da man ja auf jeden Fall drankommt mit Leiden und Sterben. Da beginnt vor knapp 14 Milliarden Jahren ein Universum. Es entwickelt sich. Es entsteht Leben, das schließlich seiner selbst bewusst wird. Und nach einem Nu verschwindet der zu sich erwachte Geist im Nichts? Absurd. Viele halten solche Fragen deswegen von sich fern.

Andere glauben an Ostern.

Angesichts der wachsenden Ablehnung seiner Botschaft und der Tötungsabsichten gegenüber seiner Person durch die Repräsentanten des jüdischen Volkes, entscheidet sich Jesus, alledem nicht auszuweichen, sondern sich ihm zu stellen. Er ahnt den Preis seines Standhaltens: Marter und Tod. Doch ist dieser Tod für ihn mit der Aussicht verbunden, nach drei Tagen aufzuerstehen (Mk 9,31), eine Ãœberzeugung, die aus seinem tiefen Vertrauen stammt. Es war vor dem Paschafest. Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Die Stunde der Vernichtung seines irdischen Daseins ist für ihn die Stunde seiner Verherrlichung beim Vater: einem Gott, der das Universum entstehen ließ, um dem Menschen ewiges Leben zu verleihen. Diese Botschaft bezeugt Jesus mit seiner Existenz. Weil er auf diese Weise seinen Jüngern eine den Tod umfassende Sinnperspektive gibt, ist sein Zeugnis zugleich Tat der Liebe: Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung (Joh 13,1f). Die Jünger bestätigen Jesu Lebenszeugnis. Petrus sagt an Pfingsten über ihn: Gott aber hat ihn von den Wehen des Todes befreit und auferweckt; denn es war unmöglich, dass er vom Tod festgehalten wurde. … Zur Rechten Gottes erhöht, hat er vom Vater den verheißenen Heiligen Geist empfangen und ihn ausgegossen, wie ihr seht und hört. (Apg 2,24.33). Menschen, die etwas von der Würde, Erhabenheit und Zukunft spüren, die die Auferstehung Jesu ihnen eröffnet, verstehen sich als „herausgerufen” aus der Vielzahl derer, die keine Hoffnung haben, und bilden „Ecclesia” , die Kirche.

Wie kommen die verängstigten, durch den Tod Jesu in ihren Messiashoffnungen enttäuschten Jünger zu einem öffentlichen Auftreten mit der Botschaft, dass der nach dem Gesetz verfluchte Jesus zur Rechten Gottes erhöht sei? Eine Botschaft, die ihre Mitwelt vor den Kopf stößt und die Führer des Volkes anklagt? Die Jünger vollziehen, was Jesus tat: sie nehmen ihr Kreuz auf sich. Nach ihrer Flucht bei der Verhaftung Jesu sind sie in den Evangelien von der Bildfläche verschwunden. Es ist nichts mehr zu tun für sie, und so entsteht jener Raum der Stille und des Innehaltens, in dem sie ihrer selbst innewerden und sich ihren Gefühlen stellen müssen und können. Was immer die Grenze, die das Schicksal Jesu auch ihrem Leben setzt, ihnen zu durchleben aufgibt, sie durchleben es – und tragen so das Kreuz, das das Leben in ihren Weg gestellt hat. Sie leiten nicht durch Aktionismus die Spannung ab, in der sie stehen, sondern lassen diejenigen ihrer Vorstellungen los, die der sich enthüllenden Wahrheit im Wege stehen. Solcher Art vorbereitet, begegnet ihnen der Auferstandene. Er ist derjenige, auf den hin sie geschaffen sind. Sie verstehen, dass Grund und Kern ihrer Existenz das verborgene Geheimnis aller Wirklichkeit ist, Gott. Und dass der Mensch dazu bestimmt ist, im Geist der Liebe zu wandeln und zu handeln und ewig in ihr zu sein. Da löst sich etwas in ihnen und öffnet sie: aus Angst wird Frieden, aus Schuld Versöhntheit, aus Feigheit Freimut.

Durchleben der Grenzsituationen, die das Leben bringt, an denen es uns zur Zeit nicht fehlt, Loslassen der eigentümlichen Vorstellungen und Zielsetzungen, die der Wirklichkeit der Grenze widersprechen: der Ort dafür ist die tägliche stille Meditation. Durch sie wächst die Zuversicht, dass das irdische Leben der im Vertrauen zu bewältigende Beginn einer ewigen Zukunft ist, und nicht ein Katze-und-Maus-Spiel des Todes mit hierhin und dorthin irrenden Menschen, die jener früher oder später doch alle frisst. Darüberhinaus befreit die Meditation dazu, eine gegebene Situation den Tatsachen entsprechend zu erkennen und (sach- und personen-) gerecht zu handeln. Eben weil der Tod nicht das letzte Wort hat! Nie war Ostern bedeutungsvoller als in Zeiten wie den unseren.

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2022

Unsichere Zeiten

Was soll man sagen in diesen unsicheren Zeiten, im Blick auf einen Krieg, in dem es einem immer wieder die Sprache verschlägt angesichts wachsender Gewalt, Eskalation und sinnloser Zerstörung, angesichts von unsäglichem Leid so vieler Menschen und auch angesichts der Unwägbarkeiten und weitreichen-den Konsequenzen auf so vielen verschiedenen Ebenen?

Nicht genug, dass Corona die Welt weiterhin im Griff hat, nicht genug mit immer gravierenderen Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels, die uns nahe rücken, nicht genug mit zunehmender Armut, Spaltung, Radikalisierung … in der Gesellschaft, nicht genug mit all den persönlichen Krisen und Schicksalsschlägen, die uns treffen können! – Nun auch das Kriegsgeschehen in der Ukraine, nicht weit von uns entfernt und mit Herausforderungen und Bedrohungspotential auch für unsere Lebenswirklichkeit.

Einmal mehr offenbart sich die Welt von ihrer verwundbaren, brüchigen Seite. Uns wird vor Augen geführt, wie schnell sich vermeintliche Sicherheiten als Illusion erweisen und erschüttert werden können. Unsere Vorstellung von der Selbstverständlichkeit eines Lebens in Freiheit, Frieden, Wohlergehen und Wohlstand wird empfindlich gestört, ja durchkreuzt.

In Verbindung mit dieser unsicheren Wirklichkeit gibt es viel Schlimmes, Ängstigendes, Unverständliches, Leidvolles … Es erwachsen tiefgreifende Fragen und Probleme, für die es keine schnellen Antworten und einfachen Lösungen geben kann, obwohl die Zeit drängt.

Neben alldem hat die Erschütterung von Sicher-Geglaubtem jedoch auch eine heilsame Seite. Sie zeigt die Grenzen der Machbarkeit auf und entlarvt falsche Ansprüchlichkeiten. Sie kann uns öffnen und lehren, das zu würdigen und wertzuschätzen, was zutiefst nicht selbstverständlich, was uns aber dennoch geschenkt ist. In diesem Zusammenhang hat mich vor einigen Tagen der folgende kleine Satz eines Prominenten an seine Fan-Gemeinde sehr hellhörig gemacht:

„Seid dankbar für jeden Tag, an dem ihr in Frieden leben dürft!”

 

Bertram Dickerhof SJ, Februar 2022

Missbrauch

Immer neue Wogen der Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche erschüttern die Öffentlichkeit und auch mich. Es tut mir weh wegen der Opfer, und es schmerzt mich, wie die Kirche, die bei aller Kritik und Distanz doch noch immer meine ist, sich verhält und nun auch in aller Öffentlichkeit so arm und beschämt dasteht, wie sie tatsächlich ist. Viele weiden sich am Fall der kirchlichen Oberen. Die Missbrauchsopfer drohen dabei, ein weiteres Mal übersehen zu werden – nun von der Aufklärung fordernden Öffentlichkeit.

Was sexueller Missbrauch von Kindern und Jugendlichen für das Leben der Opfer bedeutet, das habe ich wirklich begriffen erst hier im Ashram, wo etliche Personen mit Missbrauchserfahrung das Vertrauen hatten, von sich zu erzählen. Ihnen danke ich an dieser Stelle für ihren Mut. Man muss Menschen erleben, die Opfer von sexuellem Missbrauch geworden sind, um wirklich ermessen zu können, was Täter anrichten. Viele Bischöfe hatten diese Chance nicht. Darüber hinaus sind sie an ihre Priester gebunden: Bei der Priesterweihe legt der Kandidat, wie im Mittelalter der Vasall beim Lehnseid, seine Hände in die des Bischofs und verspricht ihm Ehrfurcht und Gehorsam. Umgekehrt umfasst der Bischof die Hände seines Priesters: wie ein Lehnsherr bietet er ihm Unterhalt, Treue und Schutz. Dabei konnte es oft bleiben, da es für die unmittelbare Aufdeckung eines Missbrauchs in der Regel keine Lobby gibt: niemand will es wirklich wissen.

Der katholischen Kirche in Deutschland gehen Gläubige, Geld und Mitarbeitende schon lange aus, doch nun in einer Weise, die ihre Existenz bedroht. Es gilt auch hier: „Gott umarmt uns durch die Wirklichkeit” (W. Lambert). Diese Umarmung wird hoffentlich die Binnenkultur der Kirche verändern: weg von einem „gedachten Gott” und seinem gedachten Reich, hin zu einem „Gott im Sein” (Meister Eckhart); herunter vom hohen Ross einer vermeintlich moralisch-geistlichen Ãœberlegenheit und eines Selbstverständnisses, wonach die Kirche Jesu Christi in der katholischen Kirche real gegeben ist, so dass sich außerhalb ihrer nur Elemente von Kirche finden lassen, hinunter auf den Boden der Wirklichkeit: das hat schon Saulus gut getan; weniger von kirchlicher Selbstbeschäftigung, Dekreten und idealisierten Normen, die niemand ehrlich leben kann, und mehr Orte in der Kirche, an denen der Mensch sein darf, wie er ist, wo er verstanden und angenommen wird.

Kirche besteht aus Menschen unserer Zeit und ist daher auch ein Spiegelbild der Gesellschaft ihrer Zeit. Vielleicht fällt mir deshalb gelegentlich Jesus und die ertappte Ehebrecherin ein (Joh 8): Die Ältesten wollen sie steinigen, wie es im Gesetz steht. Jesus: „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein!” Es ist nicht so, dass für Jesus das Verhalten der Frau in Ordnung wäre: „Geh hin und sündige nicht mehr!” , kritisiert er sie. Beiträge zum Thema, die vom Wissen um die eigene Fehlbarkeit imprägniert sind, hätten mehr Chancen, aufgenommen zu werden und würden auch dem Zusammenleben in unserer Gesellschaft dienen. Es stimmt: die Aufklärung des sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche verläuft zäh, und ich wünschte mir mehr einfaches Stehen zu dem, was falsch gelaufen ist. Doch andere gesellschaftliche Institutionen, Verbände, Vereine verweigern sich dem Thema total.

Man muss sich darüber im Klaren sein: auch eine reformierte, neue katholische Kirche bleibt eine Gemeinschaft fehlbarer Menschen. Auch wenn das Evangelium, nach dem wir Christen, Laien und Amtsträger, unser Leben ausrichten, dieses Leben formt, so wird es dieses nicht ganz und gar durchformen. Wie für Paulus gilt auch für uns: „Nicht, dass ich es schon erreicht hätte oder dass ich schon vollendet wäre. Aber ich strebe danach, es zu ergreifen, weil auch ich von Christus Jesus ergriffen worden bin.” (Gal 2,20) Sich von Christus ergreifen zu lassen und aus diesem Ergriffen-Sein zu leben, das ist die wesentliche Herausforderung.

Viele gehen jetzt. Hoffentlich ist das nicht das Aus für ihre Religion und Spiritualität, für die Sehnsucht des Herzens über alles Irdische hinaus, für ihren Weg der Freiheit und Liebe. Allein, nur auf sich gestellt, kann man Spiritualität nicht leben, in keiner Religion: überall braucht es Lehrer, Menschen, die schon um eine Ecke weitergeschaut haben; eine Gruppe, die mitträgt, ermutigt, herausfordert, in der etwas vom Woraufhin des spirituellen Weges spürbar wird, wie z.B. in der gemeinsamen Feier der Messe; eine Gemeinschaft, in der persönliche Begegnung und Offenheit möglich sind.

 

Petra Maria Hothum SND, Januar 2022

Die innere Präsenz

„Es gibt eine Kraft, die dir das Leben schenkt – suche sie. Im Innern deines Leibes ruht ein kostbarer Schatz – suche ihn. O Wanderer, wenn du den großen Schatz zu finden trachtest, sieh dich nicht draußen um; blicke in dich hinein und suche ihn.”
Rumi

Seit sie mir zum ersten Mal begegnet sind, haben diese Verse des Sufi-Mystikers und Dichters Rumi eine unmittelbare Anziehungskraft auf mich ausgeübt, bergen sie doch eine ungeheure Verheißung in sich. Rumi spricht von einer Kraft, die Leben schenkt, von einem kostbaren Schatz, der im eigenen Inneren ruht. Und so wie er es beschreibt, ist diese innere Wirklichkeit bereits DA; sie muss nicht erst geschaffen, irgendwie hergestellt werden, und sie scheint unabhängig zu sein von dem, was im Außen sich abspielt und von dort aus auf den Menschen einwirkt. Jedoch: dieser „Schatz” im Innern ist nicht unmittelbar zugänglich, zumindest nicht, solange unsere Aufmerksamkeit ganz im Außen und an der Oberfläche verhaftet ist. Rumis Einladung, den inneren Schatz zu suchen, verstehe ich allerdings nicht als Aufruf zu einer totalen Abkehr vom Außen, als Aufforderung, die Augen vor der uns umgebenden Wirklichkeit zu verschließen. Ich höre seine Worte eher als ein Werben, sich in all dem, was so unmittelbar auf uns Menschen einwirkt und uns oft genug vollständig gefangen nimmt, nicht zu verlieren, sondern durch die Einkehr bei sich selbst und die Hinkehr zum Inneren den Kontakt zu finden zu einer Kraft, die uns wahrhaft Leben schenken kann – inmitten von allem, was ist, gerade auch inmitten aller verunsichernden, bedrängenden, herausfordernden äußeren Wirklichkeit. Diese Kraft, von der hier die Rede ist, lässt uns nicht über den Dingen, über den Anforderungen des Außen stehen, sie enthebt uns nicht all der Mühen, Sorgen und Kämpfe in den Niederungen und Unwägbarkeiten des Lebens. Es ist vielmehr eine Kraft, die uns erdet, uns auf dem Boden der – eigenen, gesellschaftlichen, globalen – Wirklichkeit ankommen lässt, uns befähigt zu echter Begegnung mit dem, was ist, und zu einem Handeln, das aus dem Prozess dieser Begegnung erwächst. Diese Kraft hat damit zu tun, in einen Raum der Präsenz, einen inneren Raum des Sein-Könnens und -Dürfens einzutreten und darin zu verweilen. Wenn sich uns dieser Raum eröffnet, ist dies ein wahrhaft kostbarer Schatz – er ist es immer, besonders jedoch in Zeiten der Verunsicherung, der Krise und des Umbruchs wie der unseren. Er gewährt einen gewissen Abstand zu den äußeren Geschehnissen und den damit verbundenen Empfindungen, lässt uns diese zugleich aber unmittelbarer betrachten und sie wahrnehmen in all ihren Facetten, ohne um jeden Preis reflexartig reagieren zu müssen. Er ermöglicht Zulassen, Gewahren und Durchleben der inneren Bewegungen, eröffnet einen Weg, diese zu unterscheiden und so zu freierem, von innen heraus gewachsenem und verantwortetem Agieren und Gestalten zu finden – in den jeweiligen äußeren Gegebenheiten mit ihren Möglichkeiten und mit ihren Grenzen.

Möge es uns in den Herausforderungen dieser Zeit geschenkt werden, immer wieder der Einladung nach innen zu folgen und uns vertrauensvoll einzulassen auf die Kraft, die wahrhaft Leben schenkt und uns von innen heraus Schritt für Schritt unseren Weg weist und gehen lässt inmitten aller Brüchigkeit und Unsicherheit im Außen!

 

Petra Maria Hothum SND, Dezember 2021

Sich selbst sein lassen

Wer unseren Programm-Flyer aufschlägt, kann dort als erstes folgenden Satz lesen: „Im Ashram Jesu geht es um die Übung, sich selbst sein zu lassen.“ Diese Aussage steht sozusagen als Überschrift über allem, was an Inhalten und Kursangeboten folgt; sie fasst wie in einem Brennglas zusammen, was wir hier zu leben und zu vermitteln versuchen. „Sich selbst sein lassen“ – für manch einen mag dies zunächst einfach, ja vielleicht nach einer Selbstverständlichkeit klingen. Doch wer genauer bei sich selbst hinschaut bzw. wer sich auf das Üben im Ashram Jesu einlässt, der merkt schnell, dass dies mitnichten der Fall ist. Sich selbst sein zu lassen hat entscheidend damit zu tun, bei sich selbst einzukehren, der eigenen Wahrheit inne zu werden und bei ihr zu verweilen – auch dann, wenn sie unangenehm, schmerzlich oder diffus ist und nicht den eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht. Sich auf diese Wendung nach innen einzulassen, ist alles andere als selbstverständlich. Der Normalfall ist vielmehr, dass unsere Aufmerksamkeit im Außen verhaftet bleibt und sich wie automatisch darauf richtet, bei Unangenehmem, Fehlendem, Verbesserungsbedürftigem schnelle Abhilfe zu schaffen. So sind wir vielfach damit beschäftigt, an uns, unseren Gegebenheiten und unserem Umfeld herum zu „schrauben“ und Einschränkungen und Grenzen, denen wir begegnen, möglichst zu überwinden. Wir ergehen uns in Vorstellungen, wie wir selbst, wie unsere Bedingungen, Beziehungen … sein sollten, wie unser Leben zu sein hätte, und entsprechend überlegen und planen wir, suchen nach Lösungen, streben immer neu Erfüllung in dieser Welt an und setzen viel dafür ein, sie zu erlangen – ohne je damit an ein Ende zu kommen. Der Preis dafür ist das Eingebunden-, ja Gefangensein in einem Hamsterrad, das uns letztlich am Kontakt mit unserem Innern hindert. Es hindert uns daran, hier und jetzt sein, hier und jetzt wirklich leben zu können als die Person, die wir in Wahrheit sind mit den uns gegebenen Möglichkeiten und Grenzen.

Der Sufi-Mystiker Rumi schreibt in einem seiner Gedichte: „Ich lebe in einem Gefäß namens Leben;ich lebe nur, weil meine Seele nicht geflohen ist.“ An Weihnachten feiern wir, dass der Sohn Gottes sich in das Gefäß namens Leben hineingegeben hat, in die Gesetzmäßigkeiten und Grenzen irdischen Daseins. Er hat wahrhaft in diesem Gefäß gelebt, weil seine Seele – gegründet und aufgehoben in einer alles umfassenden Liebe – nicht geflohen ist, sondern im Kontakt blieb mit dem eigenen Inneren bis hinein in den Tod. So ganz und gar eingelassen auf die Wirklichkeit, so sich selbst sein lassend in allem, war und ist sein Weg von innen her erlösend.

Möge Jesu Menschwerdung uns gerade in diesen äußerlich bedrängenden und kritischen Zeiten einladen, uns einzulassen auf den Weg nach innen und uns ermutigen, nicht zu fliehen vor dem, was ist. Mögen wir in der Begegnung mit unserer Wahrheit und im Bleiben dabei immer mehr zu den Menschen werden, die wir in Wahrheit sind, zu Menschen, die sich selbst sein lassen können – im Vertrauen auf den Grund aller Wirklichkeit, der Liebe ist.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2021

Das Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus

Viele Menschen spüren, dass wir in einer Zeitenwende leben. Die extreme Hitze der zurückliegenden Wochen in Griechenland und der Türkei, die heftigen Waldbrände in Süd-Europa, Australien, Amerika, das anhaltend unbeständige Schmuddelwetter der letzten Wochen hierzulande, die Flutkatastrophen vor allem an Ahr und Erft, gewissermaßen vor unserer Haustür, mit schrecklichen Toden und schlimmen Bildern der Verwüstung, haben aus einer abstrakten Umstellung der fossilen auf erneuerbare Energieträger die bedrückende Perspektive gemacht, in Zukunft mit mehr und schlimmeren Extremwetterereignissen und ihren konkreten Folgen für sich selbst, seine Familie und sein Eigentum leben zu müssen. Dazu kommen Zweifel: ob denn die Menschheit überhaupt im Stande sein wird, die Erderwärmung einzuhegen, solange sie ihr maßloses Streben nicht bereut; ob der Westen, wie der Fall Afghanistan zeigt, so sehr in seiner Blase „freiheitlicher Lebensstil“ lebt, dass er den Boden der Realität unter seinen Füßen längst verloren hat …

Hinzu kommen „alltägliche“ Verunsicherungen: das Ende der Ära Merkel und die besorgte Frage, wie wir zukünftig regiert werden; Corona und kein Ende; zunehmende Migrationsbewegungen; Spaltungen der Gesellschaft, wachsende Spannungen zwischen USA, China und Russland …

Tatsächlich brennen nicht nur die Wälder, es brennt auch das Haus, in dem wir uns viele Jahre viele Wünsche erfüllen, vor vielem Unangenehmen flüchten konnten durch Konsum, durch Reisen … Als Brechts Welt von den Nazis in Brand gesteckt wurde, schrieb er das „Gleichnis des Buddha vom brennenden Haus“:

Neulich sah ich ein Haus. Es brannte. Am Dache leckte die Flamme. Ich ging hinzu und bemerkte, dass noch Menschen drin waren. Ich trat in die Tür und rief ihnen zu, dass Feuer im Haus sei, sie also auffordernd, schnell hinauszugehen. Aber die Leute schienen nicht eilig. Einer fragte mich, während ihm schon die Hitze die Brauen versengte, wie es draußen denn sei, ob es auch nicht regne, ob nicht doch Wind ginge, ob da ein anderes Haus sei. Und noch so einiges.
Ohne zu antworten ging ich wieder hinaus. Diese, dachte ich, müssen verbrennen, bevor sie zu fragen aufhören.Wirklich, Freunde!
Wem der Boden noch nicht so heiß ist, dass er ihn lieber mit jedem andern vertauschte, als dass er da bliebe, dem habe ich nichts zu sagen.

Die Leute klammern sich an ihr Haus, wollen nicht wahrhaben, dass es verloren ist. Sie halten fest an dem, was zur Vernichtung bestimmt ist, und schlittern so in ihren Untergang.

Das Bild am Kopf dieses Newsletters ist das sogenannte „Saarpolygon“. Ich habe es während meines Urlaubs im Saarland aufgesucht: ich war ganz fasziniert davon. Das Polygon wurde auf der höchsten Abraumhalde des Saarlandes errichtet und ist wie eine Besiegelung des Endes von über 100 Jahren Kohle- und Stahlproduktion; man kann eben nichts mehr auf die Halde oben draufschütten. Das Polygon ist wie ein Tor, durch das der Weg in die Zukunft führt, gefertigt aus Stahl, dem Material der Vergangenheit, dem, was man hat und kann. Es ist ein windschiefes Tor, das nach vielen Richtungen passiert werden kann: die Zukunft ist zunächst offen und ungewiss. Aber immerhin verheißt das Tor eine Zukunft. Kohle- und Stahlarbeiter, die Opfer des Strukturwandels also, haben selbst die Treppenstufen des begehbaren Polygons gespendet: Somit ist es ein Zeichen des Sieges über Angst und Unsicherheit. Von der Höhe des Polygons herab hat man einen weiten Blick über das Land und dem Himmel darüber: ein Hauch von Offenheit und Ewigkeit rührt einen an, die jede Vergangenheit und Zukunft umgreifen und durchdringen und Gegenwart ermöglichen.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juli 2021

«Kommt mit an einen einsamen Ort, wo wir allein sind, und ruht ein wenig aus!» (Mk 6,31)

Im Ashram sind wir froh und dankbar, dass Menschen hier einen Ort haben, an dem sie dieser Einladung Jesu folgen können. Solche Orte und Auszeiten sind wichtig, um sich von innen her erholen und neu ausrichten zu können. Aber wie im Evangelium, in dem wir hören, dass viele Menschen Jesus und den Jüngern an den „einsamen Ort“ folgen bzw. schon vor ihnen dort ankommen, können wir Ähnliches auch in uns erleben, wenn wir in die Stille, in die Meditation gehen. Wir atmen vielleicht kurz auf, merken jedoch schon bald, dass es an dem „einsamen Ort“ nicht so einsam ist, wie erwartet:

wir erwarten Ruhe und Frieden - und werden empfangen von unserer Unruhe und Rastlosigkeit …
wir sehnen uns nach Stille – und finden ein Heer von Gedanken in uns vor …
wir hoffen auf neue Energie – und erleben uns müde, matt, lustlos …
wir wollen einfach nur dasein – und können es doch kaum mit uns aushalten …
wir wünschen uns Erleuchtung – und sind Dunklem, Undurchsichtigem ausgesetzt …

Wie umgehen mit all dem, was wir in uns vorfinden? Spontan werden wir vermutlich versuchen, das Erwartete und Erhoffte doch irgendwie zu erlangen und das nicht Gewünschte oder Lästige loszuwerden, und entsprechend strengen wir uns an. Jesus zeigt uns im Evangelium einen anderen Weg: „Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen; denn sie waren wie Schafe, die keinen Hirten haben. Und er lehrte sie lange“ (Mk 6,34). Er ist offen für das, was sich ihm zeigt, weist die, die seine ursprünglichen Absichten stören, nicht ab, sondern wendet sich ihnen zu, schenkt ihnen Aufmerksamkeit. Er nimmt sie wahr, bemerkt, was mit ihnen ist, hat Mitleid und kümmert sich lange um sie. Wenn wir das Beispiel seiner Zugewandtheit auf unser Inneres übertragen, dann kann uns Jesu offenes Gewahrsein einladen, dasein zu lassen, was ist, ganz gleich, ob wir es gewünscht und erhofft haben oder ob es unsere Vorstellungen durchkreuzt. Seine Haltung kann uns ermutigen, unsere jeweilige Wirklichkeit offen, geduldig und liebevoll anzuschauen und so lange dabei zu verweilen, wie sie der Aufmerksamkeit bedarf. Dann kann der einsame Ort zu einem heilsamen Ort der Begegnung mit dem Menschen werden, der wir in Wahrheit sind, zu einem Ort, der uns aufleben lässt.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juni 2021

Das Gleichnis Jesu von der selbstwachsenden Saat

„Jesus sagte: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mann Samen auf seinen Acker sät; dann schläft er und steht wieder auf, es wird Nacht und wird Tag, der Samen keimt und wächst und der Mann weiß nicht, wie. Die Erde bringt von selbst ihre Frucht, zuerst den Halm, dann die Ähre, dann das volle Korn in der Ähre. Sobald aber die Frucht reif ist, legt er die Sichel an; denn die Zeit der Ernte ist da.“ (Mk 4,26-29)

Mich beeindrucken Schlichtheit und Klarheit dieser Worte Jesu und der Haltung des Mannes, der Samen auf seinen Acker sät. Auf den ersten Blick könnte man meinen, dieser Mensch lege nach vollbrachter Aussaat die Hände in den Schoss und es kümmere ihn nicht mehr, was auf seinem Acker vor sich geht. Der Samen keimt und wächst ja von selbst. Doch bei genauerem Hinschauen bietet sich ein anderes Bild. Dieses Gleichnis Jesu ist keine Einladung zur Untätigkeit, vielmehr umreißt es mit wenigen Strichen eine Lebensweise, die Raum eröffnet für das Wachsen und die Erfahrung des Reiches Gottes.

Wie sieht diese Lebensweise aus? Was kennzeichnet die Haltung des im Gleichnis beschriebenen Menschen?

Dieser Mensch tut das, was jeweils dran ist:Das ist zunächst einmal das Säen des Samens auf seinen Acker, das notwendig ist, damit der Wachstumsprozess in Gang kommt. Dann aber muss er diesen Prozess geschehen lassen, ohne ihn beschleunigen und kontrollieren zu können, ohne ihn zu stören - etwa durch ungeduldigen Aktivismus rund um den Acker. Dies ist alles andere als einfach, denn wie gerne würden wir in Prozesse eingreifen, sobald sich etwas nicht so entwickelt wie von uns erwartet und erhofft!Wenn in dem kurzen Gleichnis-Text Erwähnung findet, dass der Mann schläft und wieder aufsteht, dann scheint dies für den Prozess irgendwie bedeutsam zu sein. Für mich spiegelt sich darin eine natürliche Lebensordnung, der dieser Mensch sich überlässt und in der er gegenwärtig ist: er schläft, er steht wieder auf, er isst, er trinkt, er geht den je anstehenden Notwendigkeiten und Pflichten nach, er findet Phasen der Entspannung, er wird anderen begegnen und auch wieder alleine sein … Mit anderen Worten: er lebt sein Leben hier und jetzt mit dem, was jeweils dran ist. So wie es im Text klingt, scheint er in alldem bei sich zu sein, scheint in dem zu sein, was er gerade vollzieht. Und in dieser Präsenz merkt er, was jeweils ansteht.So bemerkt er auch, wann die Zeit der Ernte da ist und ist zur Stelle, um die Sichel anzulegen – in großer Schlichtheit und Klarheit.

Dieser Mensch nimmt wahr und würdigt, was ist: Er nimmt die Anzeichen des Wachstums wahr: den Halm, die Ähre, das Korn in der Ähre. Dieser Mensch schaut also hin und sieht, was geschieht. Er kann sich öffnen für das, was wirklich ist, anstatt besetzt und behindert zu sein durch alle möglichen Gedanken, Erwartungen, Vorstellungen …So nimmt dieser Mensch auch wahr, dass es Nacht und Tag wird, das Kommen und Gehen im Ablauf des Lebens also, den Wechsel von dunklen und hellen Stunden, von schweren und beglückenden Erfahrungen. In diesem Wahrnehmen von Nacht und Tag scheinen Einverständnis und Gleichmut auf – vielleicht in dem inneren Wissen, dass das Wesentliche tiefer liegt als auf der Ebene wechselnder Erfahrungswirklichkeiten.

Dieser Mensch hält Spannungen aus: Er muss damit leben, dass er gesät hat und erst einmal lange nichts sieht, dass er nicht weiß, ob und wie der Samen aufgeht. Er ist angewiesen auf die Ernte, aber das Wachsen und Reifen der Frucht kann er nicht machen. Die Witterung kann er nicht beeinflussen. All das entzieht sich seiner Kontrolle. Über lange Zeit muss er also aushalten, dass das Ergebnis seiner Aussaat vielfach bedroht ist. Seine Leistung liegt im Dabeibleiben. Er kann nur geduldig ausharren, sich den zugemuteten Spannungsfeldern stellen und sich da sein lassen mit allem, was ist.

Dieser Mensch überlässt sich dem Geheimnis: Er weiß nicht, wie das Keimen und Wachsen der Saat vor sich geht, aber er vertraut sich diesem Geheimnis an, dass letztlich alles da ist und Entwicklung und Wachstum geschehen, wenn wir uns überlassen: dem Leben hier und jetzt und dem göttlichen Grund aller Wirklichkeit, der Liebe ist.

Vielleicht können wir uns gerade in der vor uns liegenden Sommer- und Urlaubszeit zu einer solchen kontemplativen Lebenshaltung einladen lassen, wie sie im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat aufscheint. Das jedenfalls wünsche ich uns von Herzen!

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2021

Strukturen sind wichtig, wichtiger noch ist aber die Personwerdung des Menschen

Verschiedene Gespräche in den vergangenen Tagen haben die Themen „katholische Kirche“ und ihr Umgang mit sexuellem Missbrauch, insbesondere in Köln, die dadurch hochgeschnellten Kirchenaustrittszahlen, und die Frage aufgerührt, ob „wir Christen“ den Menschen unserer Zeit überhaupt noch etwas zu sagen haben. Das treibt mich um. Im Neuen Testament habe ich jedoch folgenden Denkanstoß gefunden:

In den synoptischen Evangelien halten die Jünger Jesus für den Messias; Jesus selbst sagt von sich, er sei der Menschensohn. Messias ist eine Rolle, eine Funktion, die darin besteht, die Römer zu vertreiben und einen gerechten, sozialen Gottesstaat auf der Basis der Torah zu errichten. Ein solcher Messias war Jesus nicht. Er war der Menschensohn, Sohn eines Menschen, sozusagen nichts als Mensch. Ihn definieren nicht Rolle, Funktion, Besitz oder sonstige Vermögen, sondern seine Weise, Mensch zu sein. Mensch mit Leib, Seele und Geist. Er arbeitete hart, aß und trank gerne, er liebte Gesellschaft, lebte Gemeinschaft, ließ sich von Frauen berühren und konnte mitfühlen. Er suchte die Einsamkeit, die Stille, das Gebet. Und er akzeptierte Grenzen: Müdigkeit z.B., als die Jünger von ihrer Mission zurückkommen, oder Trauer durch den Verlust des Lazarus oder wegen der verpassten Chance des reichen Jünglings. Vor allen Dingen konnte er das Scheitern seiner eigenen Mission annehmen und stand mit seinem Leben für sie ein. Er wusste: der Tod gehört zum Menschen. Solches Menschsein ist göttlich. Im Buch Daniel, in dem der „Menschensohn“ überhaupt erstmalig auftaucht, ist er eine göttliche Gestalt. „Ihm wurden Herrschaft, Würde und Königtum gegeben. Alle Völker, Nationen und Sprachen dienten ihm. Seine Herrschaft ist eine ewige, unvergängliche Herrschaft. Sein Reich geht niemals unter“ (Dan 7,14). Die Jünger Jesu verstanden, dass genau dies im Tod des Menschensohnes Jesus als seine Auferstehung geschah.

Was das mit der Kirche zu tun hat? Möglicherweise sieht diese sich vor allem in der Rolle Christi, in der sie in Sakramentenspendung, Verkündigung und Leitung agiert, und vernachlässigt, selbst lebendiger Menschensohn zu werden, d.h. den Weg der Menschwerdung zu gehen. Statt Person zu werden, bei sich selbst anzukommen und dem anderen auf gleicher Augenhöhe zu begegnen, hat sie sich in erstarrten Rollen über die anderen mit objektiven Wahrheiten erhoben, die sie selbst nicht zu leben vermag und die auch andern im Leben nicht helfen.

Und wie es so ist im Leben: irgendwann bricht das Vernachlässigte, ja Verdrängte, alle Dämme: die nicht bewältigte Sexualität; die Unfähigkeit, Scheitern einzugestehen – wo nach der ureigenen Botschaft des Evangeliums Gott doch gerade die Sünder liebt, die umkehren; die Unfähigkeit zur Begegnung auch mit den Opfern. In der Krise zeigt sich, wer jemand ist. Die Krise mutet dem Betroffenen zu, das Kreuz dieser Krise zu tragen. Wenn das auch für Organisationen gilt, dann geht der Reformbedarf der katholischen Kirche weit über die Aufhebung des Zölibats und die Weihe von Frauen hinaus, auch wenn dies wichtige Schritte darstellen: Anstelle von idealisierten Normen müsste eine Kultur entstehen, die Menschwerdung fördert, in der Krisen weder Sünde noch tabu sind, sondern in der Nachfolge Jesu durchlebt werden, um so mehr bei sich als Person und bei Gott anzukommen.

Diese Kirche könnte ihre Erfahrungen der Menschwerdung einer Menschheit anbieten, die sich zum Krebsgeschwür des Planeten entwickelt hat: immer mehr, immer weiter. „Was geht, lasst uns rausholen, lasst uns machen, was uns in den Sinn kommt!“ – und damit ständig beweist, dass grenzenloses Streben nicht nur niemanden wahrhaft erfüllt, sondern die Erde zerstört. So paradox es klingt: Beim Annehmen-Lernen einer Grenze ist zu erfahren, dass Nichts sättigt. Diese Kunst zu erlernen ist der Ausweg aus den Krisen, die die grenzenlose Gier des Menschen heraufbeschworen haben. Und Christen könnten zusammen mit anderen in dieser Kunst vorangehen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2021

Elija: vom Kämpfen-Müssen zum Sein-Dürfen

Schon immer hat mich die Gestalt des Elija fasziniert (1 Kön 17-19; 2 Kön 1-2). Ein Kämpfer und Heroe des Herrn ist er, der von sich selbst sagen kann: „Mit leidenschaftlichem Eifer bin ich für den HERRN, den Gott der Heerscharen, eingetreten, weil die Israeliten deinen Bund verlassen, deine Altäre zerstört und deine Propheten mit dem Schwert getötet haben“ (1 Kön 19,10.14). Engagement, Courage, kein Dienst nach Vorschrift. Bewundernswert! In der Auseinandersetzung mit den Baalspropheten, Priester einer auf Wirtschaftswachstum dynamisch und machtvoll ausgerichteten Kultur, siegt er schließlich. Da die Königin an dieser aber weiterhin festhält und die eigentliche Bestimmerin in Israel ist, hat Elija zwar eine Schlacht gewonnen, den Krieg jedoch verloren. Er muss um sein Leben fürchten und flieht in die Wüste. Dort möchte er sterben, erschöpft und niedergeschlagen, wie er ist, ungenügend, wie er sich fühlt: „Ich bin nicht besser als meine Väter“ (1 Kön 19,4). Doch irgendwie erlebt er einen Umschwung. In ihm beginnt eine Kraft zu wirken, die ihm eine Perspektive verheißt und ihn immer weiter in die Einsamkeit, Stille und Leere der Wüste hineinzieht. Dieser Weg des Innewerdens ernüchtert und öffnet ihn zugleich, so dass ihm eine Erfahrung möglich wird, die seine Welt auf den Kopf stellt: Nicht im die Berge zerreißenden und die Felsen zerbrechenden Sturm, nicht in Erdbeben oder Feuer ist Gott. Elija muss seine Gottesvorstellung aufgeben. Ein „sanftes, leises Säuseln“ ist es, worin ihm Gott erscheint. Für die Diener des Baal ist klar, dass nur zählt, was unterm Strich rauskommt. Aber auch Elija ist mit diesem Denken imprägniert – „nicht besser als die Väter“ – und daran gescheitert. Durch das sanfte und leise Säuseln des Windes, das ihm in der glühenden Hitze der Wüste Kühlung zuhaucht, geht ihm auf: ich darf sein, weil ich unabhängig von Sieg oder Niederlage bejaht und gewollt bin, ebenso wie die blinde, in ihr Verderben laufende Welt. Selbst was nicht sein sollte, nun aber doch ist, muss nicht anders sein, weil diese Welt von Gott gewollt und bejaht ist. Das bedeutet nun nicht Laufenlassen und Faulheit, sondern die Freiheit, unwillkürliche Reaktionsmuster zu durchbrechen.

In der Tat wird Elija mit neuen Aufträgen zurück in die Welt gesandt. Aber er ist nicht mehr davon getrieben, das eigene Ungenügen wegkriegen zu müssen. Ein solcher Antrieb mündet bei Schwierigkeiten schnell in „leidenschaftlichen Eifer“ oder gar Verbissenheit. Diese polarisieren und verpassen den Parteien einen Tunnelblick, der Kompromiss, Kreativität und Handlungsenergie blockiert. Vielmehr lebt und wirkt Elija nun aus Vertrauen und Verdanktsein: Vertrauen, dass Gott an der Arbeit ist, seine Schöpfung zu retten, entgegen allem Anschein: denn Gottes Pläne und Wege sind so hoch erhaben über unseren, wie der Himmel über der Erde (Jes 55). Sein Leben als Geschenk und sich selbst als gewollt und als Segen für die Welt – d.h. als verdankt – zu verstehen, macht es möglich, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen und in einer spielerischen Leichtigkeit zu handeln. So entstehen Lösungen, die wirklich lösen.

Auch unsere Gegenwart ist alles andere als rosig. Da ist durchaus etwas zu tun für jeden von uns. Aber nicht aus dem Zwang eines vermeintlich rationalen Zusammenhangs, wie jenem, dem der frühere Elija unterworfen war: „wenn erst einmal die Baalspropheten über die Klinge gesprungen sind, dann wird Israel wieder zu Jahwe zurückkehren.“ Umkehr ist angesagt. Meditation ist ein Weg, auf dem Vertrauen und die Erfahrung unbedingter Bejahung wachsen. Daraus sprosst die Freiheit, sich den Herausforderungen des Lebens zu stellen, sie zu durchleben bis auf den Grund und zu tun, was sich dort als zu tun offenbart

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Februar 2021

Von der Stärke, seine Schwachheit anzunehmen

Schon immer hat mich die sogenannte „Narrenrede“ (2. Kor 11,16 – 12,13) des hl. Paulus angezogen. Über den Jahreswechsel habe ich einen neuen Zugang bekommen zu dem Teil davon, in dem Paulus vom „Stachel im Fleisch“ spricht, an dem er sich reibt und den er partout loswerden will, – allerdings ohne Erfolg. Ihm geht vielmehr auf, worauf es in dieser Situation ankommt, als er vernimmt: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit“ (2. Kor 12,9).

Wir reiben uns an Corona und wollen es loswerden. Manche sind dadurch mit Krankheit, Tod und anderen Existenzängsten konfrontiert, andere mit Einsamkeit, Langeweile und Nutzlosigkeit. Da fühlt man sich schnell auch ungenügend und minderwertig, erst recht, wenn man nichts mit sich anfangen kann und alles Überwindung kostet. Wenn die Umstände unseres Lebens, unser Befinden oder unser Selbstgefühl nicht dem entsprechen, was wir erwarten oder uns wünschen, wenn sie uns sozusagen „stacheln“, beginnen wir fast automatisch uns umzuschauen und mit den Füßen zu scharren, ob wir etwas tun können, um diese loszuwerden und sind damit hintergründig fast dauernd beschäftigt. Ich plädiere hier nicht dafür, zu allem Missliebigen Ja und Amen zu sagen, sondern dafür, alles zu unterscheiden. Unterscheidung setzt allerdings voraus, die genannte Automatik zunächst einmal auszuschalten und d.h.: den Stachel zu erleben. Wenn es keinen Grund gibt zu handeln außer dem, das Störende wegkriegen zu wollen, weil es eben „stachelt“, erst recht, wenn das Störende gar nicht weggeschafft werden kann, dann wird auch uns gesagt: „Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit.“

Dieses Wort fordert mich und meinen Glauben heraus: wo ich nur Schwachheit sehen und erleben kann, besagt es Dreierlei. Erstens: Gott ist mit mir; gegen den Anschein ist das Entscheidende in Ordnung. „Ist Gott für uns, wer ist dann gegen uns?“ fragt Paulus, um schließlich die Antwort selbst zu geben: „Denn ich bin gewiss: Weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn“ (Röm 8, 31.38f), schon gar nicht gefühlte Schwachheit. Zweitens soll ich mich auf dieses Entscheidende besinnen und mir daran genügen lassen. Paulus erkennt nämlich den Sinn des Stachels darin, sich nicht zu „überheben“. Indem uns zuteilwird, was wir erstreben oder ersehnen, können wir uns groß, stark und sicher fühlen und die reale Schwäche des vielfach abhängigen, hinfälligen und sterblichen Menschen, der wir sind, vergessen. Wenn ich es mir an Gottes Gnade genügen lasse, integriert sich meine Persönlichkeit und ich muss mein Leben nicht mehr im Schwanken zwischen Größenwahn und Minderwertigkeit zubringen. Daher ereignet sich, drittens, in diesem gefühlt missliebigen Zustand in Wahrheit Vollendung der Kraft Gottes in mir: ich werde ganz, befreit zu der Person, die ich bin und die aus ihrem eigenen Grund lebt: aus Gott und zugehörig zu Ihm.

Spontan betrachten wir die erlebte Schwachheit nur als Defizit, das wir nicht haben wollen, nehmen die Opferrolle ein, klagen und jammern oder bekämpfen die Störung, indem wir uns ablenken oder etwas gegen sie unternehmen. Die neue Sicht der Schwachheit, die uns hier angeboten wird, lautet: Richte Dich auf! An Dir ist nichts verkehrt, wenn Du Dich schwach fühlst. Dieser Zustand ist Teil der Wirklichkeit und wenn er Dir begegnet, nimm ihn an als Chance, vollendet zu werden. So wie auch die Heilbehandlung eines Arztes unangenehm, ja schwer auszuhalten sein kann, so ist Gott jetzt an Dir am Werk, um dich zu dir selbst zu befreien und mit ihm zu einen. Der Vergleich verdeutlicht, woher die Kraft dazu kommt: nicht aus dem Willen, so dass die Person sich zusammenreißt, sondern aus der Beziehung und dem Vertrauen zum Arzt bzw. zu Gott.

In dieser neuen Perspektive zeigt sich die Hingabe an das Handeln Gottes in der Schwachheit als wirkliche Stärke. Die Person lässt sich nicht vom Stachel treiben, weil sie keinen Sinn darin sehen kann und beherrscht ist davon, ihn wegzukriegen. Es ist Stärke, die im Vertrauen standhält und sich hingibt an Gottes Wirken, dabei frei wird und sich aufrichtet.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Januar 2021

Die Hände von Barlachs lehrendem Christus

Auf der Suche nach einem Foto für diesen Newsletter blieb ich – ganz anders als erwartet – bei dem obigen Ausschnitt einer Christus-Skulptur von Ernst Barlach hängen. Ich kann mich noch gut erinnern, wie diese Darstellung mich bei einem Besuch in Güstrow in ihren Bann gezogen hat – ebenfalls ganz unerwartet, denn mein Interesse und meine Suche galten damals vor allem einem anderen Werk des Künstlers. Doch diese offen hingehaltenen Hände haben mich regelrecht gefunden, und die schlichte Präsenz des „Lehrenden Christus“, wie Barlach diese Skulptur nennt, hat mich unmittelbar berührt. „Lehrender Christus“ – Was für ein Lehrer ist das, der mir da begegnet? Was kann ich von ihm lernen? Was sagen mir allein schon seine Hände? Was können sie uns vielleicht gerade in diesen schwierigen, unwägbaren Zeiten sagen? Was kann ihre Botschaft sein für dieses Jahr, an dessen Anfang wir noch stehen?

Diese Hände sind offen und leer: sie halten weder Schriftrolle noch Programm, halten sich nicht fest an Ideologien, Reichtümern, Machtmitteln …, sie setzen sich einfach aus …

Diese Hände können sich öffnen für das, was ist: sie empfangen, nehmen auf, lassen da sein, was ist und wie es ist; sie müssen nichts abwehren, aussortieren, geradebiegen …; sie lassen sein, lassen sich selbst sein …

Diese Hände können verweilen: sie vermitteln Ruhe und Gelassenheit, sie können dem Raum und Zeit geben, was sich von innen her langsam entwickeln und zeigen will; sie sind bar jeder überstürzten Geschäftigkeit, sind weder mahnend noch kämpferisch erhoben …

Diese Hände geben, was sie selbst empfangen haben: sie lassen Übergebenes weiterströmen, stören nicht den organischen Fluss und halten nichts ängstlich zurück; vielmehr halten sie Anvertrautes einfach hin, bieten letztlich sich selber dar …

Diese Hände sind frei und lassen frei: sie wollen nichts krampfhaft festhalten, nichts um jeden Preis durchsetzen, nichts gewaltsam erzwingen …; geöffnet für Begegnung, laden sie unaufdringlich ein – verbindlich und absichtslos zugleich; ihre Stärke liegt in ihrer Sanftheit …

Diese Hände sind zugewandt in Liebe: sie sagen: „ICH BIN DA!“ - ungeschützt und wehrlos, ohne gönnerhaftes Gehabe und großes Gebaren, sondern in schlichter, zugewandter Geste, die offener, demütiger und liebevoller nicht sein könnte …

Das Betrachten der Hände des „lehrenden Christus“ bringt in mir vielerlei Schriftworte zum Klingen, vielleicht geht es Euch und Ihnen ähnlich …! – Hier nur zwei solcher „Anklänge“: „Alles ist mir von meinem Vater übergeben worden … Kommt alle zu mir …! Lernt von mir; denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele“, so lädt Jesus im Matthäusevangelium (11,27-30) die Menschen ein.Und der Prolog des Johannesevangeliums (1,16) sagt über ihn: „Aus seiner Fülle haben wir alle empfangen, Gnade über Gnade.“

Mögen Seine Hände uns einladen, uns einzulassen auf die Lebens-Haltung des „Lehrenden Christus“, die sich in ihnen so eindrücklich zeigt. Mögen wir uns immer wieder öffnen, um innezuhalten und von IHM zu lernen, um aus Seiner Fülle zu empfangen … Dann können wir uns getrost dem stellen, was ist. Und dann kann dieses noch junge Jahr ein gesegnetes werden, wohin immer es uns führen und was immer uns darin begegnen mag!

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Dezember 2020

Weihnachten

Einer der Betrachtungstexte für unsere diesjährige virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent ist das folgende Gebet von Kardinal John Henry Newman (1801-1890):

„Führe mich, du mildes Licht, im Dunkel, das mich umgibt,
führe mich hinan!
Die Nacht ist finster, und ich bin fern der Heimat:
Führe mich, du mildes Licht!
Führe mich hinan!
Leite meinen Fuß. –
Ich verlange nicht zu sehen die ferne Landschaft, nur ein Schritt ist genug.”

Diese demütige Bitte um Führung im Dunkel spiegelt die Haltung wider, die die biblischen Gestalten im Umkreis der Krippe zutiefst geprägt haben muss. Denn sie alle hatten keinen klaren Weg vor sich, sondern mussten durch Zweifel und Unsicherheit gehen: – allen voran Maria: sie lässt sich auf eine unglaubliche Verheißung ein, nicht wissend, wie das geschehen soll und was auf sie zukommt … – Josef: sein Vertrauen in seine Verlobte ist einer enormen Zerreißprobe ausgesetzt, doch fühlt er sich gerufen, in Treue zu ihr zu stehen … – die Hirten, die in der Nacht wachen: ihnen wird die Geburt des Retters verkündet, und was sie vorfinden ist ein hilfloses Kind in der Krippe … – die Sterndeuter: sie folgen dem Stern des neugeborenen Königs der Juden und müssen auf einem langen Weg lernen, dass dieser sie nicht ins Zentrum der Macht nach Jerusalem, sondern ins kleine Betlehem führt …

All diese Menschen sind unterwegs im Dunkel. Die Hirten sind unbehaust. Die Sterndeuter wandern fern ihrer Heimat, fern all dessen, worin man sich auskennt. Maria und Josef erleben sich auf ihrem Weg nach Betlehem jenseits gewohnter Sicherheiten und ohne schützende Herberge. Das, was sie alle auf den Weg bringt und unterwegs bleiben lässt, was sie erfahren und vorfinden, besitzt Anziehung. Und doch ist es alles andere als klar und eindeutig. So können sie nicht selbstsicher ausschreiten in wissendem Überblick. Sie müssen vielmehr ihre Schritte suchend und tastend setzen im Dunkel des Glaubens – Irrungen und Krisen ausgesetzt. Auf einen solchen Weg kann sich nur einlassen, wer hört, wer also innehält, der eigenen Wirklichkeit inne wird und bei ihr aushält, sie durchlebt. Auf einem solchen Weg kann nur bleiben, wer vertraut und sich führen lässt – Schritt für Schritt, wieder und wieder. Auf einem solchen Weg der Wandlung und Mensch-Werdung bleibt der Mensch ein Leben lang – im immer neuen Loslassen eigener Vorstellungen und Illusionen und im immer neuen Einlassen auf den einen nächsten Schritt.

Das vor uns liegende Weihnachtsfest lädt ein, uns den biblischen Gestalten um die Krippe anzuschließen, gerade vielleicht in diesem Jahr. Weltweit hat die Corona-Pandemie gravierend in Planungen, vermeintliche Selbstverständlichkeiten und Sicherheiten eingegriffen, ja unser Leben auf den Kopf gestellt. Mangel und Verlust, Unsicherheit und eigeschränkte Möglichkeiten im Außen öffnen uns neu dafür, um innere Führung und Wegweisung zu bitten, darum, den je einen nächsten Schritt zu erkennen und um Mut, ihn setzen zu können. Als der neuerliche Lockdown sich anbahnte, konnte man als Schlagzeile die folgende Frage lesen: „Gibt es Chancen auf ‚normale' Weihnachten?” – Was immer damit gemeint sein mag: diese Chance gibt es eventuell nicht oder nur eingeschränkt. Aber vielleicht gibt es ja die viel wesentlichere Chance, dem innersten Kern von Weihnachten etwas näher zu kommen, dem eigenen Inneren, in dem Christus Mensch werden möchte.

Dass wir durch alles Dunkel, Fremde und Verunsichernde immer weiter geführt werden auf diesem Weg – Schritt für Schritt – das ist unser Weihnachtswunsch für Sie, Euch und uns alle und unser Segenswunsch für das Neue Jahr!

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2020

Graswurzelkirche

Petra Maria Hothum und ich bieten ab Herbst nächsten Jahres eine „Ashram-Ausbildung” an, die dazu befähigen soll, eine Ashramgruppe oder einen Ashramtag zu leiten. Das Konzept dieser Ausbildung unterscheidet sich wesentlich von den beiden dreijährigen „Lernwegen”, die wir 2013 und 2016 begonnen haben. Es sieht 5 verlängerte Wochenenden vor, verteilt über ein Jahr, und ist "pragmatisch" gestrickt: je eine Einheit ist den zentralen Themen „Meditation”, „Gruppe” und „spirituelle Deutung” gewidmet. Die erste Einheit dient der Grundlegung der Ausbildung und der stillen Zeit aus Meditation und Schriftbetrachtung, die im Alltag eingerichtet werden soll. Die letzte Einheit rundet die zurückgelegte Strecke ab und fragt nach dem persönlichen Weiterweg. Da Meditation nur durch Meditieren zu erlernen ist, setzen wir 30 Kurstage im Ashram Jesu voraus.

Der Boden, aus dem diese Ausbildung erwächst, ist kein anderer als der der früheren Lernwege. Doch treten heute die Bedeutung und die Dringlichkeit eines solchen Angebots deutlicher zu Tage. Die „Volkskirchen” befinden sich in sich beschleunigender Talfahrt. Sie begegnen ihr mit Strukturanpassungen. Die katholische Kirche in Deutschland möchte sich in ihrer Organisationsform modernisieren, ein richtiger und überfälliger Schritt. Allerdings ist man Christ weder, weil man einem „christlichen” Volk angehört, noch wird man es wegen der Organisationsform der Kirche, sondern weil einem Menschen in Person und Botschaft Jesu ein Weg zu einem sinnerfüllten Leben aufgeht, einem Leben, das größer ist als diese Welt und über den Tod hinausreicht, und dieser Mensch diesen Weg in Freiheit und in Gemeinschaft mit anderen gehen will. Das ist Liebe zu Jesus – „wer meine Gebote hat und sie hält, der ist es, der mich liebt” (Joh 14,21) – und diese Liebe ist das Fundament der Kirche, nichts sonst.
Wo aber kann man heute Jesus begegnen, wie kann man lernen, seinen Weg zu gehen, ja ihn zu lieben?

Um Jesus und seine Bedeutung für das eigene Leben kennenzulernen, braucht es „Orte”, an denen seine Gegenwart erfahren werden kann. Solche „Orte” sehe ich z.B. auch in „Ashramgruppen”. Man muss kein Glaubensbekenntnis haben, um an ihnen teilnehmen zu können. Diesbezüglich sind Ashramgruppen offen und voraussetzungslos. Die Teilnehmer*innen der Ashramgruppe üben Vipassana-Meditation. Der Ashram Jesu versteht diese als Beten nach „Methode” und Geist des Vaterunsers, insofern die Meditierenden darauf vertrauen, dass sie das, was sie ersehnen, nicht dadurch finden, dass sie auf ihren Absichten bestehen, sondern dadurch, dass sie sich verwandeln lassen, indem sie bereit sind, in der Meditation bewusst geschehen zu lassen, was geschieht, und die eigenen Absichten und Erwartungen loslassen, sobald sie ihrer gewahr werden. Über die gemeinsame Meditation hinaus geben die Teilnehmer*innen einander Raum anzusprechen, was die Einzelnen persönlich bewegt.

Eine solche Gruppe sollte von einer Person geleitet werden, die im Alltag die Nähe zu Jesus in Meditation und Schriftbetrachtung sucht und dabei allmählich lernt, aus dem Hören heraus zu handeln, und nicht, weil sie etwas sieht und denkt, dies oder das wäre gut. Solche Menschen gibt es, aber sie müssen sich für diese Aufgabe zur Verfügung stellen. Das verlangt, die Rolle eines Konsumenten und Laien in Sachen Spiritualität abzustreifen, Verantwortung zu übernehmen und seine Spiritualität mit anderen zu teilen, auch wenn sie einem gefühlt als zu wenig vorkommt.

An solche Personen richtet sich unsere Ausbildung. Sie möchte ihnen Werkzeug an die Hand geben, so dass sie eines Tages, wenn sie sich dazu gerufen fühlen, solche Orte aufbauen, an denen Menschen etwas spüren können von der Gegenwart Christi in einer reinen Präsenz und dem Frieden, der darin liegt: Orte, an denen Gemeinde entsteht; Orte, an denen Nachfolge Jesu geübt wird.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2020

Unser Streben nach Glück und die Erfüllung, die bleibt

Offenbar sind wir Menschen regelrecht beherrscht vom Streben nach Glück, auch wenn wir die Last des Besitzens spüren. In Indien habe ich verstanden, dass der Arme, der auf der Straße lebt, sich keineswegs mit der Freude der Armut begnügt, die der reiche Westler so sehr beneidet, sondern von einer Hütte im Slum träumt und danach von einer kleinen Wohnung in einem besseren Viertel. Derjenige, der ein Fahrrad hat, arbeitet für ein Moped, dann für ein Auto. Wer Arbeit hat, schaut sich nach einer auskömmlicheren und befriedigenderen Tätigkeit um… Ähnliches gilt auf der gesellschaftlichen und staatlichen Ebene. Eine unterdrückte Gesellschaft wie in Syrien oder in Belarus sucht Freiheit und politische Mitbestimmung. Die Wirtschaft tut alles, um uns zu verkaufen, was das Leben etwas bequemer, etwas angenehmer, bunter, abwechslungsreicher, gesünder… – kurzum: glücklicher – zu machen verspricht. Auch ein Teil der Spiritualitätsbranche lässt sich hier einordnen. Dieses Streben nach Glück ist so stark, dass es sich über die Vernunft hinwegsetzt: wir sehen das in Zeiten von Corona am Umgang mancher Mitbürger mit der AHA-Regel, an der Ausbeutung der Natur und der Erde gegen die Grenzen des Wachstums und der Moral, da die reichen Länder die Ressourcen aufzehren, die den sich entwickelnden Ländern zustehen.

Dieses dauernde Glücksstreben kann ja nur so zu verstehen sein, dass das Glück, das auf diese Weise gefunden wird, nicht taugt. Es ist von kurzer Dauer: ist das Erstrebte erlangt, fühlt man sich satt und zufrieden. Schon bald beginnt das Auge jedoch unruhig herumzuschauen, was es denn nun noch Erfreuliches geben könnte. Und wenn dann etwas entdeckt ist, beginnt das Streben von Neuem. Das Glück des Habens weist noch einen weiteren Mangel auf: Es ist eigentlich ganz schnöder Lohn für die eingesetzte Arbeit. Es ist nichts weiter als ein Deal, für den man zahlt, und oft genug ist es nicht einmal ein guter Deal, weit entfernt davon, Würdigung des eigenen Wesens oder gratis gewährte Gabe des Lebens zu sein.

Wer dies durchschaut, fängt an, den Mangel an bleibender Erfüllung zu spüren. Einer Erfüllung, die wirklich je mich meint, die mich im Kern meines Menschseins würdigt und bejaht. Bleibende Erfüllung kann nur Geschenk sein und nicht Lohn. Sie kann also nicht angestrebt werden. Und sie bleibt. Sie liegt auf einer ganz anderen Ebene als Stimmungen, die glückliche und schlechte Stunden des Lebens in uns auslösen.

Doch wie kann eine solche Erfüllung gefunden werden? Da sie nicht durch Haben-Wollen zu erreichen ist, bleibt nur, die Hindernisse zu entfernen, die ihrem Empfang im Wege stehen, und zu warten. Diese Hindernisse bestehen vor allem in einem: in der Automatik, das Gefällige zu erstreben und das Missfällige zu vermeiden. Dieses Gesetz hat eine Voraussetzung und eine Konsequenz. Es setzt voraus, dass sich wahre Erfüllung herstellen lässt – in einem Leben, das auf den Tod zu lebt: ein Irrtum. Die Befolgung dieses Gesetzes zieht eine Knechtsmentalität nach sich, da der Mensch sich selbstverständlich dafür gebraucht, die Zwecke zu erreichen, die es ihm vorgibt. Dieses Hindernis zu entfernen und umzukehren, bedeutet dann, statt sich zu gebrauchen, sich selbst liebevoll zuzuwenden, in Kontakt zu treten mit dem Menschen, der ich selbst bin. Diese Zuwendung wird vermittelt durch die Wahrnehmung der Wirklichkeit, die hier und jetzt da ist, und die auch dasein darf, gleich ob sie gefällt oder missfällt. Offensichtlich ist diese Umkehr nur auf einem täglich gegangenen Weg möglich. Das Gebet ist der Ort, an dem die Wirklichkeit hier und jetzt mir innewird. Im Gebet wird eingeübt, was dem Empfangen der wahren Erfüllung dient: Liebevolle Zuwendung zu dem Menschen, der sich selbst sein lässt. Demut als Annahme der Wirklichkeit, wie sie ist. Gehorsam gegenüber dem, was sich dem Betenden als sein Handeln in der gegebenen Situation zu erkennen gibt. Vertrauen, Geduld… So gehen der Beterin/dem Beter die Augen auf für die Erfüllung, die bleibt.

Welches Glück diese für den Menschen bedeutet, lässt sich nicht in Worten ausdrücken. Doch hat die bleibende Erfüllung damit zu tun, dass der Mensch befreit wird zu seinem wahren Selbst, mehr und mehr aus seinem Grund, der der Grund aller Wirklichkeit ist, leben kann und entdeckt, dass dieser Grund unbedingte Liebe ist, in deren Gegenwart er lebt, weil er sie in allem entdeckt, auch im Leiden.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, August 2020

Die Not-wendigkeit des Innehaltens und Verweilens bei dem, was ist.

Bei der Vermittlung und Einübung unserer Meditationsweise spielt in den Ashram-Kursen neben den einführenden Anleitungen eine regelmäßig stattfindende halbstündige Gesprächsrunde eine wichtige Rolle. Sie steht unter der Fragestellung: „Wie geht es mir in der Meditation?”, und die Teilnehmenden haben hier die Möglichkeit, ihre ganz konkreten Erfahrungen, Fragen und Schwierigkeiten mit dem Meditieren mitzuteilen und Hilfestellungen v.a. methodischer Art zu erhalten. Verschiedenste Aspekte kommen in diesen Runden zum Tragen, aber eines wird immer wieder sehr deutlich, wie stark nämlich beim Meditieren unsere Neigung zum Machen- und Etwas-Herstellen-Wollen ist. Und umgekehrt: wie schwer es uns fällt, in dieser Zeit der Stille einfach in der Wahrnehmung dessen zu verweilen, was wir jeweils von uns merken.

So sehr wir uns einerseits genau danach sehnen, da sein zu dürfen, wie wir sind, mit dem, was gerade ist, so sehr erleben wir uns andererseits angetrieben von dem Bestreben, das, was wir jeweils vorfinden, direkt einzuordnen gemäß unserer Vorstellungen, wie die Meditation, wir selbst, eine Situation, andere … sein sollten. Und entsprechend wirken wir darauf ein: Wenn das, was wir bei uns erleben, uns gefällt, ordnen wir es als passend, angenehm oder bereichernd ein und streben unwillkürlich danach, es zu halten und zu vertiefen …; wenn uns das Erlebte jedoch schwierig, unangenehm, unpassend oder ungenügend erscheint, dann setzen wir ebenso unwillkürlich alles daran, es abzuwehren, zu vermeiden, zu verändern … – das alles oft, ohne dass uns so recht zu Bewusstsein kommt, was wir da eigentlich tun. Merken wir es oder werden darauf aufmerksam gemacht wie etwa in besagten Gesprächsrunden, dann kann dies eine wichtige Schaltstelle sein. Sie ermöglicht uns an- und innezuhalten, diesen wie selbstverständlich eingefleischten Mechanismus zu unterbrechen und uns wieder neu einzulassen auf das Wahrnehmen und Verweilen bei der eigenen Wirklichkeit hier und jetzt mit all ihren Facetten.

Doch warum ist das so bedeutsam?

Mit dem beschriebenen spontanen Einwirken-Wollen auf das, was wir bei uns vorfinden, vermeiden wir den unmittelbaren Kontakt damit und müssen so die ausgelösten Empfindungen nicht spüren. Wir bleiben auf diese Weise letztlich „in den guten und in den bösen Stunden hängen”, um mit Worten aus einem Text des Jesuiten Alfred Delp zu sprechen, der uns im Ashram Jesu sehr wichtig ist. „Wir erleben (diese Stunden) nicht durch bis zum Brunnenpunkt, wo sie aus Gott hervorgehen”. Ganz gleich, ob wir etwas festhalten oder ob wir es loswerden wollen und spontan die entsprechenden Maßnahmen ergreifen, bleibt unsere Aufmerksamkeit damit gebunden im Außen und an der Oberfläche. Eine Chance zur inneren Begegnung mit dem, was jeweils ist, kann es nur im Durcherleben, also im wahrnehmenden Verweilen bei der Wirklichkeit hier und jetzt geben, bei dem man an sich heranlässt, was immer an Empfindungen damit verbunden ist. Dieser Weg führt in die Tiefe, zum Brunnenpunkt, wo das, was ist, aus Gott hervorgeht. Auf diesem Weg kann sich aus der Mitte der Person heraus etwas klären, lösen und wandeln in einer Weise, wie es an der Oberfläche nicht möglich ist. Und dies wiederum ermöglicht ein neues, vertieftes Handeln in Gegenwärtigkeit und Freiheit. Das aufmerksame, geduldige, liebevolle Verweilen bei dem, was ist, ist also nicht nutzlose Selbstbespiegelung, Passivität oder gar Stillstand, sondern letztendlich ein lebensnotwendiger Prozess.

„In allem” – so noch einmal Alfred Delp – „will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort.” Alles, was ist, ist es also wert, gesehen, wahrgenommen und durchlebt zu werden, um so je neu zu einer Antwort aus der Mitte der Person zu finden. – Eine solche Antwort und ein solches selbstverantwortliches Handeln aus dem Kontakt mit dem eigenen Inneren scheint gerade jetzt in diesen verunsichernden, ja z.T. bedrohlichen Zeiten von besonderer Bedeutung zu sein. Von daher ist auch das An- und Innehalten und das Verweilen bei der eigenen Wirklichkeit gerade jetzt besonders not-wendig.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juni 2020

Corona und Achtsamkeit

Neben der Herausforderung sehen wir auch eine echte Chance, die Corona in sich birgt, ein wichtiges Lern- und Übungsfeld, das uns allen jetzt aufgegeben ist – hier in unserer Lebensschule, aber auch und vor allem im jeweiligen Alltag zu Hause. Die neuen Gegebenheiten und Abläufe laden ein zu einem vertieften Üben von Achtsamkeit, zur aufmerksamen, wachen und geduldigen Begegnung mit der Wirklichkeit, wie sie jetzt nun einmal ist. Sie laden ein zu merken, was ich eigentlich vollziehe oder vielleicht gerade nicht vollziehen kann und wie es mir damit geht. Sie laden ein, die anderen, mich selbst und den je eigenen notwendigen Raum bewusst wahrzunehmen, zu respektieren und zu schützen. Sie laden ein zu entdecken, was wirklich nötig ist, was ich tatsächlich brauche und was ich vielleicht auch lassen kann oder sollte. Sie laden ein, Mangel und Einschränkung nicht einfach spontan abzuwehren oder auf irgendeine Weise zu kompensieren, sondern an mich heranzulassen und zu durchleben.

Wenn ich auf mein eigenes Erleben in den vergangenen Wochen zurückschaue, haben sich mir u.a. manche Alltagssituationen eingeprägt, in denen ich in meiner üblichen Routine unterbrochen, ja in denen ich förmlich angehalten wurde. So etwa, wenn es darum ging, „mal eben schnell” eine Kleinigkeit zu besorgen, was aufgrund vieler Regeln und Beschränkungen dann doch nicht „mal eben schnell” ging und mitunter auch gar nicht gelang, weil nämlich Zeit- oder Geduldbudget nicht ausreichten oder das Gewünschte einfach nicht vorhanden war.

Selbstverständlichkeiten waren plötzlich aufgehoben, und so lästig und nervig ich das in mancher konkreten Situation vielleicht fand und finde, merke ich aufs Ganze gesehen doch, dass solche Erfahrungen, wenn ich sie bewusst an mich heranlasse, letztendlich eine öffnende, ernüchternde und zentrierende Wirkung haben. Und für diese kleinen Alltags-Lektionen in Corona-Zeiten bin ich wirklich dankbar – auch wenn mir und uns allen eine Welt ohne Corona natürlich lieber wäre.

Dennoch: Vergleichbares habe ich in letzter Zeit immer wieder auch von anderen gehört, so etwa:

„Im Augenblick fällt so manches weg, was man gar nicht mehr zurück haben möchte.”
„Ich habe durch diese Zeit mehr gewonnen als verloren.”
„Diese Situation bringt mich an Grenzen, aber ich merke, dass sich auch ganz neu etwas öffnet.”
Und für manch einen hat in das eigene Zuhause neben der Arbeitsweise des Home-Office auch die Lebensweise des „Home-Ashram”, unsere online-Angebote, mehr Eingang gefunden.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2020

Die Beziehung zu Gott wachsen lassen

Inzwischen haben wir gemerkt, dass die Corona-Krise keine kurze Unterbrechung unseres gewohnten Lebens ist, sondern uns zwingt, ein neues Leben zu lernen, neue Formen von Kontakt zu entwickeln. Das gilt auch für die Beziehung zu Gott, zu der das derzeitige ablenkungsfreiere und durch Unsicherheit belastete Leben uns einlädt. Diese Beziehung zu Gott wird vor allem durch das persönliche Gebet gepflegt, das nicht dem Zufall oder Lust und Laune überlassen wird, sondern einen festen Platz im Alltag hat. Beten ist der Kern des Christlichen.

Wer es üben will, wird sehr schnell merken, dass das oft ein wenig Überwindung kostet. Plötzlich erscheint alles andere wichtiger als die Zeit mit Gott im Gebet. Wer diese Hürde überwindet, merkt gewöhnlich auch etwas vom Trost und der Kraft des Gebetes.

Zu Beginn ist eine Phase der Sammlung wichtig. Dabei helfen die Methoden, die Ihr aus dem Ashram kennt: das ruhige Atmen, während die Aufmerksamkeit das Heben und Senken der Bauchdecke begleitet, das Erspüren der eigenen Befindlichkeit und das wahrnehmende Verweilen dabei, "aufmerksam, gelassen und liebevoll." Wer mehr Erfahrung mit Gott hat, der findet in diesem wortlosen Innehalten und Lauschen in das Herz der Stille alles, was er oder sie sucht.

Wenn dies nicht der Fall ist, gibt es mehrere Möglichkeiten:

Bedenkt, dass die Beziehung zu Gott wachsen muss, dass sie wie jede Beziehung Pflege und Geduld braucht, und dass es wie in jeder anderen Beziehung, gerade die schwierigen Phasen sind, die die Beziehung vertiefen, wenn sie miteinander durchgestanden werden. Es gibt Durststrecken in der Beziehung zu Gott. Es wird immer wieder Phasen der Unruhe, der Ohnmacht, der Verunsicherung, des Sich-Fremd- und Unbehaust-Fühlens, der gefühlten Gottesferne geben. Das Gebet, ja das Leben überhaupt, entspricht dann nicht den eigenen Wunschvorstellungen. Aber solche Grenzerfahrungen verändern denjenigen, der an der Grenze bewusst aushält, weil sie bislang verborgene innere Bewegungen aufdecken. Es gilt, gelassen und liebevoll geschehen zu lassen, was geschieht. Auch die Jünger*innen Jesu haben sich seine Passion und seinen Tod nicht gewünscht. Die Frauen, die unter dem Kreuz verweilten, bei der Beisetzung Jesu zugegen waren, am und sogar im Grab aushielten, sie sind die ersten, die dem Auferstandenen begegnen. Sie blieben bei dem, was war. Die Verwandlung, die das Durchleben der Grenze bewirkt, ist eine Verwandlung vom Haben zum Sein, vom falschen zum wahren Selbst, vom Getriebensein zur Freiheit der Person.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2020

Einander begegnen

Auch wenn jetzt viel von Lockerungen geredet worden ist und damit die Vorstellung genährt wurde, dass die Corona-Krise im Wesentlichen überstanden sei und das Leben wie zuvor weitergehen kann, so halte ich das für einen Irrtum: Solange es nicht wirksame Medikamente und Impfstoffe gegen Covid-19 gibt, bleibt soziale Distanz das erste Gebot der Stunde und kann es ein Weiter-wie-vor-der-Krise-gehabt nicht geben für diejenigen, die verantwortungsvoll leben wollen. Deswegen ist es nötig, die Perspektive zu wechseln: statt wie gebannt auf das Ende der Ausnahme-Situation zu starren und schon mit den Füßen zu scharren, kommt es darauf an, mit dem Corona-Virus leben zu lernen und auszuhalten, was auszuhalten ist: die Unplanbarkeit des Lebens, für manche das ungewohnt dichte Aufeinandersitzen, das Zuhause-Bleiben-Müssen, finanzielle Ängste und Nöte. Wichtig ist, zu entdecken, welche Möglichkeiten im Rahmen der Krise bestehen, um sein Leben mit den Möglichkeiten hier und jetzt lebenswert zu machen: das kann Kochen statt Mikrowelle sein, das können gemeinsame Spaziergänge, gemeinsames Spielen, vielleicht auch gemeinsames Beten, Meditieren, … sein.

Was, glaube ich, am meisten hilft, ist einander begegnen. Das ist nichts Selbstverständliches. Erst recht, da die Lebensweise unserer Suchtgesellschaft zuvor nahegelegt hat, sich in Events, ob alleine oder mit anderen, zu verlieren, dabei als Person unterzugehen, sich aufzulösen in rauschhaften Gefühlszuständen. Die ernüchternden Umstände der Krise sind günstig, um sich begegnen zu können, sogar in 2 m Abstand: Der gemeinsame Feind Corona schweißt zusammen, schafft ein Thema, das jeden betrifft, so dass es Begegnung vermitteln kann, wenn Interesse am anderen da ist und die Bereitschaft, sich aufrichtig zum eigenen Erleben zu äußern. Dann kann es diese gegenseitige Berührung geben, durch die sich Kraft, Zuversicht, Vertrauen, Bejahung mitteilen: „Alles wahre Leben ist Begegnung.” (Martin Buber). Dann ist zu erfahren, dass geteiltes Leid halbes Leid, und geteilte Freude doppelte Freude wird.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, März 2020

«Blick' in dein eig'nes Herz!»

Vor einigen Wochen fand im Ashram ein Kurs statt, der sich mit der spirituellen Wegweisung des islamischen Mystikers Rumi beschäftigte. Bei aller Unterschiedlichkeit in Bezug auf das, was Einzelne zum Besuch dieses Kurses motiviert hatte, zeigte sich im Austausch direkt, dass der Kurstitel „Blick in dein eig'nes Herz!” eine besondere Anziehungskraft auf die Gruppe der Teilnehmenden ausübte. Diese Aufforderung Rumis rührt an eine tief menschliche Sehnsucht, in Kontakt mit sich selbst, mit dem eigenen Inneren zu sein und aus diesem auch leben zu können. Und zugleich lässt dieser Imperativ vermuten, dass der Blick ins eigene Herz wohl alles andere als selbstverständlich ist, längst nicht so naheliegend und unmittelbar, wie man es eigentlich meinen sollte. Ja, es scheint einfacher zu sein, sich im Außen umzusehen und sogar weite äußere Wege zurückzulegen, als den Zugang zum eigenen Inneren zu finden – so jedenfalls Erfahrungen, die in der Kursgruppe geäußert wurden. „Die längste Reise ist die Reise nach innen”, mit diesen Worten fasst auch Dag Hammarskjöld, ehemaliger UN-Generalsekretär und christlicher Mystiker, sein spirituelles Suchen und Leben zusammen.

Warum ist das so, warum stellt der Zugang zum eigenen Inneren einen so langwierigen und mühevollen Weg dar? – Ein wesentlicher Grund liegt sicher darin, dass das Äußere mit seinen Ansprüchen, Notwendigkeiten, Verlockungen und seiner oft geballten Macht sich immer wieder laut und fordernd meldet. Es drängt sich auf, bannt unsere Aufmerksamkeit und will bzw. muss auch Beachtung finden. Das Äußere verschafft sich unmittelbar Gehör, während das, was im Innern ist, normalerweise viel leiser und unscheinbarer daherkommt und in seinem An-Spruch oft nicht direkt zugänglich ist. Vielfach ist nicht so klar, was genau sich im eigenen Inneren regt, und es braucht Aufmerksamkeit und Zeit, geduldiges Hören und Abwarten, wieder und wieder, um zu merken, was sich da eigentlich zeigen und wohin einen dies bewegen möchte.

Entsprechend lädt eine anderes Wort Rumis ein: „Warte, bis du in dich selber blickst; erkenne, was dort wächst.”

Und der Dichter Rainer Maria Rilke drückt es folgendermaßen aus: „Man muss den Dingen die eigene, stille, ungestörte Entwicklung lassen, die tief von innen kommt und durch nichts gedrängt oder beschleunigt werden kann; alles ist austragen – und dann gebären … Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen, und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben …” (aus Rilkes „Brief an einen jungen Dichter«).

Warten, Geduld haben und den Dingen ihre Entwicklung lassen, das hört sich für viele wahrscheinlich nicht sonderlich attraktiv an. Es widerspricht unserer Tendenz zum Machen-Wollen, unserem Wunsch, die Dinge im Griff zu haben, sie schnell und erfolgreich abzuwickeln, für Problematisches umgehende Lösungen zu finden und bei Mangelndem prompte Abhilfe oder wenigstens Entlastung schaffen zu können. Mit dem Warten hingegen verbinden wir eher Passivität und untätiges Laufen-Lassen. Doch gemeint ist in den zitierten Worten etwas anderes, nämlich achtsames Dasein, Präsenz, geduldiges Verweilen bei dem, was jetzt ist. Leben in einer solchen Haltung bedeutet eine richtige Mühe, eine Arbeit, die jedoch nicht im Machen, sondern vor allem im Empfänglich-Sein und –Bleiben besteht. Dies beinhaltet auch das Aushalten bei Verschlossenem, Widerständigem, bei dem, was sich nicht auf die Schnelle klären und lösen lässt, Aushalten in Mangel, Spannung, Unbequemem und Unsicherem. So da zu sein heißt immer wieder auch, Erwartungen loszulassen und offen zu bleiben für das Unverfügbare. Auf diesem Weg öffnet sich der Zugang zum Inneren. Und der Kontakt damit hat Aus-Wirkungen. Aus ihm kann schließlich ein Handeln im Außen erwachsen, das nicht einfach Re-Agieren auf äußere Antriebe und Reize ist, sondern ein Agieren aus der Mitte der Person, aus einer persönlichen Geklärtheit und Verantwortung, die auch verantwortliche und tragfähigen Lösungen hervorbringen kann.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Februar 2020

In innerer Freiheit leben ist wichtiger als Besitz, Macht und Ansehen

In Cervantes' Don Quijote bringt es dessen Diener und Gefährte Sancho Pansa zum Statthalter von Batavia (heute Jakarta, Indonesien). Doch eines Tages ging Sancho Pansa zum Stall und alle folgten ihm. Er umarmte seinen treuen Esel, gab ihm einen Friedenskuss auf die Stirn und sagte zu ihm, nicht ohne Tränen in den Augen: „Komm her, du mein Freund und Gefährte in meinen Drangsalen und Leiden. Als ich mit dir eines Sinnes lebte und keine anderen Gedanken hatte als die Sorge, dein Geschirr zu flicken und dein Bäuchlein zu pflegen, da waren meine Stunden, meine Tage und meine Jahre glückselig; aber seit ich dich verlassen und auf die Turmhöhe des Ehrgeizes und Hochmutes gestiegen bin, seitdem sind mir tausend Qualen, tausend Drangsale und zehntausend Kümmernisse in die Seele gedrungen.”

Während er so sprach, sattelte er seinen Esel, ohne dass jemand ein Wort sagte; und sobald der Sattel aufgelegt war, stieg er mit großen Schmerzen und Beschwerden auf seinen Grauen, wandte sich an alle, die ihn in großer Zahl umstanden, und sagte: „Gebt mir den Weg frei meine Herren, und lasst mich heimkehren zu meiner alten Freiheit; lasst mich mein früheres Leben suchen gehen, damit es mir zur Auferstehung hilft aus dem gegenwärtigen Tod.

Ich wurde nicht geboren, um Herrscher zu sein, noch um Städte und Inseln zu verteidigen gegen Feinde, die sie überfallen wollen. Ich versteh mich besser aufs Pflügen und Graben, aufs Beschneiden und Okulieren der Reben, als aufs Gesetze-Geben oder das Verteidigen von Provinzen und Königreichen. Am wohlsten ist es St. Peter in Rom; ich meine am wohlsten ist jedem, der dem Beruf nachgeht, zu dem er geboren wurde. Mir liegt besser eine Sichel in der Hand als ein Herrscherstab; lieber will ich mich an einer Krautsuppe satt essen, als einem lästigen Doktor elend ausgeliefert zu sein, der mich vor Hunger umkommen lässt; lieber streck ich mich im Sommer in den Schatten einer Eiche und wickle mich im Winter in einen abgewetzten Schafspelz und bleibe dabei in meiner Freiheit, als mich in der Knechtschaft einer Statthalterei zwischen holländische Betttücher niederzulegen und mich in Zobelpelze zu kleiden.

Behüt' euch alle Gott, verehrte Herren, und sagt dem Herzog, meinem gnäd'gen Herrn: Nackt bin ich heut und nackt ward ich geboren; hab' nichts gewonnen und nichts verloren. Ich will damit sagen, dass ich die Herrschaft hier ohne einen Pfennig antrat und ohne einen wieder gehe, recht anders als Statthalter anderer Inseln sonst fortzugehen pflegen. Jetzt geht beiseite und lasst mich fort… .”

Die Leute wollten Sancho Pansa nicht ziehen lassen, doch es gab für ihn kein Zurück mehr; so nahmen sie voneinander Abschied, und er ließ sie zurück voll Verwunderung über seine Worte wie über seinen so festen und verständigen Entschluss. (II. Buch, Kapitel 53)

Es ist die Sehnsucht nach seiner alten Freiheit, die Sancho Pansa die Kraft gibt, loszulassen, was ihm nicht entspricht und ihn geradezu getötet hat. Das Leben in der alten Freiheit ist nicht ohne „Drangsale und Leiden”, es ist ein Leben ohne Luxus. Es ist Auferstehung seines wahren Selbst. Der Text lädt zu vielerlei Überlegungen ein. Vielleicht habt Ihr Lust, Euch von ihm begleiten zu lassen in den nächsten Wochen der Fastenzeit. Schön wäre, wenn er in dem einen oder der anderen die Sehnsucht wach werden lässt, zu seiner/ihrer alten Freiheit heimzukehren, mehr zu leben, was der eigenen Person wirklich entspricht, damit dies „zur Auferstehung hilft aus dem gegenwärtigen Tod.”

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Januar 2020

Empfänglichkeit und Offenheit

Der 1. Januar ist in der katholischen Kirche der Gottesmutter Maria geweiht, eine sehr gute Wahl, wie ich finde. Wenn man die biblischen Texte naiv nimmt, d.h. so, wie sie dastehen, tritt dem Leser aus ihnen eine Frau entgegen, die mit unglaublicher Offenheit das Leben, das auf sie zukommt, an sich heranlassen und sich ihm anvertrauen kann: "Mir geschehe, wie du gesagt hast" (Lk 1,38). Mit Entscheidungen tun Maria und auch Josef sich nicht schwer (Mt 1,24; 2,13-23). Dass ihnen ihre Entscheidungen so klar und gewiss werden, ist letztlich ein Geschenk Gottes: in den Texten ist es ja jeweils der Engel, ein Gottesbote, der sie überbringt. Dass ein solcher Engel nicht jederzeit zu jedem kommt, wissen wir aus eigener Erfahrung. Der Engel kann ja auch nur zu den Empfänglichen kommen, zu denen, die offen sind.

Empfänglichkeit und Offenheit sind jedoch keine Selbstverständlichkeiten. Weder von außen noch aus unserem Herzen kommt uns stets nur Angenehmes entgegen. Auch die Botschaften, die der Engel Maria und Josef bringt, sind nicht nur Frieden und Freude: im Leben Mariens geht nichts mehr so weiter wie gehabt, eine unsichere Zukunft liegt vor ihr. Und Josef hat die Entscheidung zur Migration zu vollziehen.

Da also Empfänglichkeit und Offenheit Verletzungsgefahr in sich bergen, müssen sie gelernt und geübt werden, und Maria lehrt uns, wie das geht. Denn es heißt: "Maria aber bewahrte alle diese Worte und erwog sie in ihrem Herzen" (Lk 2,19). Was sie tut, ist keine reine Kopfsache. "Im Herzen" sind Empfindungen, Gefühle, Motive mit dabei, die gewogen, geprüft, er-fahren werden wollen. Das braucht Zeit und Raum, um dabei verweilen zu können. Das ist nicht nur Aussuchen der schönen Empfindungen, sondern auch Wahrnehmen der schmerzlichen. Im Silvesterkurs erzählte eine junge Frau, dass sie sich im vergangenen Jahr einem für sie schwierigen Thema gestellt habe. Während sie sprach, saß sie hoch aufgerichtet auf ihrem Stuhl, voll Freude und Würde. Das ist des Erwägens-im-Herzen unmittelbare Wirkung. Die weitere Folge der Freude und Aufrichtung ist, dass Vertrauen und damit Offenheit und Empfänglichkeit wachsen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2019

Innehalten – Innewerden – Sich wandeln lassen – Tun: der Weg zu bleibender Erfüllung

Antonio Guterres wählte auf der Madrider Klimakonferenz deutliche Worte, um das Ausmaß der Krise aufzuzeigen. Zurzeit zerstöre die Menschheit wissentlich die Ökosysteme, die sie am Leben erhalten, beklagte Guterres. „Wir müssen endlich zeigen, dass wir es ernst meinen damit, den Krieg gegen die Natur zu beenden. Wenn wir nicht schnell unseren Lebensstil ändern, gefährden wir das Leben an sich”, sagte er.

Das ist also das Ergebnis der Weise, uns zu ernähren, uns fortzubewegen, zu wohnen und überhaupt zu leben. Überraschend kommt das nicht. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hat der Club of Rome auf die Grenzen des Wachstums hingewiesen. Genutzt hat es nichts. Die Weltgemeinschaft beschäftigt sich seit 1992 mit dem Klima, fasst Beschlüsse zur Reduktion des CO2-Ausstoßes, was diesen nicht hindert, seitdem um 69% anzusteigen. Die Grenzen des Planeten zu respektieren, fällt dem Menschen, der auf Erfüllung angelegt ist und diese in irdischen Gütern sucht, deswegen so schwer, weil er sie in ihnen letztendlich nicht findet und deswegen immer mehr haben muss, Besseres, Neueres, Modischeres… Nun ist die Menschheitsgeschichte an dem Punkt angekommen, an dem offenkundig wird, dass der Mensch sich selbst und die Natur zerstört, wenn er wie bisher weiterhin seine erfüllte Welt anstrebt. Ob er in den Folgen des Kimawandels umkommt oder gut versorgt stirbt, in jedem Fall wird er es unerfüllt tun.

Es sei denn, er lebt im Geist der Weihnacht:
An Weihnachten feiern wir die Geburt eines Menschen, der seine Erfüllung nicht in dieser Welt anstreben musste: Jesus Christus war Gott gleich [dazu macht sich jeder, der seine erfüllte Welt erschaffen will], hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen; er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz (Phil 2,6-8). Menschen wie ihn, die sich den Gesetzen der Erde unterwerfen und die Grenzen annehmen können, die aufgeben können, bleibende Erfüllung auf der Erde erstreben zu müssen, braucht  die Menschheit heute. Jesus reift heran im Gehorsam. Gehorsam ist sein Charakteristikum. Dieser Gehorsam ist ein Prozess, der aus folgenden vier Schritten besteht:

Innehalten
Innewerden
Sich wandeln lassen
Tun

In diesen vier Schritten, so klein sie zu sein scheinen, schlägt das Herz des Christlichen, sie sind der Kern aller mystischen Traditionen der Weltreligionen. Sie sind das Lernprogramm bleibender Erfüllung. Im Innehalten wird der Mensch seiner Wahrheit inne, die er nur annehmen kann, wenn er seine illusionären und ichbezogenen Vorstellungen loslässt. Sich fallen lassen kann er jedoch nur, wenn er vom unbegreiflichen Geheimnis der Gottheit ergriffen ist. Sein Sturz befreit ihn zum Kontakt mit seinem wahren Selbst: das ist Christus. Durch ihn empfängt er den Geist Gottes, den er in seinem Tun in der Welt inkarniert. Die vier Schritte des Gehorsams führen in das trinitarische Leben Gottes.

Mehr als in den Jahren zuvor empfinde ich Weihnachten dieses Jahr als die Einladung, ernst zu machen mit der Umkehr, zu der der Zauber der Krippe und des neugeborenen Kindes uns einlädt und die Lage des Planeten uns zwingt, in der Hoffnung, die Erfüllung eines Lebens in Freiheit und Liebe in der trinitarischen Gottheit zu finden.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, October 2019

Klimawandel und Religion

Wir erleben in unserer Zeit, wie Diesseitserlösungsideen obsolet werden: zuerst hat sich der (real existierende) Marxismus als untaugliches Instrument erwiesen. Er hat die Gesellschaften, die ihn zu verwirklichen suchten, durch Unfreiheit und mangelnde Güterversorgung enttäuscht. Das hat der kapitalistischen Organisation unseres westlichen Lebensstils erheblichen Auftrieb gegeben. Dieser hat Bankenkrise und islamistischen Terror bisher überstanden. Doch nun kommt bei uns an, was seit etwa einem halben Jahrhundert bekannt ist: dass das Wachstum Grenzen hat. Wir beginnen diese Grenzen durch die von unserem Lebens- und Produktionsstil mitverursachte Erderwärmung zu spüren. Drastisch zu spüren! Unsere Weise zu leben ruiniert nicht nur uns selbst, sondern durch das Klima den ganzen Planeten. „Wir sind am Beginn eines massenhaften Aussterbens. Und alles, worüber ihr reden könnt, ist Geld und die Märchen vom ewigen wirtschaftlichen Wachstum” sagte Greta Thunberg auf dem UN-Klimagipfel im September in New York. In der Tat: Klimaerwärmung heißt nicht nur extremeres Wetter, sie heißt Zerstörung, Hunger, Flucht und Tod.

Wir müssen also nun den Planeten retten. Hoffentlich ist diese Aufgabe nicht zu groß für uns. Wie kann es gelingen, den babylonischen Turm unseres Lebensstandards so um- und abzubauen, dass wir aus dem Straßengraben Umweltzerstörung heraus finden, ohne in den anderen einer Klimadiktatur und ihrer Gegner zu fallen?

Die Einschnitte, die die Rettung des Klimas erfordert, werden unser Leben tiefgreifend verändern. Zum Beispiel wird individuelle Mobilität sehr teuer werden. Statt schnell mal, wenn einem das Dach auf den Kopf fällt, wie bisher hierhin und dorthin zu fahren oder zu fliegen, wird es dann öfter heißen müssen: bleib zu Hause! Was dabei das Problem ist? Nach einigen Stunden ermüdet auch das hunderste Fernsehprogramm. Dann stösst er auf seine Unzufriedenheit, seine Nervosität, vielleicht gar seine Leere und begreift, dass eine wesentliche Triebfeder seines Lebensstils ist, das Unangenehme im Leben nicht an sich herankommen zu lassen.

Wer meditiert, weiß hingegen aus eigener Erfahrung:

  1. Die Erde ist nicht in ein Schlaraffenland zu verwandeln. Jede Erfüllung, die sie gewährt, vergeht auch wieder. Ist die Erfülltheit vergangen, ist Unerfülltheit da. Unerfülltheit gehört zum Leben des Menschen dazu wie der Tod auch.
  2. Streben, das aus dem Wegkriegen-Wollen der Unerfülltheit und des „Es–ist–nie–genug!” geboren wird, ist zerstörerisch. Der westliche Kapitalismus scheitert an seinem Grund legenden Credo: dass aus dem selbstsüchtigen Streben des Einzelnen das Wohl aller entsteht. Dieses Wohl aller, des ganzen Planeten, steht nun aber auf der Kippe.
  3. Die Unerfülltheit ist jedoch auch eine Chance: Sie zu ertragen ist ein Weg zur Selbstwerdung, zur Humanisierung und zur Entdeckung des Absoluten. Sie ist ein Weg zu einer Erfülltheit ganz anderer Art, die sich erst im Tod vollendet.

Diese drei Punkte sind Botschaft der Religionen. Die Klima- und Umweltkrise ist technologisch allein nicht zu bewältigen. Zu sehr droht sie die gängige „Spiritualität” des „Lasst uns essen und trinken, denn morgen sind wir tot” (Jes 22,13; 1Kor 15,32) zu stören. Sie fordert zu einer Spiritualität heraus, die einen bescheideneren Lebensstil begünstigt, das Leben entschleunigt, vom Druck entlastet, „sein Leben in dieser Welt gewinnen” (Mt 16,26) zu müssen,  und es attraktiv macht, Zeit für und mit anderen Menschen zu haben. Wohl Euch, die Ihr meditiert!

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juni 2019

Der Blick ins Innere

In diesen Wochen bleiben Besucher des Ashram Jesu immer wieder einmal staunend vor der Rosenpracht in unserem Innenhof stehen. Ein wunderbares Bild bietet sich, wenn beim Eintreten durch das Hoftor die verschiedenen Rosenstöcke und –ranken in der Vielfalt ihrer Farben und Farbnuancen in den Blick kommen und die ganze Fülle sichtbar wird. Zwar sind einige der Rosen bereits verblüht und ihre abgefallenen Blütenblätter bilden einen Teppich auf dem Boden, doch zugleich öffnen sich immer neue Knospen. Es tut sich ein wirklicher Reichtum auf, eine geradezu verschwenderische Fülle. Diese Fülle gilt jedoch nicht nur im Blick auf die Gesamtheit der Blumenpracht, sondern auch im Detail. Immer wieder geht es mir so, dass ich auf eine einzelne Rosenblüte zugehe, davor stehenbleibe und mich im Blick auf diese eine Blüte oder in diese hinein fast verliere: staunend stehe ich vor der Komplexität ihres Innenlebens, vor dem wunderbaren Arrangement, der Besonderheit und Eigenart, die sich mir jeweils zeigt. Egal ob leicht erst geöffnet, ganz aufgeblüht oder bereits im Verblühen begriffen, egal ob eher spartanisch oder mit einer Unzahl von Blütenblättern ausgestattet, egal in welcher farblichen Gestaltung: jede Blüte hat ihre ganz eigene Schönheit und Würde, und es scheint angemessen und tut gut, dieser jeweils Raum zu geben und sie zu würdigen.

Der Blick ins Innere einer Rosenblüte zieht nach innen, lässt innehalten und fragen nach dem eigenen Inneren. Mir fallen Worte von Rumi, einem islamischen Mystiker, ein: "Im Innern deines Leibes ruht ein kostbarer Schatz … Wenn du den großen Schatz zu finden trachtest, … blicke in dich hinein und suche ihn". Diese Einladung, ins eigene Herz zu blicken, findet sich in seinen Texten in Variationen immer wieder. Doch nicht nur dort, sondern in den verschiedensten spirituellen Traditionen der Religionen ist es eine zentrale Weisung auf dem spirituellen Weg, bei sich selbst einzukehren und sich dem eigenen Inneren zuzuwenden. – Allerdings: so einfach wie der Blick ins Innere einer Rose ist dies nicht! Zwar gibt es in uns eine Sehnsucht nach diesem Bei-sich-Sein, diesem Kontakt mit sich selbst, aber es gibt zugleich auch den Widerstand dagegen, die Tendenz sich zu zerstreuen und an der Oberfläche und im Vielerlei hängenzubleiben.

Neben einigen anderen Hilfen auf dem Weg nach innen, wie etwa dem schweigenden, achtsamen Dasein und der Meditation, wird hier im Ashram Jesu immer wieder auch die Gruppe als wichtige Unterstützung erlebt: zwar seinen eigenen Weg zu gehen, aber ihn nicht alleine gehen zu müssen, mit anderen zur gleichen Zeit und im gleichen Raum zu meditieren und vor allem auch, von anderen zu hören, was sie auf ihrem Weg bewegt und Resonanzen zu bekommen auf eigene Mitteilungen hin. Das ist etwas sehr Kostbares. Im Austausch in der Gruppe kann manchmal Ähnliches geschehen wie beim Blick auf das Innere einer Rosenblüte: ehrfürchtiges Wahrnehmen und Angezogen-Werden, wenn etwas von der Farbe und "Beschaffenheit" des Inneren einer Person aufleuchtet, etwas von der Vielfalt ihrer Wirklichkeit hier und jetzt sichtbar wird. Es gibt echtes Mitleiden mit Nöten und Grenzen, an die der andere stößt, aber auch staunendes Verweilen und tiefe Mitfreude dort, wo Entwicklung, wo ein Durchbruch geschieht zu mehr Selbst-Kontakt und Lebensfülle und wo einen das Geheimnis aller Wirklichkeit unmittelbar berührt.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, April 2019

«Der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, taugt nicht.»

In diesen Tagen und Wochen, wo es überall – auch um den Ashram Jesu herum – grünt und blüht, kommt mir immer wieder ein Satz aus dem Gedicht „Bitte” von Hilde Domin in den Sinn: „Der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten, der Wunsch, verschont zu bleiben, taugt nicht.” Aber dennoch, wer würde das nicht gerne im Angesicht einer solcher Pracht und Fülle: den Blütenfrühling halten, die Schönheit, Buntheit und das Unverbrauchte des neu sprießenden Lebens bewahren, wohl wissend, dass der Weg zur Fruchtbarkeit und Reife nur über das Loslassen und Absterben der Blüten möglich ist.

Auch die Jünger Jesu hätten gerne die „Blüten” des galiläischen Frühlings gehalten: die unmittelbare Wirkkraft der Worte und Taten Jesu, die Berührtheit und Begeisterung der Menschen über sein Auftreten mit Vollmacht. Dies alles ließ in Jesu Anhängern die Hoffnung wachsen und keimen, „dass er der sei, der Israel erlösen werde” (Lk 24,21), wie es die Emmausjünger formulieren. Es ließ ein bestimmtes Bild des Messias in ihren Herzen Raum greifen, die Vorstellung, dass er der erwartete politische Retter sei, der macht- und kraftvoll das Volk aus der römischen Herrschaft befreien könne. Mit Jesu Leiden und Sterben wird diese Vorstellung endgültig zunichte, erweist sich dieses Messias-Bild als eine Illusion. So, wie die Jünger es sich gedacht und gewünscht hatten, verhält es sich nicht: nicht mit Jesus, nicht mit ihnen, nicht mit den Menschen und ihrer geschichtlichen Situation. Sie können den „Blütenfrühling” nicht halten, keiner bleibt verschont, sie alle bleiben vielmehr enttäuscht und resigniert zurück, denn ihre Hoffnung und ihre Vorstellung von Rettung und Erlösung ist gestorben. Sie hat sich als Täuschung erwiesen, die im Tod Jesu ent-täuscht wird.

Der Fortgang jedoch macht deutlich, dass das Ende dieser Täuschung nicht ein absolutes Ende ist. Im Wahrnehmen, Aushalten und Durchleben der enttäuschenden Wirklichkeit eröffnet sich den Jüngern eine ganz neue – zuvor völlig unvorstellbare – Lebensperspektive: die Erfahrung des Auferstandenen, der ihr eigenes Leben in der Tiefe berührt und neu und tiefer gründet.

„Musste nicht der Messias all das erleiden, um so in seine Herrlichkeit zu gelangen?” fragt der Auferstandene die Emmausjünger und eröffnet ihnen damit einen neuen Horizont, in dem ihr enttäuschtes Herz wieder zu brennen beginnt und langsam dafür bereitet wird, dass ihnen schließlich die Augen aufgehen und sie IHN erkennen.

Auch uns selbst müssen immer wieder die Augen geöffnet werden, wenn wir mit Enttäuschendem in unserem Leben konfrontiert werden: die Wirklichkeit zeigt sich anders als von uns erhofft und geglaubt, ein Bild von uns selbst, von anderen, von einer Beziehung, einer Situation … erweist sich als Illusion, als Täuschung. Die Tendenz, sich dann resigniert zurückzuziehen oder mit aller Kraft anzukämpfen gegen die enttäuschende Wirklichkeit, kann uns in uns selbst verschlossen halten. Manchmal aber wird es uns geschenkt, eine solche Wirklichkeit an uns heranlassen und durchleben zu können mit all ihren Facetten, besonders den unangenehmen und schmerzlichen. Auf diesem mitunter langen und schwierigen Weg kann sich auch uns eine neue Perspektive eröffnen. Wir können die Enttäuschung als das Ende einer Täuschung begreifen, kommen mehr in Kontakt mit unserer Tiefe, gelangen zu einem Einverständnis mit dem, was ist und wer wir in Wahrheit sind. Und vielleicht dürfen wir auf dem Grund von allem einer Liebe begegnen, die alles umfängt und fruchtbar werden lässt.

Ich wünsche uns die Offenheit für solche wahrhaft österlichen Erfahrungen, die Freude am Blütenfrühling, ohne ihn halten zu wollen. Und die Hoffnung und Zuversicht, dass unser Leben im Loslassen und Durchleben dessen, was uns jeweils gegeben und zugemutet ist, tiefer gegründet und fruchtbar werden kann.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Februar 2019

Suche, ohne zu suchen!

Unser Leben vollzieht sich im Alltag. Beruf, Familie, Schule, Aus- und Fortbildung, selbst der Jahresurlaub lässt sich ins Alltagsgeschehen einrechnen. Die Sehnsucht des Menschen, die über alles Alltägliche, ja über alles, was ist, hinausgeht, muss, wenn sie ernst zu nehmen ist, von daher im Alltag ebenfalls ihren Platz haben. Sie hat ihn als Suche. Suchen braucht eine Vorstellung vom Gesuchten als „etwas”, das wir suchen können, außerdem Assoziationen dazu und Schlussfolgerungen daraus, wie und wo dies gesucht werden kann. Wer aber „etwas” sucht,  kann nicht finden, was über jedes Etwas hinaus geht. Also geht es darum zu suchen, ohne zu suchen. Für solches Suchen werden wesentlich sein Offenheit und Empfänglichkeit, um das Gesuchte in dem zu entdecken, worin es sich uns mitteilt. Wenn es sich mitteilt. Rumi, der große persische Mystiker des Mittelalters, ist sich sicher, dass die Liebe, – sie ist für ihn das, was über alles hinaus geht – den Menschen sucht: „Liebe, wenn ich nach dir Ausschau halte, merke ich, dass du mich suchst.” Das trifft auch zu auf den Gott und Vater Jesu Christi, „durch dessen barmherzige Liebe das aufstrahlende Licht aus der Höhe” (Lk 1,78) den Menschen in Jesus sucht und besucht.

Gewöhnlich sehen wir den Alltag mit seinen Mühen und Freuden lediglich als das Instrument an, unser Leben in dieser Welt fristen und genießen zu können. Er ist aber zugleich das Instrument, durch das uns Gott zur Vereinigung mit sich führen, sich uns schenken, unsere Sehnsucht über alles hinaus erfüllen will. Die Ereignisse des Alltags, die guten wie die schlimmen, die Mühen, die Enttäuschungen, die Freuden, alles dient dazu, uns zu verwandeln, um zur Begegnung mit Gott fähig zu werden. In dieser Sicht wird das Faktische des Alltags, das, was im Alltag auf uns zukommt, von Gott her Zugeschicktes, auf das der Vertrauende antwortet, indem er offen dafür ist, es an sich heranlässt, es anzunehmen lernt und rückblickend darin die Führung Gottes erkennt.

Die Augen für die Anwesenheit Gottes in allen Dingen, in allen Ereignissen des Lebens, im Zugeschickten, gehen uns nur auf, so erkennt der Jesuit Alfred Delp, der mit seiner Verurteilung und Hinrichtung rechnen muss und den damit verbundenen Gefühlen in seiner Gefängniszelle in Plötzensee nicht ausweichen kann, wenn wir die guten und die bösen Stunden durchleben. Nur dadurch, dass sie uns ermutigen und verändern dürfen, ist zu dem Brunnenpunkt zu gelangen, an dem der durch sie Verwandelte einen Anteil erlebt an der Erfüllung seiner Sehnsucht.

Im Jugendzentrum, meinem ersten Einsatzort als junger Priester, gab es einen Zivi, der meinen Kampf um den Erhalt des Jugendzentrums gewöhnlich mit dem in Bayrisch vorgetragenen Spruch garnierte: „Es geht alles gut naus!” Ich hätte ihn dafür ohrfeigen können (habe mich aber auf Augenrollen beschränkt). Heute sehe ich: der Mann hatte Recht. Allerdings: die Vorstellung davon, was gut und was schlecht ist, muss man aufgeben, statt sie der Wirklichkeit aufzwingen zu wollen. Und wichtiger als Machen und Tun sind Empfänglichkeit, Offenheit und Durchleben, um das Handeln zu erkennen, das Gott für uns bereitet hat, damit wir es vollziehen (Eph 2,19). Dann wird das Leben frei, es wird in einer einfachen und nüchternen Weise erfüllt, bleibt gegründet auch in schweren Stunden, wird gelebt mit wachsender Zuversicht auf eine endgültige Erfüllung der Sehnsucht über alles hinaus im Tod, da sie sich immer wieder anfanghaft gezeigt hat in den Toden mitten im Leben.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Januar 2019

Die Heiligen Drei Könige

Besonders anregend während der gerade zurückliegenden Weihnachtszeit fand ich die Begegnung mit folgenden biblischen Gestalten: den Magiern aus dem Osten und Maria, der Mutter Jesu.

Die Magier aus dem Osten, aus denen das Mittelalter die heiligen drei Könige gemacht hat, sind auf Suche nach dem „neugeborenen König der Juden”. Wie ihnen geht auch uns manchmal ein Stern auf; ein Himmelslicht, das unsere Sehnsucht weckt nach „etwas”, das von ganz anderer Art ist als die Welt, in der jeder von uns lebt. Und wir wünschen uns, es zu finden und ihm huldigen zu können, weil wir hoffen, dann endlich angekommen zu sein und in ihm unser Alles gefunden zu haben.

Wer allerdings, wie die Magier, diesem „Etwas”, wofür der Stern steht, einen Begriff und eine Vorstellung gibt – ihre ist „der neugeborene König der Juden”, – und aus dieser Deutung die entsprechenden Schlüsse zieht – der neugeborene König der Juden ist natürlich in Jerusalem geboren – der wird, wie sie, nicht mehr nach dem Stern ausschauen müssen und enttäuscht in Jerusalem stranden, d.h. Dynamiken begegnen, die das Bestehende festhalten, von Veränderung nichts wissen wollen und mit Abwehr und Zweifel reagieren. Solche Jerusalem-Phasen sind wohl unvermeidlich und auch nötig, weil erst durch Ent–täuschungen hindurch allmählich das Reisen „in der Nacht” gelernt wird, bei dem Orientierung durch Sinneseindrücke ja nicht mehr möglich ist. Nur wer hellwach und in der Einheit des Bewusstseins unterwegs ist, kann den Stern sehen und ihm folgen – punktgenau zu dem Ort, an dem das Gesuchte daheim ist.

Mit anderen Worten: wer nach der Vorstellung sucht, die er sich macht von dem, was über unsere Welt hinausgeht, der kann das Vorgestellte vielleicht erfahren, aber er findet nicht das Gesuchte, da es über unsere Welt hinausgeht. Dieses ist nämlich ganz anders als jede mögliche Vorstellung oder jeder Begriff davon. Wer so Erleuchtung sucht oder Gott oder Erlösung, der wird nichts davon finden: Erleuchtung, Gott, Erlösung übersteigen unsere Welt.

Also kommt es darauf an, solches Suchen einzustellen und sich finden zu lassen. Die Botschaft von Weihnachten ist ja gerade, dass Gott den Menschen sucht und sich ihm mitteilen will. Derjenige, der das begriffen hat, ist vom Tun, Machen, Herstellen zum Sich-Öffnen und Empfangen übergegangen – wobei dieser Übergang wiederum empfangen wird und nicht gemacht werden kann. Für das Gefunden–Werden bekommt, was dem Menschen im Leben geschieht und auf ihn zukommt, besondere Bedeutung.

Maria, eine andere weihnachtliche Gestalt, steht für dieses Sich-Finden-Lassen: „Mir geschehe nach deinem Wort” erwidert sie dem Engel, der ihre Schwangerschaft mit „dem Sohn des Höchsten” ankündigt, „der den Thron seines Vaters David bekommt”. Was bedeuten diese Worte? Auch für Maria wird diese Ankündigung viele Fragen aufwerfen und viele Unsicherheiten auslösen. Doch in ihrer schlicht ausgedrückten Bereitschaft bekundet sie ihre Offenheit und Empfänglichkeit für das, was auf sie zukommt.

Zweimal wird von Maria gesagt, sie „bewahre und bewege die Worte und Ereignisse in ihrem Herzen”. Dies ist wohl ihre Art, Geschehenes, vor allem schwer zu Verstehendes, zu bewältigen. Und es ist die Weise, wie aus Enttäuschungen, – wie etwa den Jerusalem-Erfahrungen der Magier – Ent–täuschungen und Lernerfahrungen werden, in denen der Mensch von Begriffen und Vorstellungen zu einem Wissen hinfindet, das nicht weiß, und doch ganz gewiss ist. In dieser Weise ist Maria dahin gekommen mit ihrer ganzen Existenz zu „wissen”, dass ihr Sohn die Erscheinung der Güte und Menschenliebe Gottes ist, dessen, dem unsere über alleWelt hinausgehende Sehnsucht gilt. In der Art dieses Wissens ist sie fähig, unter dem Kreuz ihres Sohnes zu stehen und auszuhalten.

Das Gute im Leben, Erfolg, Trost bestätigt uns und ermutigt uns, den Weg weiterzugehen. Hingegen wohnt dem Störenden, Enttäuschenden, anscheinend Sinnlosen, wenn es im Herzen bewahrt und bewegt wird, die Chance inne, das eigene Selbstverständnis und In-der-Welt-Sein zu verwandeln. Bei diesem Prozess der Neuschöpfung wird nichtwissend wissend die Quelle des Lebens berührt, aus der Vertrauen, Hoffnung und Liebe ins eigene Leben – und darüber in die Welt – fließen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2018

Weihnachten

In diesem Advent beschäftigt mich, dass Jesus draußen auf dem Feld geboren wird, außerhalb des Bezirks der Menschen. Jesus wird sein ganzes Leben "draußen" leben, "in der Welt" zwar, aber nicht "von der Welt". Vom System dieser Welt wird er erst beargwöhnt, dann abgelehnt, schließlich zum Tod verurteilt. Er stirbt draußen, vor den Toren der Stadt.

Um die Bedeutung von Geburt und Leben Jesu außerhalb des Systems der Welt mehr zu verstehen, schaue ich in mich selbst, auf das Grundgefühl, das ich – besonders nach Phasen mit viel Stress – habe, und das auch andere so ähnlich kennen, wie ich aus vielen Gesprächen weiß. Es scheint ein Mix zu sein von Unzufriedenheit, Erschöpfung und dem Gefühl, irgendwie mich selbst ein Stück weit verloren, zumindest verraten zu haben. Ich lebe in der Welt und verstricke mich immer wieder in den Dynamiken, mit der sie auf mich einwirkt: Vorstellungen, wie ich sein und mich fühlen, was ich haben und erreichen sollte, müsste, könnte gewinnen Macht über mich. Unversehens treiben sie mich an. Auch wenn ich derart angetrieben manche Erfolge erzielen kann, ist da ein Empfinden, so getrieben nicht sein und leben zu wollen, ja in dieser Ausrichtung "schief gewickelt" zu sein und wie gefangen. "Sünde" nennt das die Schrift. Wonach ich mich sehne, was ich sein will, liegt draußen, jenseits meines Systems: ein Leben in Liebe und Unmittelbarkeit, in Freiheit und Einheit mit mir selbst – unvergänglichen Werten, für die Jesus steht. Wie kann ich sie in meinem Leben mehr zur Geltung bringen?

Maria und Josef zeigen uns, auf welchem Weg die Verlagerung des Lebensschwerpunktes nach draußen stattfindet. Sie haben sich auf das eingelassen, was in ihrem Leben auf sie zugekommen ist – bei Maria ihre ungeplante Schwangerschaft, bei Josef die unerwartete Schwangerschaft seiner Braut – und haben es durchlebt. Auf einem solchen Weg kann die Wirklichkeit immer unverstellter und unverzerrter zu Bewusstsein kommen, wenn dieses bereit ist für die Wahrheit. Wenn das, was ist, wie es ist, bei einem Menschen angekommen ist, macht es ihm Teile seines Lebensfundamentes bewusst und entlarvt sie als Illusionen und Zielverfehlungen. So hatte Josef die Vorstellung, sich seiner schwangeren Braut zu entledigen. Im Traum ergeht an ihn jedoch der Ruf, seine Vorstellungen zu lassen, nicht seine Braut. Wer den Ruf vernimmt, zu lassen, wo er oder sie schief gewickelt ist, und diesem Ruf vertraut, der gerät nach draußen, der kommt am Stall an, demütig geworden, fähig zu empfangen und zu danken. Ja, er selbst wird zum dürftigen Stall, in den das göttliche Kind geboren wird: neues Leben wird ihm geschenkt.

Was also als Notlage und Krise beginnt, birgt die Chance in sich, als selige Verwandlung des Selbst zu enden. Gott führt uns durch das, was uns in unserem Leben begegnet, auch in Krisen und Nöten. Dieser Meinung ist jedenfalls der eingeborene Haushofmeister Farah in Tania Blixens Buch "Jenseits von Afrika". Als die Plantage brennt und seine Chefin alles verliert, weckt er sie mit den Worten: "Stehen Sie auf, Memsahib, Gott kommt!"

Ja, es gibt diese Entwicklung im Leben des Menschen heraus aus der Welt und ihrem Bann. Doch gleichzeitig bleibt die Spannung des "in der Welt" – nicht "von der Welt" bestehen. Und es bleibt die Aufgabe, diese zu bewältigen bzw. das Scheitern daran immer wieder zuzulassen und durch es hindurchzugehen, um es so fruchtbar für die ewigen Werte zu machen und der Welt doch ein wenig mehr "abzusterben". Abzusterben – bis schließlich Bruder Tod den Kampf beendet und unseren Lebensschwerpunkt grundlegend verlagert dorthin, wo das Wunder der Weihnacht uns endgültig zu uns selbst befreit und in Liebe erstrahlen lässt.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Oktober 2018

Dasein im Schauen

Es hat sich gefügt, dass ich bin und schaue. …
Bei solch einem Anblick verlässt mich stets die Gewissheit,
dass das Wichtige wichtiger ist
als das Unwichtige.

— Wislawa Szymborska

An diese Gedichtverse der polnischen Lyrikerin Wislawa Szymborska musste ich denken, als ich vor ein paar Tagen am schmiedeeisernen Hoftor des Ashram Jesu unzählige Spinnennetze entdeckte, die mit Tauperlen übersät waren. Ich blieb stehen, schaute und bestaunte dieses filigrane Kunstwerk, die verschwenderische Fülle im scheinbar „Unwichtigen”, die sich meinem Auge bot. Sie war wunderbar, ließ sich allerdings nicht annähernd in ein Foto bannen, wenngleich ich einem Versuch nicht widerstehen konnte. Diese Schönheit und Pracht war einfach nur da, um in diesem Augenblick in Augenschein genommen zu werden, um hier und jetzt den zu berühren, der ist und schaut oder besser vielleicht gesagt: dem sich im Schauen eine Ahnung von unbedingtem Sein-Dürfen vermittelt.

Eine solche Schönheit und Fülle lässt sich weder halten, noch hat sie für den Betrachter einen greifbaren Nutzen. Das, woraus sie besteht, hat keinen materiellen Wert, ist völlig unspektakulär. Ja, unter dem Blickwinkel der Funktionalität erscheint sie sogar als störender, lästiger Schmutz, den es zu entfernen gilt, um die gepflegte Fassade wieder herzustellen. Und im Blick auf den gesellschaftlichen Trend hin zum Schneller, Weiter, Höher, Größer, Spektakulärer … fällt sie komplett durch.

Und dennoch war dieses morgendliche Erleben für mich ein Geschenk mit nachhaltiger Wirkung:

„Es hat sich gefügt, dass ich bin und schaue.” – Sein, Schauen, Verweilen, das ist es, wozu der Ashram Jesu einlädt, oder mit den Worten gesagt, in denen wir unsere Meditations- und Lebensweise gerne zusammenfassen: „Verweilen in der Wahrnehmung dessen, was ich von mir hier und jetzt merke – achtsam, gelassen, liebevoll.” Aus diesem schauenden, hörenden Dasein erwachsen Schritte auf dem Weg zum wahren Selbst. Zutiefst ist dies Geschenk, das wir nicht machen können. Aber wir können und dürfen der Sehnsucht danach einen Raum bereiten. Unterstützung dabei bieten auch die Kurse, Veranstaltungen und regionalen Gruppen des Ashram Jesu.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, August 2018

Tod

In den letzten Wochen ist mir das Thema Tod in vielfacher Weise begegnet: da waren mehrere Gespräche mit Trauernden, die ihre erwachsenen Kinder verloren haben. Ich habe eine Ahnung bekommen von dem Schmerz und Weh, das wie ein Schwert durch die Seele dringt. Dann der Tod in der Natur rings um die Hirsenmühle: Bäume am Elbbach, die sich schon Ende Juli verfärben und ihre Blätter fallen lassen. Die Apfelbäume verlieren ihre Früchte, ihr Saft reicht nicht mehr, um sie zu halten. Verbrannte Felder und Wiesen, soweit das Auge reicht. Kürzlich habe ich gelesen, dass Wissenschaftler die Unumkehrbarkeit der Klimaerwärmung befürchten: die auftauenden Permafrostböden und die abtauenden Gletscher setzen ungeheure Mengen an CO2 frei, ein Effekt, der durch das Abholzen der Regenwälder noch verstärkt wird.

Zerstörung und Tod.

Und wir Menschen fliehen davor. Es darf uns nicht wirklich voll bewusst werden. Der Psychiater und Romanautor Yalom sieht in seiner existenziellen Psychotherapie als tiefsten Konflikt des Menschen den Konflikt von Sein und Nichtsein an. Kinder müssen sich schon in sehr frühen Jahren mit ihm auseinandersetzen und eine Möglichkeit finden, die Todesangst zu verdrängen. Diese ist die Angst vor dem radikalen Zu-Nichte-Werden, die Angst vor dem Nicht-Sein. Der Erwachsene wandelt diese Angst um in Furcht: die Furcht vor dem Sterbeprozess und wie er zu bewältigen ist; Furcht vor der Belastung der Angehörigen, vor dem Verlust, den der eigene Tod ihnen zumutet. Aber die Angst vor dem Tod ist die Angst vor dem Nichts, vor der Auslöschung der eigenen Person. Als Kind lerne der Mensch, so Yalom, diese Angst durch Glauben zu bewältigen, und zwar daran, etwas so Besonderes zu sein, dass zwar die anderen sterben müssen, jedoch nicht man selbst. Oder durch den Glauben, dass einen vor dem Tode ein Retter bewahrt oder durch eine Mischform der beiden Glaubensinhalte. Damit ist bis auf weiteres der Tod auch für den Erwachsenen gänzlich aus dem Leben herauszuhalten, zumindest ist er an das Ende des Lebens zu verschieben, und dieses Ende ist so weit weg, dass man nicht daran denken muss. Wein, Weib, Gesang und Bäder halfen den antiken Griechen. Was hilft uns heute? Stress in Arbeit und Konsum? Das atemlose Gieren nach immer mehr?

Das geht so, bis der Tod einen einholt: ein geliebter Mensch stirbt, und dieses Sterben trifft einen selbst ins Mark. Die eigene Person kommt in Todesgefahr und versteht, dass der Tod nicht am Ende des Lebens stattfindet, sondern bereits das ganze Leben begleitet. Der Sand in der Sanduhr des Lebens ist schon ganz ansehnlich durchgeronnen: vierzig Prozent, siebzig Prozent, …

Für das spirituelle Leben ist die Wahrheit: „Ich sterbe – jetzt! Ich bin schon mitten drin im Sterbeprozess. Mein Tod hat schon begonnen!” von zentraler Bedeutung. Nur so ist ein Leben vor dem Tod überhaupt möglich: das eigene Tun und Lassen bekommt Bedeutung: es wird ja endgültig. Die Unterscheidung von Wert und Unwert wird erleichtert. Es wird klarer, was noch zu verwirklichen ist im Leben, und dass dies jetzt anzugehen ist, wo noch Kraft dazu da ist. Als welcher Mensch möchte man auf seinem Sterbebett liegen? Was soll dann geworden sein aus einem selbst? Wenn auf den Grabstein geschrieben würde, worum es diesem Toten im Leben wirklich gegangen ist: wie würde meine Wahrheit lauten?

Wann immer ich in meinem Leben dem Tod begegnet bin, hat er mich in Panik versetzt. Zunächst. Doch dann hat mich die Begegnung mit dem Tod ernüchtert und zentriert. Der Ashram wäre ohne eine solche Erfahrung nicht entstanden. Das Bewusstsein des Sterbenmüssens ist eine große Kraft und Hilfe bei der Gestaltung des Lebens. Und es ist die Voraussetzung dafür, eine Erfahrung von Auferstehung geschenkt zu bekommen und damit die Hoffnung, dass sich das österliche Geheimnis im Zu-Nichte-Werden der eigenen Person vollendet. So lässt sich in nüchterner Hoffnung die Zeit gestalten, die einem auf dieser Erde gegeben ist./p>

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2018

Ostern

Die Heiligen drei Tage des Sterbens und Auferstehens Jesu haben in diesem Jahr eine stille Freude, eine Zuversicht und eine Perspektive bei mir hinterlassen. Das Thema „Spannung” hat sich mir als „Megathema” des Evangeliums und des Osterfestes gezeigt: Spannung liegt über dem letzten Abendmahl durch die nahe Stunde der Passion, um die Jesus weiß, und die Anwesenheit des Verräters, mit dem Jesus das Mahl teilt. Jesus musste Spannung zulassen, wenn er sich auf die Bitten der Menschen einließ, in die Konflikte mit Pharisäern hineinging und mit seinen kleingläubigen und unverständigen Jüngern auf dem Weg war. Jesu Lehre mutet den Menschen Spannung zu: sich versöhnen und vergeben, Liebe selbst gegenüber dem Feind, Kranke und Gefangene besuchen, Kleidung, Obdach und Essen mit denen teilen, die dessen ermangeln, und handeln wie der barmherzige Samariter, der sich in seinen Geschäften hat stören lassen. Nichts davon ist möglich, ohne sich zu überwinden. Das Evangelium kündet von vielfältigen Spannungen, es mutet Spannung zu und es kulminiert in Spannung: am Kreuz ist Jesus total ausgespannt.

Das Kreuz des Auferstandenen lehrt uns zu sehen, dass Spannung ein Megathema im Leben eines jeden Menschen ist. Das Leben steht in Spannung zum Tod, der seine Präsenz in den kleineren und größeren Verlusten enthüllt, die jeden Menschen im Lauf des Lebens treffen: Verluste an Geld, Vermögen, Schönheit, Jugend, Wünschen und Chancen, an Vorstellungen, die sich als Illusionen erweisen, an Beziehungen, an Gesundheit, Unbeschwertheit… Oft lassen wir diese vielfältigen Gespanntheiten des Lebens gar nicht als solche an uns heran. Fast automatisch fliehen wir davor oder kämpfen spontan dagegen an, genauso selbstverständlich, wie die Jünger bei der Verhaftung Jesu fliehen „müssen” oder die Menschen vor dem Kreuz Jesu, Gebildete und Ungebildete, ohne Zweifel überzeugt sind, dass ein Jesus, der nicht die Macht hat, vom Kreuz herabzusteigen, sich also aus der Spannung zu befreien, unmöglich der wahre Messias sein könne. Doch Jesus geht mit den Spannungen des Lebens ganz anders um: er lässt sich freiwillig in sie hineinnageln, er leidet sie aus bis zum Ende, bis der Vorhang im Tempel von oben bis unten entzwei reißt, bis er in die Herrlichkeit der Freiheit verwandelt ist, zu sein, wer er selbst in Wahrheit, vor Gott, ist.

Im Johannesevangelium (Joh 20,19-29) werden die Umstände der Ostererscheinungen vor den Jüngern und acht Tage danach vor Thomas, der sich zuvor nicht im Kreis der zehn anderen Jünger aufgehalten hatte, beide Male ähnlich geschildert: die Jünger haben sich eingesperrt, Jesus kommt, tritt in die Mitte, spricht den Friedensgruß. Den Durchbruch zum „Sehen des Herrn” bewirkt das alles noch nicht. Der Sieg der Osterfreude und des Osterglaubens wird dadurch bewirkt, dass Jesus ihnen seine Wunden zeigt. Die Jünger haben sie wohl nicht sehen können, er muss sie ihnen zeigen. Und erst da brechen sich die Erkenntnis des Herrn und die Freude Bahn.

Die verschlossene Tür deute ich als Zeichen für die Spannung, in der sich die Jünger befinden und aus der sie nicht heraus können. In der angespannten Gruppe findet nun durch das Eintreten Jesu ein Prozess statt: es entsteht eine Bewegung („er kommt”), die ihre Beziehungen erfasst, das Zwischen – „er tritt in ihre Mitte” – vielleicht so, dass sie beginnen sich zu trauen, ihre Spannung in Worte zu fassen und das Gespräch ihnen Erleichterung verschafft („er sagt: Friede sei mit euch”)? Ihr Gespräch wird Erleichterung und Loswerden der Spannung als Thema und Ziel haben. So können sie seine Wunden aber nicht sehen. Er muss sie ihnen zeigen. Da erkennen sie sich selbst im gekreuzigten Auferstandenen wieder, erkennen sie, dass sie in Spannung sind und sie tragen dürfen und müssen, wie Jesus freiwillig sein Kreuz getragen hat; dass die Spannung nicht weg gemacht werden muss, dass sie weder verkehrt noch schlecht ist. Sie entspricht nicht der Auffassung der Vielen vom Leben und sie ist nicht angenehm. Das Annehmen der Spannung befreit vom Sisyphos-Kampf, das Leben spannungsfrei zu bekommen, was es jedoch nicht ist. In Wahrheit ist das Durchleben der Spannung, die das Leben bringt, der Weg zu seiner Vollendung: in der Herrlichkeit der Freiheit zu sein, was es in Wahrheit ist, nämlich Schöpfung der Liebe Gottes.

Es trifft meine Erfahrung, dass der Auferstandene seine Wunden zeigen, sie aktiv offenbaren muss, damit man selbst sich darin erkennen kann und darüber die Erlaubnis bekommt, die eigenen Spannungen nicht weiter bekämpfen, nicht verdrängen, nicht lösen zu müssen, sondern sie durchleben zu dürfen – bis zum Ende, bis zu dem Punkt, an dem sie sich von innen her lösen und offenbaren, was zu tun ist. Das ist eine erlösende Botschaft: Die vielfältigen Spannungen des Lebens dürfen durchlebt werden. Sie sind Katalysatoren eines wahreren, auferstandenen Lebens in Gott. Bei mir löst das eine tiefe Freude und tiefen Frieden aus: das Ende der Kämpfe ist in Sicht. Das Schreckliche verliert seinen Schrecken, wenn ich mich damit in den Wunden des Auferstandenen spiegeln kann.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2018

Passion

Oft wird am Ende eines Aufenthaltes im Ashram Jesu gesagt: „Gut, dass es diesen Ort gibt!” Der „Ort”: eine alte Mühle mit wenig Komfort und der Ästhetik der Einfachheit, schön gelegen, geradezu „umarmt” von Fluss, Wiesen und Wald, in einer Oase der Ruhe, der Unmittelbarkeit und des Sein-Dürfens. Ein Ort, an dem der Gast mehr bei sich selbst ankommt, bei seinem Grund; und er ahnt, dass dieser Grund der Abgrund des Geheimnisses aller Wirklichkeit ist; dass die Gegenwart, die ihn im Ashram Jesu umfängt, von Gott erfüllte Gegenwart ist. Ja, dann ist da gut sein!

Allerdings, es passt, dass der Ort am Ende des Kurses gerühmt wird, dann nämlich, wenn der Gast wieder in seine Alltagswelt zurückkehrt, beschenkt und zentriert – und vielleicht auch froh, wieder abreisen zu dürfen. Denn bei sich selbst ankommen heißt, Ja sagen zu all den Seiten, die das Selbst während einer Zeit im Ashram zu erkennen gibt. Die angenehmen, schönen, friedlichen sind nicht das Problem, sondern die Öde und Stumpfheit, die das Selbst zeigt, seine Unzufriedenheit, manchmal Zerrissenheit, seine Hilflosigkeit… Wenn es Letztere erfährt, dann möchte es nicht mehr bei sich aushalten, sondern es strebt weg, um sich aus der Gegenwart zu retten.

Als die Stunde seiner Passion gekommen ist, die alle kleinen und großen Passionen eines jeden Lebens in sich enthält, zeigt sich auch das Selbst Jesu als prekär, wenn es spricht: „Jetzt ist meine Seele erschüttert. Was soll ich sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde? Aber deshalb bin ich in diese Stunde gekommen” (Joh 12,27). Wer existentiell erschüttert ist, was liegt dem näher als zu bitten „Vater, rette mich aus dieser Stunde”, und wegzulaufen, damit das Retten auch klappt? Doch Jesus will dieses Naheliegende nicht. Sein zweiter Satz heißt vervollständigt etwa: „Ich bin gerade deshalb in diese Stunde gekommen, damit ich, indem ich sie annehme, meine Bestimmung finde.”

Das ist eine Herausforderung, die gegen den Strich geht und schwer zu fassen ist. Doch kann die klare Haltung Jesu auch entlastend wirken auf eine Person, die mit ihrer „Stunde” ringt und mit sich kämpft. Denn die Klarheit Jesu lässt die Wahrheit dieser Stunde, nämlich dass das Selbst prekär ist, zu Tage treten und macht klar, worauf es jetzt im Leben ankommt: diese Wahrheit gelten zu lassen und anzunehmen und dafür Energie und Aufmerksamkeit einzusetzen. Annehmen heißt, Ja sagen zu dem, was ist, und wie es im Bewusstsein ist, heißt wegstrebende Wünsche nicht auszuagieren und Vorstellungen loszulassen, an denen das Leben zu hängen scheint. Nur so kommt man auf dem Grund der Wirklichkeit an. Nur so gelangt man auch auf den Grund seiner selbst. Nur dort teilt sich Gott mit als Vater und weist die lösende Lösung. Die Kraft dazu kommt aus dem „wachet und betet!” des Ölbergs, der Meditation, der Gemeinschaft mit anderen auf dem gleichen Weg – und aus der Gnade. In dieser Kraft und in der Gewissheit, dass es jetzt so geschehen „muss”, lässt sich handeln und sich verhalten wie Gott es offenbart.

Ein Jesus, der überzeugt ist, gerade „deshalb in diese Stunde gekommen” zu sein, damit er durch ihre Annahme seine Bestimmung findet, muss an einen Sinn sowohl einer solchen Stunde, als auch der Annahme des in ihr prekär gewordenen Selbst glauben. Dieser Sinn liegt in einer Transformation: das Selbst, „das sich als Weizenkorn in die Erde fallen lässt, … bringt reiche Frucht, … wird vom Vater geehrt, … wird dort sein, wo auch Jesus ist” (Joh 12,24-26): es wird hineinverwandelt in ein wahrhaftiges Sich-Selbst-Sein bei Gott.

Ostern ist, dass dieser Glaube Jesu auch seine Jünger erfasst. Für sie wird Wirklichkeit, dass Jesus transformiert wurde, aufersteht ins Haus seines Vaters hinein, ins wahre Leben; den Jüngern wird plausibel, dass er ihnen dort einen Platz vorbereitet, eine Wohnung im Haus des Vaters, einen Ashram Jesu im Himmel sozusagen; sie erfahren sich auf dem Weg dahin begleitet, „damit auch ihr dort seid, wo ich bin.” Der Weg ins Leben ist sein Weg, der Weg der Annahme der Wahrheit des Selbst hier und jetzt. Darum: „Euer Herz lasse sich nicht verwirren. Glaubt an Gott und glaubt an mich!” (Joh 14,1-6).

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2017

Weihnachten erfahren

An Weihnachten feiern die Kirchen das Fest der Geburt Jesu: Er lebt unser Menschenleben mit, ausgeliefert wie wir den Mächten und Gewalten dieser Welt. Anders als wir, lebt er aus einer innigen Verbindung mit Gott, seinem Vater, seinem tiefsten Grund, so dass die Kirche sagen kann: Jesus ist „Gottes Sohn”. Gott selbst ist in ihm an unserer Seite. Dieses Angekommensein Jesu bei sich selbst äußert sich als demütige Liebe, als Offenheit allen Menschen gegenüber, als Versöhnung und Vergebung, als Wahrheit. Nicht als Macht und Herrschaft und Gewalt. Diese demütige Liebe bleibt sich selbst treu im Leben wie im Sterben Jesu, inmitten seines Leidens, selbst in einer Flut von Hass und Verachtung, selbst am Abgrund des Bösen – so böse wie unsere Welt eben sein kann. Doch weil Jesu Liebe sich selbst treu bleibt, inmitten des anbrandenden Bösen er nicht aufhört zu lieben, läuft sich dieses Böse, läuft sich auch der Tod, an ihm tot. Tod und Bosheit haben nicht das letzte Wort. Unzerstörbar ist die Liebe, die aus Gott hervorquillt, die Er selbst letztlich ist.

Eine wunderbare Botschaft. Gibt es bessere, trostvollerer Worte als diese?

Doch es sind eben auch nur Worte. Man hört sie und vergisst sie. Oder wertet sie ab. Stimmen Sie überhaupt? Da wird von Gott gesprochen: gibt es denn einen solchen Gott? Und wenn es ihn gibt, ist er dann lieb? Und der menschgewordene Gott, Jesus: hat der denn wirklich gelebt? War er denn so, wie die Evangelien ihn darstellen? Ist er denn wirklich in demütiger, vergebender Liebe gestorben? Am Kreuz? Der Koran verneint Letzteres. Und viele Zeitgenossen verneinen alle diese Fragen. Mindestens gibt es Zweifel. Man sehnt sich nach einem Zweig von Hoffnung und Heil – etliche auch das nicht mehr – und muss die Achseln zucken angesichts der Welt, wie sie im Alltag erlebt wird. Es zweifeln nicht nur die andern, die das Credo nicht mitsprechen: auch wir selbst zweifeln immer wieder.

Deswegen ist es mir im Lauf der Jahre immer wichtiger geworden, in einem Deutschland, das inzwischen zu einem der vielleicht am wenigsten betenden Länder geworden ist, zu werben für ein Beten, das in Einkehr bei sich selbst und Innehalten besteht; im Gewahren dessen, was das eigene Herz bewegt – und einem Dabei-Verweilen, indem die Person dem Herzen das, was ist, zugesteht, es annimmt und dasein lässt: es ist doch ein Teil der Person selbst hier und jetzt, das Schöne und das Elende. Dann hat sie die Chance, und nur dann, mit der Erfahrung demütiger Liebe beschenkt zu werden, deren Existenz wir an Weihnachten feiern. Nur so besteht die Chance, der Wirklichkeit Gottes gewahr zu werden. Schöner gesagt:

Die Frucht der Stille ist das Gebet.
Die Frucht des Gebets ist der Glaube.
Die Frucht des Glaubens ist die Liebe.
Die Frucht der Liebe ist das Dienen.
Die Frucht des Dienens ist der Friede.

— Mutter Teresa

„Es ist alles so einfach”, sagt Mutter Teresa. „Warum sollte jemand eine Anleitung für diesen einfachen Weg brauchen? Wir, oder sonst jemand, brauchen nur zu beten und zu beginnen, einander zu lieben. Der erste Schritt besteht darin, es zu wollen.”

In der Tat ergeben sich aus solchem Beten Handlungen im Geiste Jesu: Begegnungen. Einfache Begegnungen. Nicht als Geber und Nehmer, nicht in Rollen, sondern als Menschenbruder und Menschenschwester. Menschliche Begegnung – auch mit den Bettlern auf der Straße und den aus ihrer Heimat zu uns Geflüchteten. Vielleicht davon mehr – und weniger weihnachtlicher Kaufrausch.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, November 2017

Virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent

Die „virtuelle Meditationsgemeinschaft”, zu der ich in der Adventszeit einlade, besteht darin, durch eine tägliche Zeit des Innehaltens bewusst einen geistlichen Akzent zu setzen: 15 bis 30 Minuten des Sich-Niederlassens und Entspannens, des Atmens, des Sich-selber-Spürens und Verweilens bei dem, was dabei von sich selbst gespürt wird: der Mensch, der ich selber bin, gestattet sich für diese Zeit am Tag der Mensch zu sein, als den er sich vorfindet. Einfach nur sein, was ich im Moment bin, ohne nach Verbesserungen zu streben – in einer Haltung entspannter Wachsamkeit, die sich spürt – den Körper, Gefühle, Stimmungen, die geistige Verfasstheit – und zugleich offen ist für das Ganze. Kein Wächter kann seine Achtsamkeit nur auf einen kleinen Ausschnitt seiner Umgebung begrenzen, er bleibt offen für das Ganze. Das ist Lauschen, Hören auf Gott, und das ist es um so mehr, wenn ich mich wahrnehme mit dem Blick Christi: demütig und liebevoll. Wer das Bedürfnis dazu verspürt, kann Gott auch anreden mit dem, wobei er/sie hier und jetzt verweilt: z.B. „ich bin so traurig, Herr”.

Wenn die Teilnahme an der virtuellen Meditationsgemeinschaft nicht eine reine Sache der Disziplin werden soll, sondern eine Zeit geschenkter Zuwendung an sich selbst, dann empfiehlt es sich zu schauen, welche Termine, Erledigungen usw. minimiert und vielleicht sogar gestrichen werden können. Weniger! heißt die Devise.

Die „virtuelle Meditationsgemeinschaft” bildet zwar keine am selben Ort und zur selben Zeit zusammentretende Gruppe, aber eine solidarische Gemeinschaft von Menschen, die sich Innehalten gönnen. Der Einzelne weiß, dass etliche andere im Advent innehalten wie er selbst.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, October 2017

Spirituelle Spurensuche

Im nächsten Jahr bietet unser Ashram-Programm neben dem gruppendynamischen Training eine weiteren speziellen Kurs an, Spirituelle Spurensuche, den ich Euch hier vorstellen möchte. Der Extraflyer, den es zu diesem Kurs gibt, hängt unten an.  Bei der Spirituellen Spurensuche handelt sich um einen Jahreskurs, ein Format, mit dem wir sehr gute Erfahrungen machen. Die Teilnahme daran steht allen offen, die das Programm dieses Kurses interessiert und sich darauf einlassen wollen.
Die Spirituelle Spurensuche hat eine Besonderheit gegenüber unseren sonstigen Kursen: nicht von Anfang an wird durchgehend geschwiegen und 45 min meditiert: die Meditationszeiten steigern sich allmählich, so dass schafft mehr Zeit dafür ist, sich entlang zweier „Schnitte” durch das große Feld spiritueller Fragen miteinander und mit sich selbst auseinanderzusetzen:

So geht es im ersten Schnitt (26. - 28. Januar 2018) darum, wieso es sich lohnt, den Anfragen des Lebens Raum zu geben, – und wie dies geschehen kann. Was sind solche Anfragen des Lebens? Meistens die Ereignisse oder Entwicklungen, die den eigenen Vorstellungen von sich selbst, Gott und der Welt nicht entsprechen: Enttäuschungen aller Art, Verluste, Krankheiten, Unzufriedenheiten mit sich und der Welt…. Ich glaube, die meisten Leser werden die Liste mit Beispielen aus ihrem Leben erweitern und konkretisieren können. Gewöhnlich streben wir krampfhaft nach einer Lösung. Oder wir resignieren. Oder wir lenken uns ab: Bei diesem Wochenende steht die Überzeugung in der Mitte, dass diese Anfragen des Lebens lohnende Momente des Lebens sind, die zu Chancen werden können. Wie dies geschehen kann, dazu werden Methoden gezeigt.

Diese Thematik hängt unmittelbar zusammen mit der des zweiten Schnittes durchs spirituelle Feld (04. - 06. Mai 2018): Ist dem Leben zu trauen? – die Gottesfrage. Mit Gott meine ich an dieser Stelle nur ein Unbedingtes, Absolutes, das auch der Buddhismus kennt. Alle Religionen haben das; aber auch Kant, der alle Gottesbeweise hinwegfegte, braucht einen Gott, der eine letzte Gerechtigkeit schafft. Und auch bei Philosophen jüngster Zeit hat „Gott” ein wenig Konjunktur. – Ist also dem Leben zu trauen? Da ist Raum für persönliche Antworten. Vielleicht sind viele skeptisch oder verneinend. Es ist aber auch Raum für Überlegungen, die auf der eigenen Lebenserfahrung sowie den inzwischen gemachten Erfahrungen mit dem täglichen Innehalten basieren: dass sich eine gewisse Art von Vorschussvertrauen lohnt und dadurch Vertrauen und Hoffnung bestärkt werden. Außerdem: was sind die Alternativen zum Vertrauen?

Mit Reden allein geht es nicht weiter. Es braucht eine Erfahrung. Zu dieser Erfahrung soll ein neuntägiger Kurs verhelfen (13. - 23. September 2018), in dem die Teilnehmenden üben, sich selbst sein zu lassen, wie sie sich jeweils vorfinden, – und dies achtsam, gelassen und liebevoll, – um sich zu bereiten, ihrem Grund zu begegnen. Dieses vorschuss-vertrauende Standhalten bei sich selbst ist wie ein „Sprung in den Brunnen” (Hubertus Halbfas). Vom Weg in die Tiefe ist nur der Beginn sichtbar. Unten soll die Quelle des Lebens sein – aber was begegnet einem auf dem Weg dorthin? Aus der Quelle des Lebens trinkt keiner, es sei denn er erkennt seinen eigenen Grund: das, was sein Leben de facto beherrscht: Leistung, Konsum, Arbeit oder Streben nach Anerkennung, Macht, Erlebnis oder was immer. Damit zugleich werden tiefe Bejahung und Hoffnung erlebt, die es erlauben, sein die Freiheit des Geistes fesselndes Fundament einen Schritt weit loszulassen. – Wochen später gibt es ein Abschlusstreffen, in dem der eigene Weg durch das Jahr „bilanziert” wird.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2017

Gruppendynamisches Training im Ashram

Vom 13.-19. Januar 2018 bot der Ashram Jesu wieder einmal ein gruppendynamisches Training an. Dazu ein paar allgemeinere Bemerkungen:

Die Gruppendynamik wurde von Levin nach 1945 bei einem Demokratie-Seminar in den USA „entdeckt”, als er zufällig auf die Wirksamkeit von Feedback für Gruppen stieß, und daraufhin begann, Feedback als wichtige Methode sozialen Lernens zu nutzen. Heute steht das Wort „Gruppendynamik” sowohl für diese Methode sozialen Lernens als auch für einen Forschungsbereich der Sozialpsychologie, der sich mit den Dynamiken einer Gruppe beschäftigt, also den Kräften, die in jeder Gruppe wirken. Wer diese nicht meistern kann, der wird von ihnen bemeistert.

Gruppendynamik ist eine basale Methode: sie betrachtet eine Gruppe als System, nicht nur als Ansammlung von Einzelnen; sie hat Ansätze der Aktionsforschung in sich aufgenommen – es geht um (Sprech-)Handeln in der Gruppe – sowie der Encounter Bewegung – „hier und jetzt”-Prinzip, Fokussierung. Ihrerseits ist sie der Mutterboden für die bekannte Themen-Zentrierte-Interaktion (TZI), für Gruppentherapie in ihrer heutigen Form und den Umgang mit den Dynamiken in Organisationen.

Sich in einer Gruppe zu bewegen, sei es als Teilnehmer, sei es als Leiter, ist nicht durch Theorie allein zu lernen: Es bedarf des Trainings – und damit Mühen und Frustrationen, wie sie auch aus dem Sport bekannt sind. Themen, die in jeder Trainings-Gruppe (TG) eine Rolle spielen, sind z.B.: Anfangssituationen; was ermöglicht bzw. verhindert Leitung; welche Strukturen bedingen welche Prozesse?; verstehen, was das so oft gebrauchte Wort „Prozess” überhaupt bedeutet; die fundamentale Bedeutung von Zugehörigkeit, Macht und Nähe und natürlich die persönlichen Hemmnisse, die es einem Teilnehmenden schwer machen, in seiner Gruppe zurecht zu kommen, also sich einbringen, sich frei und spontan äußern zu können, von anderen verstanden zu werden, Einfluss auszuüben und als Person gehört und wahrgenommen zu werden. Die Gruppe bei Grundübungen im Ashram, die ja manche von Euch kennen, ist keine klassische TG; sie würde etwa als Resonanzgruppe bezeichnet werden.

Bei Trainings im Ashram hat sich bewährt, abends und morgens zu meditieren (wer möchte) und vom Abendessen bis zum Frühstück zu schweigen. Tagsüber, sowohl in den formellen Seminarteilen, als auch in den übrigen Sunden, im sog. informellen Bereich also, ist Sprechen nicht nur „erlaubt”, sondern notwendig und gewünscht.

Für mich persönlich war es ein großes Glück, die Gruppendynamik kennen gelernt zu haben. Sie hat mir geholfen, handlungsorientierter, spontaner und direkter zu werden, Konflikte einzugehen, statt sie zu umschiffen, und nicht nur die Worte des anderen zu hören, sondern ihm „mit dem dritten Ohr” zu lauschen. Sie hat meine Angst vor Gruppen gemindert und mir gezeigt, wie die Leitungsrolle wahrgenommen werden kann. Und, ganz wichtig: sie hat mich persönlich nachreifen lassen: ich stieß auf Themen und konnte mich mit ihnen auseinandersetzen, die in meiner Entwicklung zu kurz gekommen waren, weshalb Ängste meine Freiheit fesselten. Für mich als späteren Seminarleiter war Gruppendynamik unabdingbar. Ich habe deswegen, wie auch Petra Maria, die ganze lange Ausbildung zum ausbildungsberechtigten Trainer für Gruppendynamik im entsprechenden Fachverband (DGGO= Deutsche Gesellschaft für Gruppendynamik und Organisationsdynamik, früher eine Sektion des DAGG) durchlaufen. Eine Ausbildung, die ich, wie viele andere Kollegen, als die fruchtbarste im Reigen aller praxisbezogenen Ausbildungen empfunden habe. Dennoch: an Gruppendynamik muss man Lust finden; vielleicht ist sie nicht jedermanns und -fraus Sache. Und eine gewisse psychische Belastbarkeit ist nötig. Was sie jedoch auf persönlicher und beruflicher Ebene lehren kann, ist so wertvoll, dass sich ein Versuch mit ihr lohnt, auch wenn dieser Schatz mit einem einzelnen Training allein nicht zu heben ist.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, August 2017

Enttäuschung

In den letzten Ashram-Kursen tauchte mehrfach das Thema „Enttäuschung” auf. Die Anlässe dafür und die Bereiche, in denen Teilnehmende Enttäuschendes erlebt haben, waren vielfältig.

So etwa in Beziehung und Partnerschaft, in familiären Kontexten, in beruflichen Gegebenheiten und Entwicklungen, im Scheitern von Projekten und Aufbrüchen verschiedener Art, im Spüren eigener Grenzen, im Erleben von schwer zu akzeptierendem Verhalten anderer sowie eigener - manchmal eingefahrener und wenig lebensförderlicher - Verhaltensmuster. Und über das hinaus, was die Teilnehmenden aus ihrem Alltag mitgebracht haben, bietet auch das Setting des Ashram Jesu selbst in seiner Reduziertheit und Konzentration auf Wesentliches immer wieder Gelegenheiten, Enttäuschung zu erleben. Sei es, dass bestimmte materielle Annehmlichkeiten nicht verfügbar sind oder aber, dass Hoffnungen und Erwartungen, die man an sich, seine Gestimmtheit, den Prozess, die Meditation … hat, sich nicht erfüllen.

Wie nun mit solchen Enttäuschungen umgehen?

Ein wichtiger Schritt ist, sich seiner Enttäuschung überhaupt bewusst zu werden, zu merken, wie man an einer Situation, einem Mangel leidet, darüber nicht hinwegkommt, immer wieder vielleicht an eine Grenze stößt, immer wieder vor die Wand läuft. Sich eine solche Wirklichkeit einzugestehen, ist alles andere als einfach oder selbstverständlich. Das Zugeben entsprechender Empfindungen – und wenn auch erst einmal nur vor sich selbst – kann am eigenen Selbstbild kratzen; das Spüren der Unannehmlichkeit, Unerfülltheit oder des Schmerzes stört vielleicht die normalen Abläufe und das reibungslose Funktionieren; unter Umständen kommen Zweifel oder Fragen auf, denen man sich lieber nicht stellen würde aus Angst vor einer Antwort, die nicht zum eigenen Wünschen und Planen passt.

Entsprechend entwickeln wir normalerweise gerne Strategien der Abwehr, um entweder Enttäuschungen gar nicht an uns heranzulassen oder aber damit einhergehende Erschütterungen möglichst begrenzen und kontrollieren zu können. Dies reicht von Anstrengungen, die Enttäuschung zu überwinden bzw. eine schnelle Lösung des Problems zu finden oder aber um jeden Preis den Status Quo aufrecht zu erhalten über Beschwichtigungen, Erklärungs- oder Entschuldigungsversuche bis hin zu verschiedensten Weisen der Ablenkung.

Im Ashram Jesu versuchen wir, auf solche Strategien – wenn sie uns denn bewusst werden – zu verzichten, Enttäuschendes wahrzunehmen, dabei zu verweilen und zu lernen, damit zu leben. Indem wir immer wieder üben, das, was ist, nüchtern da sein zu lassen und es zu durchleben, sei es noch so unangenehm, frustrierend oder schmerzlich, kann langsam ein anderer, tieferer Kontakt zur Wirklichkeit, wie sie nun einmal ist, wachsen oder besser gesagt: geschenkt werden. Der Blick kann sich weiten, mit einem Mal werden Facetten erkennbar, die an der Oberfläche zunächst nicht sichtbar waren. Dieses tiefere Verstehen geht oft einher mit einem wachsenden Erkennen von eigenen Anteilen an einer enttäuschenden Situation, vielleicht auch von Zusammenhängen mit der eigenen Lebensgeschichte, die über die aktuelle Enttäuschung hinaus weisen, zugleich aber nicht selten eine Erklärung bieten können für die Heftigkeit der damit verbundenen Empfindungen.

Auf einem solchen Boden des Wahrnehmens und geduldigen Verweilens kann eine Enttäuschung zur Ent-täuschung werden, „zum Ende der Täuschung durch die Vorstellungen und Hoffnungen des Ego” (B. Dickerhof, Der spirituelle Weg, S. 245).

Was ist die Wirkung eines solchen Umgangs mit Enttäuschendem?

So hart und schmerzlich der Abschied von einer Illusion sein kann, die ich mir gemacht habe vom Leben, von mir selbst, einer Beziehung, einer Situation…, hat ein solcher Prozess des Durcherlebens einer ent-täuschenden Wirklichkeit doch letztlich klärende, lösende und befreiende Wirkung. Das Ego verliert an Macht, und das wahre Selbst kommt auf diesem Weg immer mehr zum Vorschein. Aus diesem heraus kann ein Mehr an Annahme des Enttäuschenden möglich werden, was wiederum auch zu differenzierteren, tragfähigeren Lösungsansätzen oder Entscheidungen führt – dort, wo solche anstehen. Und manchmal erwächst aus der Ent-Täuschung eine ganz neue, unerwartete Perspektive, die man so vielleicht gar nicht wünschen und erhoffen konnte, die aber durchaus die eigenen Erwartungen übertrifft.

In den oben angesprochenen Kursen wurde immer wieder deutlich, wie wichtig beim Durchgehen durch enttäuschende Wirklichkeit neben der Meditation auch andere Menschen sind. Die hörende Präsenz, die Unterstützung und das ehrliche Feedback in der Gruppe haben oft zu hilfreichen Einsichten und Auseinandersetzungen für die jeweils Betroffenen geführt und sie einen Schritt weiter gebracht.

Unterstützend beim Umgang mit den je eigenen Enttäuschungen war ebenso die Beschäftigung mit dem entsprechenden Kapitel aus Bertrams Buch „Der spirituelle Weg”. Er sieht „Die ent-täuschende Nicht-Annahme von Enttäuschungen” als wichtige Phase auf dem hinabsteigenden Weg an und beleuchtet dies eingehend. In den Kursen haben seine Darlegungen sehr zur Erhellung und Vertiefung der Thematik beigetragen, und auch Ihnen und Euch möchte ich sie sehr empfehlen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Juni 2017

Beten

Im Nachgang zum letzten Newsletter über die Wohltat des Gebets, möchte ich Euch drei kleine Ergänzungen schicken:

Erstens:

Die Frucht der Stille ist das Gebet.
Die Frucht des Gebetes ist der Glaube.
Die Frucht des Glaubens ist die Liebe.
Die Frucht der Liebe ist der Dienst am Nächsten (das Dienen).
Die Frucht des Dienens ist der Friede!

— Mutter Teresa

Diesem Wort entspricht auch meine Erfahrung: wenn der Mensch in der Stille ruhig wird und wieder zu sich kommt, zu Atem kommt, beginnt es ganz natürlich in ihm zu beten: er kann sich öffnen und lernt dabei, einer vertrauenswürdigen und liebenden Gegenwart inne zu werden, die sanft dazu drängt, auch den Mitmenschen in seiner Bedürftigkeit zu gewahren. Wer diesem leisen Zug nachgibt, wird von Frieden erfüllt. Das Schöne dabei: der einfache, gewaltlose, selbstverständliche Prozess, in dem eines aus dem anderen hervorgeht.

Zweitens: Was heißt Beten? Dazu:

„Als mein Gebet immer andächtiger und immer innerlicher wurde,
da hatte ich immer weniger und weniger zu sagen.
Zuletzt wurde ich ganz still;
ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist,
ich wurde ein Hörer.
Ich meinte erst, Beten sei Reden.
Ich lernte aber, dass Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören.
So ist es. Beten heißt nicht, sich selbst reden hören,
beten heißt still werden und still sein,
und warten, bis der Betende Gott hört.

— Kierkegaard

In der Tat: viele Menschen verhalten sich im Gebet, wie Kinder mit ihren Wünschen gegenüber ihren Eltern: viele Worte, quengeln, sich ordentlich benehmen, ein paar Vorleistungen erbringen. Wenn Gott sie dann nicht erhört: Schmollen! Genau genommen wollen sie – wie Gott – die Wirklichkeit nach ihren Vorstellungen schaffen. Welche Anmaßung und Ver–rücktheit! Das Leiden an der Wirklichkeit ist auch als Problem des Beters anzusehen, der umkehren sollte, wenn seine Vorstellungen und Erwartungen ihn hindern, in der gegebenen Wirklichkeit Gottes Kommen zu erfahren. Dazu muss er auf die Störungen hören, die diese Wirklichkeit in ihm auslöst, d.h. auf seine inneren Bewegungen achten und dabei verweilen, „warten bis der Betende Gott hört”. Dann kann geschehen, was,

drittens, Alfred Delp im Gefängnis widerfuhr, als er erkennt:

Die Welt ist Gottes so voll. Aus allen Poren der Dinge quillt ergleichsam uns entgegen. Wir aber sind oft blind. Wir bleiben in den schönen und in den bösen Stunden hängen und erleben sie nicht durch bis zu dem Brunnenpunkt, an dem sie aus Gott hervorströmen. In allem will Gott Begegnung feiern und fragt und will die anbetende, hingebende Antwort. Der Auftrag ist der, aus diesen Einsichten und Gnaden dauerndes Bewusstsein und dauernde Haltung werden zu lassen. Dann wird das Leben frei in der Freiheit, die wir oft gesucht haben.

— Alfred Delp

Das Leben aus der Stille heraus und dem Hören nach innen und damit in der Gegenwart Gottes – dazu ist der Christ berufen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2017

Die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann

Den folgenden Text hat Sr. Gertrud Dahl geschrieben. Sie war 16 Jahre die Leiterin ihrer Gemeinschaft, besuchte den Ashram von Anfang an, hat am Lernweg teilgenommen und meditiert seit einigen Jahren mit einer Gruppe ihrer Schwestern. Sie schreibt:

„Seit über 20 Jahren begleitet mein Leben Madeleine Delbrêl, die „Mystikerin der Straße” (1904-1964). Für sie, die über 30 Jahre ihres Lebens in Ivry, einer Arbeiterstadt und Hochburg des Kommunismus im Südosten von Paris verbracht hat, war das Gebet die Kraftquelle ihres Lebens. Madeleine Delbrêl spricht dem Gebet eine „unsere Welt verwandelnde Kraft” zu. Sie sagt: «Heute ist beten die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann.»

Ich versuche eine Deutung dieser Worte, die geprägt ist von meinen eigenen Gebetserfahrungen.
Das Beten ist zunächst eine Wohltat für mich selbst.
Eines ist sicher: Gott braucht mein Gebet nicht. Er weiß überdies, was mir fehlt und wie es um mich steht, – besser als ich es selbst wissen kann.
Gottes wegen brauche ich nicht zu beten, aber ich bete um meinetwegen.
Je mehr Beten einen festen Platz in meinem Leben hat, desto fester bin ich überzeugt, dass ich mein Leben und alles, was mein Leben wirklich bereichert und letztlich lebenswert macht, selbst nicht machen kann. Das alles ist Geschenk, für das ich offen sein, bei dem ich mitwirken, das ich aber letztlich nicht entscheidend beeinflussen kann. Und ich staune, wie sich Vieles in meinem Leben, auch Schweres und Belastendes, zum Guten wendet.
Wenn ich vor einem Problem stehe, bringe ich dieses Problem in meinem Gebet vor Gott. Wenn ich dieses Problem nicht sehr schnell und nur nach meinen kurzsichtigen Vorstellungen lösen will, wenn ich also Geduld habe und warte, bis sich von Gott her eine Lösung zeigt, bis sich mir eine andere Sicht auf das Problem auftut, dann kann ich diese Lösung umsetzen – selbst wenn ich dafür wenig Zustimmung bekomme.

Das Gebet ist nicht nur für mich eine Wohltat, sondern auch für meine Mitmenschen, besonders für diejenigen, für die ich bete. Am spürbarsten ist das bei Schwierigkeiten mit einem Menschen in meiner näheren Umgebung. Zunächst bin ich voller Unmut, Enttäuschung, auch Ärger… Es braucht immer mehr oder weniger Zeit, bis ich mich entscheiden kann, für diejenige oder denjenigen, der mir aus meiner Sicht Schwierigkeiten macht, zu beten. Jedes Mal neu kann ich die Erfahrung machen, dass sich dann meine Beziehung zum Positiven hin ändert. Ich verliere die Fixierung auf das Fehlverhalten der anderen, kann auch meinen Anteil an der gestörten Beziehung sehen. Es „renkt sich zwar nicht in jedem Fall alles wieder ein”, aber ich werde befreit von meiner Befangenheit, von meinem festen Bild, das ich von meinen Mitmenschen hatte.

Das Gebet ist eine Wohltat für mich selbst, für meine Mitmenschen und schließlich für das, was weltweit geschieht. Belasse ich es nicht dabei, von Armut, Hunger, Krieg oder Terror nur zu lesen oder in den Medien zu hören, sondern bete auch für diese Menschen, dann wächst meine Solidarität mit ihnen. Es wächst in mir die Bereitschaft, gegen diese weltweite Not etwas zu tun; das zu tun, wozu ich jetzt in der Lage bin. Vor dieser Not kann ich meine Augen nicht mehr verschließen.
Und ich werde meine Augen auch nicht vor der Not in meiner näheren Umgebung verschließen können.
Im Blick auf die weltweite Not empfinde ich Dankbarkeit, ohne jedes Verdienst hier leben zu können, wo die Lebensbedingungen gut sind.
Wie mein, unser Beten politische Entscheidungen beeinflussen kann, bleibt verborgen. Doch glaube ich, dass das Gebet in diesen Anliegen zwar nicht immer ”unsere Gebetswünsche” erfüllen wird, aber es wird nicht ohne Wirkung bleiben.

Jeden Tag bete ich mit meinen Mitschwestern in der Kapelle unseres Mutterhauses am Morgen und am Abend das Stundengebet. Auch das ist eine Weise, Madeleine Delbrêls Überzeugung zum Ausdruck zu bringen: «Heute ist beten die größte Wohltat, die man der Welt erweisen kann.»

Mir ist bewusst geworden, für wie entscheidend ich das Beten, gerade auch in der Ashram-Weise, für das Leben halte: sonst ist dem Menschen keine Selbstbestimmung möglich, und ein Christ erfährt nichts von dem, was er glaubt.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2017

Der Ashram im Alltag

Im letzten Newsletter habe ich dargestellt, dass der Ashram meine Antwort auf die Frage ist, wie man als Christ leben kann, und wichtige Elemente aufgezählt. Vielleicht haben einige bei manchen der aufgezählten Elemente gedacht: „das ist für mich unmöglich!”

Dazu möchte ich sagen: die Antwort des Ashram steht ja nicht am Beginn meines Weges, sondern eher an seinem Ende. Er ist auch nur eine Antwort, meine, die in meinem Leben mehr und mehr gereift ist. Wo es mir möglich war, habe ich die Entscheidungen über mein Leben so getroffen, dass ich mehr das leben konnte, was mir als Mensch und Christ wichtig schien. Ich will sagen: das Entscheidende ist, einen Weg zu gehen und dabei nach Möglichkeiten zu suchen, wie der inneren Sehnsucht mehr Raum im Alltag gegeben werden kann, wie sie gelebt werden kann.

Das ist in unserer Gesellschaft nicht leicht. Wie beantwortest Du, liebe Leserin und lieber Leser die Frage, wie Du als Christ lebst? Was es in unserem Leben so schwierig macht, um nur zwei Aspekte zu nennen, sind die hohe Belastung, ja Überforderung des Einzelnen und das hohe Maß an Ablenkung. Überforderung, nur ein paar Stichworte: die hohe Arbeitsintensität, die geforderte Erreichbarkeit auch im Privaten, Frauen mit der Dreifachbelastung von Berufsarbeit, Haushalt, Kinder; die Kinder haben heute 9 und 10 Stunden Unterricht; zu meiner Schulzeit sehnten wir Schüler meist schon in der 5. Stunde das Ende herbei; die hohen Ansprüche an Besitz, Karriere, Lebensgenuss; immer mehr Menschen erleben, dass nicht reicht, was sie verdienen können und fürchten, abgehängt zu werden – das alles hält in Trab, drückt aufs Tempo, versklavt im Funktionieren. Erhöhung der Arbeitslast war schon im Ägypten des Alten Testaments das Mittel, um Sklaven ruhig zu halten: während sie arbeiten, sind sie beansprucht, wenn sie nicht arbeiten sind sie erschöpft. Es führt dazu, die Beziehung zu sich selbst zu verlieren, die Beziehung zu anderen zu verlieren und die Beziehung zu Gott zu verlieren. Die Frage ist, wieweit wir überhaupt schon die Fähigkeit zur Beziehung eingebüßt haben: Hand aufs Herz: wann hast Du den letzten substantiellen Dialog geführt; wann warst Du da, nicht nur körperlich, sondern präsent, mit Aufmerksamkeit, Interesse und Offenheit für andere?

Ablenkung: ist die Kehrseite der vielen Möglichkeiten, die unsere Zivilisation uns zur Verfügung stellt. Gerade wenn wir eh schon erschöpft sind, verfallen wir ihnen……

Das Ganze hat uns einen Wohlstand gebracht, um den uns viele Nationen beneiden. Doch geht z.B. auch die Erderwärmung mit ihren globalen Folgen, vor allem auf unsere Rechnung: wir produzieren die Flüchtlinge, die dann vor unserer Tür stehen.

Darum meine ich, dass Zeiten des Innehaltens, des Spürens seiner selbst, und – darauf basierend – die Fähigkeit sich selbst zu bestimmen, heute Grund legend sind, um den Weg aus dem Hamsterrad heraus und in Beziehungen zu finden.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2017

Was den Ashram Jesu charakterisiert

Der Ashram Jesu ist entstanden als Antwort auf eine Frage, die mich seit gut 40 Jahren bewegt: wie kann man in unserer Gesellschaft als Christ leben? Die wichtigsten Elemente der Antwort möchte ich nennen; sie prägen den Ashram

  1. materiell einfacher, bescheidener. Wir leben in Deutschland auf einem Niveau, das weder allen Erdbewohnern zugestanden werden kann, noch möglich ist: die Ressourcen würden nicht ausreichen und das Ökosystem völlig zusammenbrechen. Unser Lebensstandard ist ungerecht und unsolidarisch. Um ihn freiwillig reduzieren zu können, braucht es andere Quellen von Zufriedenheit.
  2. Mehr oder weniger kosten die Gäste im Ashram eine solche andere Quelle der Zufriedenheit. Der Quellgrund ist ein entschleunigtes, achtsames Leben in Stille mit wenig Ablenkung: Das ermöglicht, in jedem Augenblick ganz da zu sein und in Kontakt mit sich selbst im Ganzen, im Sein zu leben. Es gibt einen Geschmack von Einheit mit sich selbst, mit anderen, mit der Natur und ihren Abläufen, mit Gott. Dieser achtsame, bewusste Kontakt mit dem eigenen Inneren vor einem offenen Horizont ist gleichzeitig eine Waffe gegen aufkommende Wünsche, Unruhe, Spannungen, schlechte Stimmung, schwere Gefühle und Antreiber aller Art. Er ist notwendig dafür, dass die Person ihr Leben selbst steuern kann, und nicht von anderen gelebt wird.
  3. Hilfreich ist die Struktur und damit der feste Platz, der der Meditation, der Betrachtung der Schriften, dem Dienst an den anderen und dem persönlichen Austausch gegeben wird.
  4. Einen zentralen Platz in dieser Struktur hat das Gebet. Ich verstehe es als Hören auf Gott, insofern die Meditierenden, offen für die eigene Wahrheit hier und jetzt, bei ihren inneren Bewegungen verweilen und sie unterscheiden. Dieser Weise der Meditation wohnt dieselbe Bewegung inne wie der Eucharistie, die sonntags gefeiert wird: empfangen, was das Leben bringt – die inneren Bewegungen sind „Abdruck” des Lebens auf das Innere, –sich selbst verwandeln lassen, und das in Christus Verwandelte austeilen an die Menschen und die Welt.
  5. Christsein heute ist für mich nur noch vorstellbar in Offenheit gegenüber anderen Religionen: Menschen aller Zeiten und aller Kulturkreise haben nach Gott, nach der letzten Wirklichkeit, nach einer Möglichkeit der Bewältigung der Lebensprobleme, z.B. von Krankheit, Alter und Tod, gesucht. Ihr Suchen und ihre Erfahrungen können uns Christen anregen, die Botschaft Jesu besser zu verstehen und zu leben, und die Vorbehalte gegenüber dem Fremden zu verlieren.

Diese Elemente kommen in allen unseren Angeboten zum Tragen, am deutlichsten in den „Grundübungen”. Wo das Alltagsleben mit seinen Ereignissen die eigene Identität ankratzt, schafft es einen Zugang zu ihrem Grund. Der Aufenthalt im Ashram enthüllt das Illusionäre und Egomane dieses Grundes und ermöglicht, die Identität mehr in Gott, dem grundlosen Grund zu gründen. Das ist eine Befreiung für den Menschen, der sonst gezwungen ist herzustellen, was er als unabdingbar für sein Selbstgefühl hält.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2017

Was den Ashram Jesu charakterisiert

Der Ashram Jesu ist entstanden als Antwort auf eine Frage, die mich seit gut 40 Jahren bewegt: wie kann man in unserer Gesellschaft als Christ leben? Die wichtigsten Elemente der Antwort möchte ich nennen; sie prägen den Ashram

  1. materiell einfacher, bescheidener. Wir leben in Deutschland auf einem Niveau, das weder allen Erdbewohnern zugestanden werden kann, noch möglich ist: die Ressourcen würden nicht ausreichen und das Ökosystem völlig zusammenbrechen. Unser Lebensstandard ist ungerecht und unsolidarisch. Um ihn freiwillig reduzieren zu können, braucht es andere Quellen von Zufriedenheit.
  2. Mehr oder weniger kosten die Gäste im Ashram eine solche andere Quelle der Zufriedenheit. Der Quellgrund ist ein entschleunigtes, achtsames Leben in Stille mit wenig Ablenkung: Das ermöglicht, in jedem Augenblick ganz da zu sein und in Kontakt mit sich selbst im Ganzen, im Sein zu leben. Es gibt einen Geschmack von Einheit mit sich selbst, mit anderen, mit der Natur und ihren Abläufen, mit Gott. Dieser achtsame, bewusste Kontakt mit dem eigenen Inneren vor einem offenen Horizont ist gleichzeitig eine Waffe gegen aufkommende Wünsche, Unruhe, Spannungen, schlechte Stimmung, schwere Gefühle und Antreiber aller Art. Er ist notwendig dafür, dass die Person ihr Leben selbst steuern kann, und nicht von anderen gelebt wird.
  3. Hilfreich ist die Struktur und damit der feste Platz, der der Meditation, der Betrachtung der Schriften, dem Dienst an den anderen und dem persönlichen Austausch gegeben wird.
  4. Einen zentralen Platz in dieser Struktur hat das Gebet. Ich verstehe es als Hören auf Gott, insofern die Meditierenden, offen für die eigene Wahrheit hier und jetzt, bei ihren inneren Bewegungen verweilen und sie unterscheiden. Dieser Weise der Meditation wohnt dieselbe Bewegung inne wie der Eucharistie, die sonntags gefeiert wird: empfangen, was das Leben bringt – die inneren Bewegungen sind „Abdruck” des Lebens auf das Innere, –sich selbst verwandeln lassen, und das in Christus Verwandelte austeilen an die Menschen und die Welt.
  5. Christsein heute ist für mich nur noch vorstellbar in Offenheit gegenüber anderen Religionen: Menschen aller Zeiten und aller Kulturkreise haben nach Gott, nach der letzten Wirklichkeit, nach einer Möglichkeit der Bewältigung der Lebensprobleme, z.B. von Krankheit, Alter und Tod, gesucht. Ihr Suchen und ihre Erfahrungen können uns Christen anregen, die Botschaft Jesu besser zu verstehen und zu leben, und die Vorbehalte gegenüber dem Fremden zu verlieren.

Diese Elemente kommen in allen unseren Angeboten zum Tragen, am deutlichsten in den „Grundübungen”. Wo das Alltagsleben mit seinen Ereignissen die eigene Identität ankratzt, schafft es einen Zugang zu ihrem Grund. Der Aufenthalt im Ashram enthüllt das Illusionäre und Egomane dieses Grundes und ermöglicht, die Identität mehr in Gott, dem grundlosen Grund zu gründen. Das ist eine Befreiung für den Menschen, der sonst gezwungen ist herzustellen, was er als unabdingbar für sein Selbstgefühl hält.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Januar 2017

In Gott verankert

Viele zum Teil sehr persönliche Rückmeldungen aus der virtuellen Meditationsgemeinschaft im Advent, bestätigten das "besondere Gefühl", in einer solchen Gemeinschaft zu sitzen, bzw. mit anderen bewusst Entschiedenen "zusammen in der Adventszeit einen Gebetsweg zu gehen" bzw. "unterwegs zu sein." Den Morgen anzufangen im bewussten Kontakt mit dem Menschen, der ich selber bin, habe Wirkung auf den gesamten Tag: "Ich spüre, wie gut es mir tut, den Tag zu beginnen, indem ich innehalten darf… Ruhiger geht es dann, entspannter, gelassener und offener für das, was mir begegnet, … und ich merke immer wieder, wie wichtig Struktur (hier die feste Zeit) für mich ist."

Diese Erfahrung ist keine singuläre. Die 15, 20 Minuten solchen Innehaltens am Morgen sind wie eine Verankerung: Ich weiß um mich, spüre mein Befinden, meine Wünsche und Gefühle, das mir Wichtige. Vielleicht komme ich sogar in einen wirklichen Kontakt mit mir selbst und erlebe mich dabei gewollt und geliebt in einem absolut offenen Raum: "Das tägliche Gebet/ Meditieren ist mein Lebenselixier. Ich kann mir meinen Alltag überhaupt nicht vorstellen ohne diese Rückbindung an Gott…." Verankert lebt man dann seinen Tag, das Gute und das Schlechte, aus einem tiefen Grund, aus Gottes Grund.

Wer das nicht tut, der ist den an der Oberfläche herrschenden Kräften preisgegeben: der Überforderung; den verlockenden spiegelnden und bunten Oberflächen, die einen wegführen von sich selbst; der Verunsicherung durch immer mehr und immer schwieriger zu lösende Fragen unserer globalen Welt; der Angst, wie es mit diesem Planeten und seinen Bewohnern weitergeht.

Auch dieses neue Jahr wird bewältigt werden müssen. Was an der Oberfläche an Wünschen und Phantasien entsteht, taugt dafür jedoch nichts … – so sagt es Hilde Domin's (1909 - 2006) Gedicht, das wir im Silvesterkurs gelesen haben:

BITTE

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut.

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.

Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.

Und daß wir aus der Flut,
daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.

— Hilde Domin

Die schwierigen Stunden des Lebens werden uns versehren, wenn wir sie überhaupt an uns heranlassen und uns nicht ablenken; dass sie uns versehren und zugleich "immer heiler zu uns selbst entlassen werden", wir also mehr wir selbst werden, mehr in uns selber gründen, das ist ohne Zeiten des Innehaltens nicht zu erfahren. Mir ist es ein großes Anliegen Euch zu sagen: nehmt Euch Zeit zum Innehalten! Aus Liebe zu sich selbst. Jeden Tag 15 oder 20 Minuten früher aufstehen, Morgentoilette, und dann gleich in Kontakt gehen mit der eigenen Wirklichkeit vor Gottes, " … um immer versehrter und immer heiler stets von neuem zu sich selbst entlassen zu werden."

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2016

Weihnachten

Was für eine Welt, in der wir Weihnachten feiern! Sollen wir uns nun in Tannenduft und Kerzenschein und Träume von Frieden und Freude flüchten – oder flüchten wir vor allen diesen weihnachtlichen Bräuchen und Worten, um die Spannung von Sehnsucht und enttäuschender Realität nicht erleiden zu müssen? Vielerorts Willkür, Gewalt, Betrügereien großen Stils, Korruption, Populismus, Menschenverachtung, Völkermord, dazu die grassierende Überforderung. An dieser Welt Rand war Weihnachten schon immer: der Immanuel – Gott mit uns, – Jesus, wurde nicht in Rom, nicht einmal in Jerusalem, nicht einmal in einer menschlichen Behausung geboren, wie Lukas schreibt.

Nein, Weihnachten scheint nicht in diese Welt zu passen! Eigentlich kann es auch anders nicht sein: Der „Gott mit uns” und unsere erlösungsbedürftige Welt sind Gegensätze. Gottes Friede und Gottes Freude sind durch menschliche Mittel nicht herstellbar. Diese taugen oft nicht einmal für eine Waffenruhe.

Von innen her befreit und erfüllt den Menschen Gottes Heil. Weihnachten kommt erst an Ostern zum Ziel. Und Ostern gibt es nur durch den Karfreitag hindurch. Während wir wie alle Säugtiere beim Anschein einer Gefahr angreifen oder fliehen oder uns totstellen und damit das Störende und die Spannungen von uns fern zu halten suchen, hat der Immanuel freiwillig und bewusst sein Kreuz getragen, d.h. alles, Spannung und Tod und Angst, an sich herangelassen, sich alledem gestellt, alles von innen her durchlebt. Während wir die Oberfläche und das Äußere zu unserem Bezirk machen, da wir glauben, sie beherrschen zu können und dort sicher zu sein, hat Er Kontrolle und Sicherheit gelassen in restlosem Vertrauen, so wie das Kind in der Krippe sich vorbehaltlos und offen dem Leben überlässt, und die Tiefe zu seinem Reich gemacht.

Von dort, aus dem getragenen Kreuz, kommen wirklicher Friede, wahre Freude, echte Liebe. Von dort erwachsen dem Leben Perspektiven und Handlungsimpulse, die ewiges Leben in unsere Zeit inkarnieren. Wir feiern, dass Gott uns diesen Weg eröffnet hat. Aber wir müssen ihn auch gehen.

Vielleicht dürfen Euch folgende Zeilen durch Weihnachtszeit und Neues Jahr begleiten:

Man muss den Dingen
die eigne, stille,
ungestörte Entwicklung lassen,
die tief von innen kommt
und durch nichts gedrängt
oder beschleunigt werden kann:
Alles ist austragen - und
dann gebären…

Reifen wie der Baum, der seine Säfte nicht drängt
und getrost in den Stürmen des Frühlings steht,
ohne Angst, dass dahinter kein Sommer kommen könnte.

Er kommt doch!

Aber er kommt nur zu den Geduldigen,
die da sind,
als ob die Ewigkeit vor ihnen läge,
so sorglos, still und weit …

Man muss Geduld haben gegen das Ungelöste im Herzen,
und versuchen, die Fragen selber lieb zu haben. …

Es handelt sich darum, alles zu leben.

Wenn man die Fragen lebt,
lebt man vielleicht allmählich,
ohne es zu merken,
eines fremden Tages
in die Antwort hinein.

— Rainer Maria Rilke

„Es handelt sich darum, alles zu leben.”

Lasst uns also mit Zuversicht durch diese Tage gehen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, November 2016

Virtuelle Meditationsgemeinschaft im Advent

Auch in diesem Jahr lade ich wieder zur „virtuellen Meditationsgemeinschaft” ein: d.h. dazu, den Advent nicht ganz vom „Weihnachtsgeschäft” bestimmen zu lassen, sondern vom 1. Advent bis Heilig Abend einen geistlichen Akzent zu setzen durch eine tägliche Zeit des Innehaltens: 15 bis 30 Minuten des Sich-Niederlassens und Entspannens, des Atmens, des Sich-selber-Spürens und Verweilens bei dem, was ich von mir selbst spüre: der Mensch, der ich selber bin, gestattet sich für diese Zeit am Tag der Mensch zu sein, als den er sich vorfindet. Einfach nur sein, – statt nach irgendwelchen Veränderungen zu streben. Sein, wie ich jetzt und hier bin, nichts weiter. Sein, wie ich von Gott hier und jetzt geliebt und gewollt bin. Ich halte das für Gebet.

Wer über diese Worte hinaus eine Anleitung braucht, findet sie z.B. in unseren „Spirituellen Impulsen und Anregungen”, gleich unter den Meditationsanleitungen oder auchin meinem Buch. Wer zusätzlich das Bedürfnis nach einem geistlichen Wort verspürt, wird unter vielen Möglichkeiten fündig z.B. in der Bibel beim Propheten Jesaja, Kapitel  9;11;35;40-55 oder unter den Schriftbetrachtungen und Predigten auf unserer Website.

Wer mitmachen will und sich bei mir meldet, dessen Namen und E-Mail-Adresse werde ich an alle anderen weitergeben, die sich ebenfalls bei mir melden, so dass die „virtuelle Meditationsgemeinschaft” Namen bekommt, auch wenn nicht alle jedem bekannt sein werden. Sie bilden zwar keine am selben Ort und zur selben Zeit zusammentretende Gruppe, aber eine solidarische Gemeinschaft von Menschen, die sich Innehalten gönnen und zumuten. Eure Teilnahme müsst Ihr mir bis spätestens Mittwoch, den 23. November bekunden, so dass wir am 1. Advent starten können.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2016

Vergebung

In den letzten Kursen bin ich immer wieder einmal über das Thema „Vergebung” gestolpert. Sei es, dass jemand seinem Vorgesetzten dessen unengagierte Haltung nicht vergeben konnte oder seinem Ehepartner nicht dessen ganz anders geartete Interessen, was oft auch geringes Verständnis für die eigenen Belange einschließt; sei es, dass Eltern so gar nicht mit den Entscheidungen ihrer Kinder einverstanden sein können oder jemand unzufrieden ist mit seinem eigenen Leben und dem, was er erreicht hat.  Solche Situationen werden manchmal schöngeredet, manchmal bagatellisiert. Die Kränkung soll nicht gespürt werden. Die mit ihr verbundenen Gefühle wären ein übler Schlag ins Kontor der eigenen Identität.

In diesem Fall ist es wahrscheinlich, dass die nicht gespürten Gefühle ausagiert werden und andere zu Opfern der eigenen Verletztheit machen. Wo aber die Wahrheit stärker ist als die eigenen Abwehrmechanismen, beleuchtet sie Trauer und Bitterkeit, Wut, vielleicht auch Scham, Minderwertigkeit, Rachegefühle. Ich erinnere mich, wie all diese Gefühle mit Wucht immer wieder hochkamen, wenn ich durch irgendeinen Auslöser wieder an die entsprechende Situation erinnert wurde: durch zufällige Erwähnung eines der Beteiligten, durch nichtsahnende Nachfragen lange nicht mehr getroffener Bekannten; durch alte Notizen, auf die ich stieß: sofort war die ganze Misere wieder lebendig und, erstaunlicherweise auch lange Zeit später, so frisch wie am ersten Tag.

Irgendwann fiel mir auf, dass ich litt an der Erregung, in die ich jeweils geriet. Die Sache war wie sie war, das Unrecht war geschehen, und es begann bereits das Gras darüber zu wachsen. Niemanden interessierte es mehr, nur ich hielt daran fest und litt. Als der Wunsch stärker wurde, diese Gefühle loszulassen, um wieder inneren Frieden zu finden, begann ich darum zu beten, vergeben zu können. Wieso die Sache mich so tief hatte verletzen können, welche meiner fundamentalen Erwartungen dabei frustriert wurden, das war mir schon im Laufe der Zeit klarer geworden. Nun versuchte ich, mein Agieren damals aus den Augen meines Gegners zu sehen. Ich schlüpfte in seine Haut, um zu verstehen, welche Interessen ihn damals leiteten, unter welchen Zwängen er stand, was für ihn als Person mein Verhalten bedeutete. Langsam, langsam wurden meine Gefühle ruhiger. Jahre später konnte ich vergeben.

Vergebung ist nicht eine fromme Veranstaltung, Ansinnen des Über-Ichs oder eines etwas antiquierten Gottes. Vergebung ist die Waffe der Opfer, um die Herrschaft des erlittenen Unrechts im eigenen Leben zu brechen; um frei zu werden und den inneren Frieden wieder zu finden; um nicht den „Täter-Opfer-Täter-Reigen” weitertanzen zu müssen,– wie Konrad Stauss in seinem empfehlenswerten Buch dies nennt ( Stauss, K.: Die heilende Kraftder Vergebung, Kösel 2010). Ein weiterer Schritt in diesem Prozess kann dann der Versuch der Versöhnung mit dem Gegner sein, die Aussprache in der Perspektive gegenseitiger Vergebung.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2016

Gipfelerfahrung und alltägliche Praxis

Die Tage werden spürbar kürzer. Unsere Morgenmeditation beginnen wir schon seit einiger Zeit in tiefer Dunkelheit, und es dunkelt wieder, wenn wir zur Abendmeditation hinaufsteigen. Manchmal brennt schon die Kerze, sonst ist alles dunkel. Wie kostbar ist doch das Licht! Im Koran, beschreibt Mohammed eine Vision von Gott als Licht:

„Gott ist das Licht der Himmel und der Erde.
Sein Licht ist einer Nische vergleichbar, in der eine Lampe ist.
Die Lampe ist in einem Glas.
Das Glas ist, als wäre es ein funkelnder Stern.
Es wird angezündet von einem gesegneten Baum, einem Ölbaum,
weder östlich noch westlich, dessen Öl fast schon leuchtet,
auch ohne dass das Feuer es berührt hätte.
Licht über Licht. …”

— Koran, Sure 24

Wir haben diesen wunderschönen Text in einer Schriftbetrachtung gelesen. „Licht über Licht.” Seine geheimnisvolle Quelle, einfach und verehrungswürdig, ist jedoch nicht unmittelbar zu erfassen. Nur ihren Widerschein sehen wir, nur die vom Licht erfüllte Nische. Wie diese Nische ist die ganze Schöpfung von Gottes Licht und Glanz durchflutet. Doch die Schöpfung verhüllt ihn zugleich. Anders gesagt: Alltag, Mühen, Glück und Unglück, Freude und Leid: alles ist Kleid des Lichtes, – auch der Tod.

Hin und wieder uns gewöhnlichen Menschen eine solche Gipfelerfahrung vergönnt. Halten lässt sie sich nicht. Doch sie stärkt die Sehnsucht, in dieser Letzten Wirklichkeit zu leben. Wie? Der Koran fährt so fort, dass „weder Handel noch Kaufgeschäft [diese Menschen] ablenken vom Gedenken Gottes, von der Verrichtung des Gebets und der Entrichtung der Abgabe, [dass sie] einen Tag fürchten, an dem Herzen und Augenlicht umgekehrt werden…” „Handel und Kaufgeschäft” war der Alltag des Mekkaners von damals. Es geht also um Menschen, die einen Alltag mit all seinen Anforderungen zu bewältigen haben, jedoch nicht so in dessen Dynamiken verstrickt sind, dass sie auf das Gedenken Gottes vergäßen und die religiösen Pflichten unterließen. Das dauernde „Gottesgedenken” – der „dikhr” – ist der Pfad des islamischen Mystikers. Er beginnt bei der Disziplin der täglichen Gebetszeit(en) und entwickelt sich zu einem dikhr im Herzen, der sich schließlich selbst dabei vergisst. Diese Strophen von der „Höchsten Vollendung” weisen in eine ähnliche Richtung:

„Vergessenen des Geschaffenen
Gedenken des Schöpfers
Gerichtetsein auf das Innere
und leben in der Liebe des Geliebten.”

— Johannes vom Kreuz

Abstand zu den Alltagsgedanken also, offen und unvoreingenommen dasein im Kontakt mit dem Inneren; dabei von Liebe erfüllt werden, aus der das Leben gelebt wird. Eine starke Hilfe dabei ist das Bewusstsein des Todes, „an dem Herzen und Augenlicht umgekehrt werden”. Im Tod geschieht endgültig, worum der Mensch sich täglich bemühen soll: Augen und Aufmerksamkeit werden nach innen gerichtet statt nach außen, und das im Herzen Verborgene wird offenbar. Die Freiheit, über den Tellerrand des Eigenen hinauszublicken und Verantwortung für das Ganze des Lebens zu übernehmen, wird alles entscheiden. Lasst uns das nicht vergessen!

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, August 2016

Sommerauszeit im Ashram Jesu

Erstmals hat im Ashram Jesu eine 16-tägige „Sommerauszeit” stattgefunden, die gerade zu Ende geht. Sie diente dazu, Erholung und Entspannung mit der Reise nach innen und der Einkehr bei sich selbst zu verbinden; zu leben in der Kraft des Bei-Sich-Selber-Seins, die den Ashram umgibt, mit dem Freiraum zur eigenen Gestaltung. Für über 20 Personen war dieses Angebot so attraktiv, dass sie daran teilgenommen haben. Manche kamen zu einem zweitägigen Hineinschnuppern in den Ashram, andere zu einem verlängerten Wochenende, wieder andere blieben fünf bis acht Tage, manche die gesamte Zeit und darüber hinaus als Teil 30tägiger Exerzitien. Wie es jeweils für sie passte, nutzten unsere Gäste die ihnen seitens des Ashram angebotene Struktur: täglich drei Meditationszeiten und gemeinsame Mahlzeiten am Morgen und Mittag und Selbstverpflegung aus der Ashram-Küche am Abend, wöchentlich zwei Gruppengespräche zur Meditationspraxis und den sonntäglichen Gottesdienst sowie die Möglichkeit von Einzelbegleitung.

Und wie wars? Wir meinen: gut! So gut, dass wir 2018 wieder eine Sommerauszeit anbieten wollen. Unsere Einschätzung wird bestätigt von den Teilnehmenden, die wir für den Newsletter um Rückmeldungen gebeten haben. (Eine Stimme steht jeweils stellvertretend für mehrere ähnliche): „Durchatmen nach einer aufregenden, intensiven Zeit der Suche nach meinem Element. In Stille sein dürfen, so wie ich gerade dastehe, mit allem, was in mir ist. Und endlich mal nicht reden müssen. Keinem erzählen müssen, wer ich bin, was ich mache, was ich habe. Und keiner stellt Fragen, auf die ich keine Antwort geben möchte. Wie gut das tut!” Wohltuend war die Freiheit, „der eigenen Spur, den notwendigen Bedürfnissen selbst folgen und den Tag gestalten zu können”. Und eine andere Stimme: „Alles hat Angebotsform. Ich fühle mich frei, eine Meditation auszulassen, um eine längere Wanderung durch die sonnendurchflutete, blühende Natur zu unternehmen, nehme mir Zeit, den Reihern bei der Jagd an den Fischteichen zuzusehen. Auf einem anderen Spaziergang genieße ich ein intensives Gespräch und freue mich dann, wieder in die Stille des Ashrams einzutauchen.”

Genau diese Freiheit stellte allerdings auch die Frage, „wie ich dieses Angebot gestalten könnte: Als Exerzitien? Oder mehr als Erholung? Oder beides? Wenn ja: so rum oder so rum? Bzw.: warum eigentlich scharf trennen? Wie wär’s denn mit ‚im Fluss’? – Genau so erlebe ich’s nun.” Eine weitere Herausforderung für alle, auch die Leitung, lag im steten Wechsel der Gruppe: fast jeden Tag Neuankünfte und Abschiede. Doch musste diese fließende Gruppe den eigenen Prozess nicht stören: „Ich bin dankbar, dass ich diese ganze Zeit hier sein darf und so zur Ruhe kommen, mich sammeln kann und einen intensiven Prozess erlebe. Es tut gut, dass einige ebenso kontinuierlich dabei sind, andere wechseln: die Abgereisten bleiben noch mit im Sinn, die Neuen werden erwartet; all das spielt sich gut ineinander ein, auch praktisch.” Trotz Wechsel und Schweigen hat man offenbar nicht nebeneinander her gelebt: „im wohltuenden Schweigen viele freundliche, liebevolle Gesten und Begegnungen erleben … mit einem Gast einen Spaziergang durch Felder und Wiesen machen, lachend und schwatzend.” (Auf dem Ashram-Gelände herrschte Schweigen.) Und ein anderer Gast spricht davon, „aufgehoben in der Gemeinschaft” zu sein. Und: „Es ist gut, dies alles zusammen mit den anderen zu erleben. Gemeinsam meditieren, essen, kleine Begegnungen. Froh, nicht allein diese Wunder zu sehen – hören – riechen – schmecken.”

Am Ende überwiegen Dankbarkeit und Freude, sich – vielleicht trotz mancher Bedenken – auf diese Auszeit eingelassen und körperliche und seelische Erholung erfahren zu haben: „Mit Furcht im Herzen kam ich hier an – in der Stille. Ein Meer von Zeit lag vor mir – was sollte diese Zeit bloß füllen? Dankbar verlasse ich heute diesen Ort und empfinde jeden Augenblick, der mir noch bleibt, als kostbar. Auf Wiedersehen!”

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juli 2016

In Kontakt mit sich selbst sein

Für viele von uns bringt der Sommer durch Ferien und Urlaub eine Unterbrechung der alltäglichen Routine mit sich. Vielleicht begeben wir uns an andere Orte, in einen anderen Modus und können wir die Aufmerksamkeit auf anderes richten, als dies unter Alltagsbedingungen möglich ist. Eventuell beschert uns diese Zeit auch die Gelegenheit, manche Kontakte zu beleben, zu intensivieren oder auch neu zu knüpfen. Und hoffentlich gilt dies in besonderer Weise für einen besonders grund-legenden Kontakt: den zu uns selbst, zu unserem eigenen Inneren.

In Kontakt sein mit sich selbst: dies hört sich selbstverständlich an, ist es jedoch ganz und gar nicht. Wie oft bemerken wir kaum etwas von uns, nehmen gar nicht wahr, wie es dem Menschen, der wir selber sind, gerade geht, was ihn antreibt, bewegt, wie es gerade um ihn bestellt ist. Wie oft sind wir derart beschäftigt mit allem Möglichen im Außen, dass wir überhaupt nicht mitbekommen, was in unserem Inneren eigentlich vor sich geht. Mitunter erleichtert uns dies vielleicht sogar das äußerliche Funktionieren, auf Dauer aber schaden wir uns selbst damit. Denn dieser Kontakt mit dem eigenen Inneren ist lebens-notwendig. Ohne ihn können wir menschlich und geistlich nicht wachsen und reifen und verfehlen letztlich unseren eigenen Weg, unsere wahre Bestimmung.

Im Zusammenhang mit dieser Thematik fallen mir immer wieder einmal die eindrücklichen Worte von Angelus Silesius ein:

Halt an, wo laufst du hin? Der Himmel ist in dir.
Suchst du ihn anderswo, du fehlst ihn für und für.

— Der Cherubinische Wandersmann, 1675

Anhalten, innehalten, bei sich einkehren und bei seiner Wirklichkeit verweilen – darum geht es im Ashram Jesu. 
Und der Prozess des Anhaltens ist dabei nicht zu unterschätzen. Er kann sehr mühevoll und schwierig sein oder gar unmöglich erscheinen, gerade dann, wenn wir im Außen ordentlich Fahrt aufgenommen haben, unter Druck stehen, angetrieben werden von Ab- und Anhängigkeiten unterschiedlichster Art … Leichter scheint es dann zu sein, fortzufahren wie gehabt, sich sozusagen weiter im immer schneller werdenden Hamsterrad zu drehen. Es läuft ja irgendwie - äußerlich gesehen vielleicht sogar recht erfolgreich! Hingegen erfordert es einiges, dieses Rad anzuhalten und sich der Frage zu stellen, wohin man denn eigentlich läuft, ob man dort wirklich hin möchte bzw. wohin es einen wirklich zieht. Denn diese Frage ist unbequem, sie bringt u.U. Mangel, Unstimmigkeiten und Empfindungen ans Licht, bei denen auszuhalten alles andere als einfach ist. Gut möglich, dass wir von daher letztlich ganz froh sind über manche Erwartungen, Gegebenheiten, Zwänge von außen, die unser Angetrieben-Sein rechtfertigen, ja unbedingt erforderlich zu machen scheinen. Es fragt sich, ob nicht auch hier Angelus Silesius den eigentlichen Kern des Problems mit folgenden anderen Versen aus dem "Cherubinischen Wandersmann" treffend erfasst:

Nichts ist, was dich bewegt; du selber bist das Rad,
das aus sich selbsten läuft und keine Ruhe hat.

— Der Cherubinische Wandersmann, 1675

Mein Wunsch ist, dass diese Sommerzeit für uns Momente des Anhalten- und Ruhen-Könnens bereit hält, Momente, um bei uns einzukehren, um in Kontakt zu sein mit sich selbst und zu verweilen bei der eigenen Wirklichkeit – und dass wir dies nicht nur als mühevoll erleben, sondern auch als öffnend im Blick auf den Himmel in uns selbst!

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Juni 2016

Den entscheidenden Schritt wagen

Auf dem Katholikentag wurden natürlich auch viele spirituelle Methoden vorgestellt. Aber die sind nicht das Entscheidende. Worum es auf dem Weg wirklich geht, ruft folgender Text von Louis Lallement SJ (1578 - 1635) in Erinnerung: „Über dem Feilschen, ob wir uns Gott restlos schenken wollen, lassen wir Jahre verstreichen, ja oft ein ganzes Leben. Wir können uns nicht entschließen, das volle Opfer zu bringen, behalten uns eine Menge Bindungen, Pläne, Wünsche, Hoffnungen und Ansprüche vor und wollen uns ihrer nicht entäußern, um so in die völlige Nacktheit des Geistes einzutreten, die uns fähig macht, von Gott restlos in Besitz genommen zu werden. … Unter dem Druck der Eigenliebe, verblendet von Unwissenheit und durch falsche Befürchtungen gehemmt, wagen wir den entscheidenden Schritt nicht."

Den entscheidenden Schritt wagen! Denjenigen existentiellen Schritt, zu dem Gott mich ruft. Doch dazu muss ich es wagen, seinen Ruf an mich heranzulassen, mich frei machen vom Lärm und Getriebe des Alltags. … Den entscheidenden Schritt wagen, in dem ich loslasse und mich entblöße, um mit Gott im selben Haus zu wohnen.

Menschen, die diesen entscheidenden Schritt gewagt haben kennen auch den Kampf, der dabei zu kämpfen, die Angst, die zu überwinden ist: Moses, der gegen Ende seines Dialogs mit dem „Ich-bin” am brennenden Dornbusch aus Angst zurückschreckt vor seiner Aufgabe, – was Gott nicht gelten lässt: der Weg aus der Angst verläuft durch die Angst hindurch.
Von Jeremia, dessen Leiden die Bibel schildert, ist uns die Klage überliefert (Jer 20): „Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören…  . Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. … Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen!, so war es mir, als brenne in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinem Innern. Ich quälte mich es auszuhalten und konnte nicht.” Und von Jona wissen wir, wie er versucht, dem Ruf Gottes davonzulaufen, den Preis ahnend, den diese Berufung auch ihn kosten wird.

„Den Schritt tun", der jetzt für mich dran ist, - das ist es, worauf schließlich alles ankommt. Das ist es auch, was einer zukünftigen Kirche zur Geburt verhelfen wird. Diese lässt sich nicht am grünen Tisch entwerfen, sie entsteht durch Menschen, die, hörend auf Gott, die entscheidenden Schritte in ihrem Leben tun und eindeutig werden.

Zurück zur Übersicht

 

Elisabeth Vosen, Mai 2016

Schaffen wir das?

Auch wenn der Flüchtlingsstrom zur Zeit deutlich nachgelassen hat, ist das Flüchtlingsthema nach wie vor in aller Munde und wird weiterhin kontrovers diskutiert. Im gelebten Alltag hängt viel von der Einstellung der Bevölkerung vor Ort zu den dorthin zugewiesenen Flüchtlingen ab. Auf die Zuweisung von Flüchtlingen hat man wenig Einfluss und die Zweckentfremdung von Sporthallen stößt keineswegs immer auf das Verständnis der bisherigen Nutzer. Dennoch bietet oft die konkrete Situation vor Ort – wie in unserem Fall – durchaus auch reale Gestaltungsmöglichkeiten, die das Klima im Ort positiv beeinflussen können.

In meinem eher wohlhabenden und gutbürgerlichen Wohnort westlich von Köln (12.000 Einwohner) kümmern sich zurzeit über 60 Ehrenamtliche allen Alters um die derzeit etwa 300 hier mit uns im Ort lebenden Flüchtlinge. In Spitzenzeiten haben 180 Asylsuchende in Zelten in unserer Mehrzweckhalle gelebt, derzeit sind es noch 40. In der Obdachlosenunterkunft wohnen 22 Personen, die anderen, vor allem Familien mit Kindern, konnten nach und nach über den Ort verteilt oder im Nachbarort in Wohnungen einziehen, die von der Stadt für sie angemietet wurden. Die Flüchtlinge kommen aus 17 Nationen. Es sind mehrheitlich junge Männer, darunter auch eine Gruppe unbegleiteter minderjähriger Jungs, die von einer Organisation rundum die Uhr zuverlässig betreut werden, sowie junge Familien mit bis zu sieben Kindern.

Neben der städtischen Unterstützung wird nun schon über ein knappes Jahr viel ehrenamtliche Hilfe geleistet: Fast alle Flüchtlingsfamilien haben eine eigene Begleiterin, die ihnen durch den Alltag hilft. Fast 20 Personen kümmern sich um das erste Vermitteln der deutschen Sprache, teilweise mit parallel angebotener Kinderbetreuung. Es gibt eine Kleiderkammer, differenzierte Hausaufgabenbetreuung, eine wöchentliche Sprechstunde für alle möglichen Angelegenheiten, Fußball- und Basketballtraining und eine Fahrradwerkstatt. Einige pensionierte örtliche Handwerksmeister haben eine kleine "Lehrwerkstatt" für Holzarbeiten im Keller des alten Jugendheims aufgebaut, die derzeit leider aus Versicherungsgründen wieder geschlossen ist. Einmal pro Woche gibt es ein Angebot nur für Frauen, mit Kochen, Backen, Basteln, Handarbeiten und dabei so nebenher etwas Deutsch lernen. Alle zwei Wochen findet ein gut besuchtes Begegnungscafé im Wechsel mit dem Nachbarort statt, wo Einheimische und Flüchtlinge zusammen kommen und sich allmählich und unverbindlich kennen lernen können. Alle Fäden laufen in einer ökumenischen Nachbarschaftshilfe zusammen, finden weitestgehend in kirchlichen Einrichtungen statt und werden von Ehrenamtlern koordiniert. Staat und Kirchen geben Zuschüsse. Die Bevölkerung unterstützt großzügig und zuverlässig mit Geld- und Sachspenden, eine Internetplattform gibt bekannt, wo was gebraucht wird. Klagen und Gerüchten, die das Zusammenleben betreffen, wird nachgegangen, sobald sie bekannt werden und bei Bedarf wird entsprechend deeskalierend interveniert. Ortsansässige Übersetzer besprechen mit den Flüchtlingen immer wieder, wie das Leben in Deutschland funktioniert und welches Verhalten man hier von ihnen erwartet.

All dieses Vorgehen ist ein Hineintasten in ein allen Helfern unbekanntes Terrain nach dem Muster learning by doing. Manches verläuft nicht wie geplant oder erhofft, weil „gut gemeint” alleine noch nicht zum Ziele führt. Es gibt auch immer wieder Pannen, entstanden durch Missverständnisse und Unkenntnis auf beiden Seiten. Aufgrund der sprachlichen Schwierigkeiten und auch der Unerfahrenheit der Engagierten wird zwar viel für Flüchtlinge getan, jedoch noch wenig mit ihnen. Auch scheint es so zu sein, dass es in den vielen Heimatkulturen der Flüchtlinge nicht so üblich ist, Menschen zu helfen, mit denen man verwandtschaftlich nicht verbunden ist. Umso mehr freuen sich die Helfer darüber, dass sich nach und nach die ersten Flüchtlinge helfend mit einbringen. Sie engagieren sich in der Fahrradwerkstatt, helfen anderen beim Übersetzen und unterstützen einander tatkräftig beim Umzug. Zum persischen Neujahrsfest (Nouruz) hatten die Flüchtlinge Ehrenamtliche und interessierte Nachbarn eingeladen. Der Raum war entsprechend hergerichtet, es wurde auf geliehenen Instrumenten Musik aus der Heimat gespielt und getanzt und gesungen. Dank einer Spende des Fördervereins haben die Flüchtlinge für alle ein vielfältiges und leckeres persisches Essen zubereitet. Wie selbstverständlichen haben sie anschließend alle zusammen aufgeräumt.

Besonders als die Mehrzweckhalle voll belegt war, kam es dort von Zeit zu Zeit zu Spannungen, Streit und Gewaltsamkeiten unter den Flüchtlingen. Alte traditionelle Streitigkeiten zwischen verschiedenen religiösen Gruppen und Volkszugehörigkeiten wurden reaktiviert, vor allem gegen Afghanen. Dunkelhäutige Flüchtlinge scheinen in der sozialen Rangordnung ganz unten zu sein. Oft war Streitschlichten angesagt, was schwierig war, da die Helfer aus dem Sprachengewirr meist überhaupt nicht erkennen konnten, worum es ging. So hat dann auch mehrfach die Polizei eingreifen müssen.

Mitbürger, die schon lange im Ort leben und ursprünglich ebenfalls aus diesen Ländern kamen, unterstützten die Arbeit der Ehrenamtlichen zunächst nur zögerlich. Durch gemeinsame Sprache erkennen sie ja viel schneller und genauer, wen sie da jeweils vor sich haben und sind je nach dem entsprechend zurückhaltend. Häufig ist es im Rahmen der Diskretion hilfreich, von ihnen zu erfahren, was die Flüchtlinge ihnen berichten. In sehr vielen Fällen wurde z.B. den Flüchtlingen von den Schleppern sofortige Arbeit und eine schöne Wohnung in Deutschland versprochen. Um gleich ein Haus für die Familie zu bekommen, musste noch zusätzlich gezahlt werden. Von daher versteht sich auch, mit welchen Erwartungen manche Asylsuchende hierhergekommen sind. Sie wollen hier einfordern, wofür sie die Schlepper bereits bezahlt haben. Erst so nach und nach dämmert ihnen, dass sie aufs Übelste betrogen worden sind. Das Geld für die Flucht wurde oft von Verwandten und Freunden zusammengeliehen und die drängen nun auf Rückzahlung und setzen die Familie unter Druck. Manch junger Mann hat die Balkanroute zur Abenteuerreise nach Deutschland genutzt. Aus der perspektivlosen Heimat heraus macht es auch nichts, nun hier perspektivlos und längerfristig in Turnhallen und Sammelunterkünften zu sitzen. Mit dem Muster wie man zu Hause überlebt hat, könnte man es auch hier versuchen. Außerhalb der heimischen sozialen Kontrolle und aus Langeweile ist es vielleicht verlockend verschiedenes auszuprobieren: Diebstahl, Schwarzfahren, Alkohol und auch Rauschgift. (Dass Rauschgift hier so teuer ist, haben die Schlepper leider auch nicht gesagt.) So ist für manch einen jungen Mann der Weg ins Kriminelle nicht sehr weit.
Es gibt von einzelnen Abenteurern bereits enttäuschte Anfragen, was man tun muss, damit man wieder nach Hause kann. Leider nimmt kaum ein Herkunftsland seine geflohenen Staatsbürger problemlos wieder auf.

Seit den Geschehnissen in der Silvesternacht im benachbarten Köln hat sich die Stimmung hier auch unter den Flüchtlingen verändert. Die politischen Flüchtlinge, die gekommen sind, um endlich in Frieden und angstfrei leben zu können, und bereits begonnen haben sich zu integrieren, distanzieren sich weit und energisch von den Vorfällen in der Silvesternacht. Sie verstehen nicht, wieso man die Täter von Silvester nicht endlich zurück schickt. Stattdessen erleben sie, wie infolge deren Fehlverhaltens nicht nur unterschiedslos alle Menschen mit Migrationshintergrund misstrauisch beäugt werden, sondern sie sich sogar auch gegenseitig sehr misstrauisch begegnen, sofern sie sich nicht persönlich kennen.

Das Erlernen der deutschen Sprache ist für die, deren Asylgesuch anerkannt wurde, Pflicht. Leider wird es für sehr viele zu einer frustrationsreichen Angelegenheit. Die staatlich anerkannten Sprachkurse folgen einem strengen Einheitsraster, bei dem auf die Lernvoraussetzungen und persönlichen Gegebenheiten der Teilnehmer fast keine Rücksicht genommen werden kann. Es sind innerhalb einer vorgegebenen Stundenzahl vorgegebene Lernziele zu erreichen. Die Bildungsvoraussetzungen, die die Flüchtlinge mitbringen, sind de facto jedoch extrem unterschiedlich. Einige können auch in ihrer Muttersprache nicht lesen und schreiben. Unsere Schriftzeichen sind vielen weitgehend unbekannt.  Und wenn dann noch grammatische Strukturen zu verstehen sind, wird es besonders schwer.
Hier ist viel Enttäuschung auf beiden Seiten vorprogrammiert. Einige Flüchtlinge geben völlig überfordert auf und nehmen die damit verbundenen finanziellen Einbußen in Kauf. Dann heißt es von offizieller Seite schnell: Die Flüchtlinge wollen ja gar nicht.

Im Kleinen gesehen freue ich mich an der Entwicklung "meiner" syrischen Familie, die ich seit über einem Jahr begleite. Sie ist 2014 über Libyen mit einem Holzboot mit 300 anderen Menschen über das Mittelmeer gekommen, wo sie nach 13 angstvollen Stunden von einem Frachter aufgelesen und nach Sizilien gebracht wurden. Von dort ging es mit dem Zug über Mailand nach Deutschland. Das hat für 2 Erwachsene und 2 kleine Kinder insgesamt 10.000 Euro gekostet. Im Februar 2014 war das Umziehen von Lager zu Lager in Deutschland zu Ende und die Familie erhielt in meinem Wohnort eine Wohnung zugeteilt. Inzwischen ist ihr Asylantrag anerkannt worden, und alle atmen auf. Der 20jährige Bruder der Frau hat es im Sommer 2015 über die Türkei und die Balkanroute bis hierher geschafft und lernt mit Fleiß und Ehrgeiz sehr schnell Deutsch. Die sechsjährige Tochter hat im Kindergarten so gut und zügig Deutsch gelernt, dass für den Schulstart im Sommer keine sprachlichen Schwierigkeiten mehr zu erwarten sind. Die Familie hat im Haus guten Kontakt zu den anderen Bewohnern und der gerade einjährige hier geborene Sohn kann jetzt laufen. Sauberkeit und Ordnung in diesem syrischen Haushalt mit drei kleinen Kindern lassen nichts zu wünschen übrig. Ich habe die syrische Küche kennen und schätzen gelernt und bin als Frau bei der Familie auch dann willkommen, wenn der Mann nicht zu Hause ist.

Des Weiteren freut es mich, dass die so unterschiedlichen Teilnehmer und Teilnehmerinnen in meinem freiwilligen Sprachkurs nebenbei auch lernen, respektvoll miteinander umzugehen. Inzwischen können sie sich einigermaßen alltagstauglich auf Deutsch verständigen. Mit Händen und Füßen habe ich von ihnen z.B. schon viel erzählt bekommen über die derzeitigen Lebensumstände im zerbombten Aleppo und von den ständigen Gräueltaten der Taliban in Afghanistan.
Dabei habe ich mal wieder erfahren, dass Integration am leichtesten im kleinen persönlichen Bereich stattfinden kann, und es dafür immer wieder offene Begegnungen braucht. Die schwierige deutsche Grammatik interessiert meine Schüler nur notgedrungen, wenn ich jedoch in einfachen Worten von meinem Leben in Deutschland und von meiner Familie erzähle, hören sie mit offenen Augen und Ohren zu. Und umgekehrt ist es genauso. Nach und nach lernen beide Seiten mit dem zu agieren, was schon geht. Realität und Vorstellung beginnen sich anzunähern, das Kennenlernen und Achten der anderen Kultur bahnt sich einen gemeinsamen Weg. Man bekommt eine erste Idee davon, wie die hier ankommenden Flüchtlinge aus den unterschiedlichen Heimatkulturen so denken und fühlen, und welchen Halt ihnen das Verbundensein mit ihrer Herkunftskultur und mit Menschen gleicher Volkszugehörigkeit bietet. Besonders deutlich wurde mir das in der Zeit des vergangenen Ramadan. 

Nebenbei habe ich auch bemerkt, dass in meinem eher noch flüchtlingsfernen örtlichen Bekanntenkreis mit großem Interesse das Engagement unserer örtlichen Flüchtlingsinitiative verfolgt wird. Durch das Erzählen darüber mag für manchen interessierten Zuhörer das Fremde der Flüchtlinge ein kleines bisschen weniger fremd und bedrohlich erscheinen. Und der eine und die andere fragen nach einer Weile, ob sie uns auf diese oder jene Weise ein bisschen unterstützen könnten.

Können wir das schaffen? Heißt die Frage nicht auch: Wollen wir das schaffen?

Inzwischen heißt es wohl auch schon: Wir müssen das schaffen! Wir im gemütlichen Westen haben zu lange nichts wissen wollen von der Not in anderen Teilen der Welt. Nun kommen diese Menschen aus Not zu uns, erst die Kriegsflüchtlinge und bald auch die Klimaflüchtlinge. Es wird nicht funktionieren, dass wir uns unsere Gemütlichkeit erhalten können während die Welt um uns brennt. Die Hoffnung, verschont zu werden, taugt nicht (Hilde Domin). Und noch etwas: Unser Volk hat sich im vergangenen Jahrhundert weltgeschichtlich gesehen nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Wären Pegida und Co nicht, ob es dann in diesem Ausmaß ein Engagement für die Flüchtlinge geben würde? Nun haben wir zumindest die Chance, es diesmal besser zu machen. Achtsam, gelassen und liebevoll kann man erste kleine Schritte versuchen im Bereich dessen, was gerade ist und was und wie´s gerade geht. Dazu wünsche ich uns Bereitschaft, Phantasie, Geduld, Ausdauer und Zuversicht.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2016

Ostern

Nach meinem Erleben waren dieses Jahr Karwoche und Ostern im Ashram eine besonders „runde” Sache. In der Feier der Osternacht am Samstag Abend erzählten Teilnehmende von Erfahrungen, auf Grund derer sie glauben: Erfahrungen, die notwendig etwas mit Auferstehung Jesu zu tun haben müssen, wenn es stimmt, dass ohne die Auferstehung Jesu der Glaube sinnlos ist, wie Paulus schreibt (1 Kor 15,7). Etliche vermittelten etwas von einem im Innersten der Person Angerührt-, Gemeint- und Bejaht-Sein, im Innersten, wo alles ungeschminkt so ist, wie es ist, – so wie der am Pfahl hängende und daher von Gott Verfluchte von Gott unbedingt bejaht wird, d.h. aufersteht.

Die Einsetzung der Eucharistie am Gründonnerstag deutet die Passion Jesu als ein Geschehen „für” die Jünger. Die Passion Jesu reißt die Jünger in ihre eigene Passion, in der ihre Illusionen über Jesus als politischen Messias, ihre Zukunftsperspektiven, ihre Selbstüberschätzung („und wenn ich mit dir sterben müsste – ich werde dich nie verleugnen” (Mk 14,31)) sterben. Rumi hat schon recht, wenn er Sterben als die Bedingung für Auferstehung ansieht. Die Jünger können Auferstehung Jesu nicht erfahren, ohne selbst „gestorben”, am Nullpunkt ihrer Existenz angekommen zu sein.

Doch darf diese Ermöglichung des Osterglaubens nicht als Zweck oder Ziel des Todes Jesu missverstanden werden. Eher kann man sagen: Jesus stirbt, wie er stirbt, „ohne (irdisches) Warum”. Das drücken die Synoptiker damit aus, dass Jesus im Gehorsam gegenüber dem Vater stirbt. Der Vater: das ist ja kein anderer als Jesus selbst, kein „Gott-Ding”, kein „Gegenüber” (Objekt). Der Vater ist Jesus (und auch uns) innerlicher als sein Innerstes, der geheimnisvolle Abgrund in ihm selbst, aus dem er lebt. Aus der Grundlosigkeit dieses Abgrunds zu leben, heißt lieben. „Jesus wusste, dass seine Stunde gekommen war, um aus dieser Welt zum Vater hinüberzugehen. Da er die Seinen, die in der Welt waren, liebte, erwies er ihnen seine Liebe bis zur Vollendung.” (Joh 13,1). So stirbt Jesus „ohne Grund” in Liebe, und stirbt gerade auf diese Weise für die Jünger, denen sein Tod ein Verstehen dessen ermöglicht, was vor allen Gründen und Zwecken liegt.

Zurück zur Übersicht

 

Alfons Gierse, März 2016

Kreative Hoffnungslosigkeit

Als Eheberater erlebe ich immer wieder, dass Paare vor mir sitzen, die miteinander in ein schier unauflösbares, wirres Knäuel von Streit und Konflikt verwoben sind. Sie halten zäh am Konflikt fest und lassen nicht locker, obwohl sie von sich sagen, dass es ihnen nicht gut geht und sie ihr Leben als unglücklich betrachten. Dazu wenden sie ganze Arsenale von Strategien an: Sie teilen Ereignisse und Aussagen ein in Kategorien von richtig und falsch, von gut und schlecht; jede Person beharrt auf ihrem Recht; es gibt eine ausgeprägte Tendenz zu begründen und zu rechtfertigen und einen Hang zu idealisieren und abzuwerten. Auf die Frage, ob diese Strategien ihnen hilfreich waren, um zufriedener und glücklicher zu werden ernte ich fast durchgehend ein Nein. Es ist kaum vorstellbar, warum das Paar dann einen Vorteil daraus ziehen sollte. Wozu also halten sie daran fest?

Vorwürfe und Streit halten Paare zusammen. Wenn nur einer von beiden einlenken würde, so die Hoffnung von beiden Seiten, wäre alles gut. Hinter dem Konflikt versteckt sich also ein Ideal von Harmonie, Gemeinsamkeit und Gegenseitigkeit. Wenn nur wieder alles so wäre wie früher. Würde auch nur einer von beiden die Idee aufgeben, den Partner zur Änderung zu bewegen, würde all die Wut und Bitterkeit ins Leere laufen. Das aber schafft Verunsicherung und Angst.

Die Hoffnung ist an dieser Stelle Teil des Problems und nicht der Lösung. Auch die Emmausjünger drücken auf dieser Ebene ihre Hoffnung aus: „Wir dachten, das er – Jesus – Israel erlösen würde”. Dabei hatten sie möglicherweise ihr Ideal von Erlösung vor Augen, nämlich die Wiederherstellung des Reiches Israel in seiner weltlichen Macht und Herrlichkeit. Innerhalb dieser Sicht auf die Dinge bleibt nur das Scheitern, bleibt Jesus im Grab, abgeschlossen vom Leben durch einen schweren Verschlussstein.

Aber die Emmausjünger gehen einen Schritt weiter. Sie reden über all das miteinander, was sich ereignet hatte. Sie tauschen ihre Geschichten aus und befragen sich gegenseitig. So aber bringen sie sich innerlich in Kontakt mit dem, der ihnen wirklich wichtig war im Leben und der sie tief im Herzen berührt und bewegt hatte. Wo sie das Leiden des Messias als Teil seiner Lebenswirklichkeit begreifen lernen und offen werden dafür, ihre Verzweiflung und Trauer und ihre Angst zu spüren und da sein zu lassen, öffnet sich eine neue Lebensperspektive: kreative Hoffnungslosigkeit als der innere Ort, an dem ich meine eigenen Vorstellungen vom Leben loslasse und das annehme, was ist.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Januar 2016

Der spirituelle Weg

Im März wird mein Buch "Der spirituelle Weg. Eine christlich-interreligiöse Lebensschule" bei Echter erscheinen. Ich möchte Euch hier einen kleinen Einblick in den Inhalt geben. Er besteht aus folgenden Kapiteln:

I. Die zweite Bekehrung
II. Der Schritt auf dem spirituellen Weg

  1. Von außen nach innen - erstes Moment des spirituellen Schrittes
  2. In die Tiefe – zweites Moment des spirituellen Schrittes
  3. In der Tiefe
  4. Von innen nach außen – drittes Moment des Schrittes auf dem spirituellen Weg

III. Der spirituelle Schritt und das Evangelium
IV. Der Weg
V. Ashram Jesu

Das erste Kapitel schildert die Geburtsstunde des Ashram Jesu am Ganges. Das zweite ist das Hauptkapitel: es stellt den spirituellen Schritt als eine kreisförmige Bewegung dar, die "außen" beginnt, bei den Begegnungen und Begebenheiten des Lebens, aktuellen und biografischen, auf deren Nachhall im Inneren es dann, zweitens, zu lauschen gilt: auf die inneren Bewegungen also, die jene auslösen, auf Gefühle, Gedanken, Wünsche. Diese Wendung nach Innen, vor allem aber das Durchleben des Ausgelösten, stellen eine wahre Herausforderung dar. Sie bedeutet nämlich, sein Leben nicht vor allem mit Ablenkungen und vermeidenden Zerstreuungen zu leben, sondern im Bewusstsein der eigenen Wirklichkeit: wie es wahrhaft um einen jetzt und hier bestellt ist. Solche Annahme der eigenen Wahrheit disponiert dafür, dass in der Tiefe so etwas wie ein Durchbruch geschehen kann: die eigene Lebensgrundlage in ihrer bisherigen Form stirbt, sie bricht; der so Getroffene fällt in die Tiefe und verspürt in seinem Sturz eine ihm begegnende, ihn unbedingt haltende und zu sich selbst befreiende personale Kraft. Deren nüchtern lassende Offenbarung ist von solcher Art, dass der Stürzende sie spontan bejaht und mächtig das Leben bei ihr und in ihr ersehnt. Verbunden mit dieser Erfahrung ist eine Sendung nach außen, eine Aufgabe, eine Entscheidung, ein Verhalten, was immer, in dessen Ausführung etwas von der mitgeteilten Liebe, Freude, Ruhe und Wesentlichkeit in die Welt getragen wird.

Während das zweite Kapitel darlegt, dass ein so verstandener spiritueller Schritt auch im Sufismus, im Buddhismus und Hinduismus zu finden ist, zeigt das dritte Kapitel, wie sehr dieser spirituelle Schritt dem Evangelium entspricht und insbesondere bei christlichen Mystikern zu finden ist. Das vierte Kapitel sieht im Lernen von Beziehung und im Annehmen von Enttäuschungen die wesentlichen Stationen, um in Geduld und Vertrauen immer mehr aus der Quelle des Lebens und der Liebe leben zu können. Und das letzte Kapitel beschreibt, wie der spirituelle Schritt in einer Grundübung im Ashram Jesu verwirklicht ist.

Das alles ist nicht meine Erfindung, sondern ein Fazit meiner Lebens- und Glaubenserfahrung, die deshalb auch immer wieder zur Sprache kommt, um das Geschilderte zu illustrieren.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2015

Lotus und Kreuz

Lotos und Kreuz sind Symbole für das Buddhistische resp. Christliche. Der Lotos, die einzige Gattung einer Pflanzenfamilie und damit einzigartig, liegt in seiner schlichten, reinen Schönheit auf dem Wasser. Das Wasser benetzt ihn, doch perlt es von ihm ab, so dass die Blätter des Lotos stets sauber bleiben. Er symbolisiert damit die Weise, wie der Erleuchtete durchs Leben geht: erhaben thront er auf den Wassern des Lebens und Leidens, die an ihm abperlen. So passt der Lotos gut in unsere Wohnzimmer, – solange zumindest, bis man sich daran erinnert, dass seine Wurzeln im Sumpf stecken: ein Sumpf, den die Pflanze weder verlassen noch trockenlegen kann; den sie braucht, um leben und ihre ganze Schönheit entfalten zu können; ein Sumpf, in den sie immer mehr hineingehen muss, um zu wachsen und zu gedeihen.

Diesen zweiten Gedanken bringt das Kreuz radikal zum Ausdruck: der Sumpf des Lebens, das Durchkreuzende, wo es einfach nicht klappt, wie man es sich wünscht oder vorstellt; wo Durststrecken und Belastungen zu bewältigen sind; wo Störungen hinzunehmen sind, seien sie familiärer, beruflicher oder politischer Art. Das Kreuz ist das „X” im Leben, das uns letztlich mit dem Tod konfrontiert. Und wie beim Lotos, der nur im Sumpf blühen kann, lautet auch die Aufforderung des Kreuzes (Christi), das Störende zunächst einmal zuzulassen und daseinzulassen; m.a.W.: es zu hören – nicht nur in Form eines Registrierens, sondern so, dass das Störende im Bewusstsein anwesen und das Alltagsleben begleiten darf: so lernt man es kennen, – nur so. Das Durchleben der Spannung ermöglicht Unterscheidung: der Horizont öffnet sich auf das Ganze hin und man findet seine Wahrheit und seine Verantwortung hier und jetzt heraus; so integriert sich die Botschaft des Störenden ins gelebte Leben – und führt dessen Blüte neuen Saft zu.

Soweit haben Buddhismus und Christentum also ähnliche Intuitionen. Doch was entspricht der Schönheit und Erhabenheit der Lotosblüte im Christlichen? Dem Symbol des Kreuzes mangelt jeder Anhaltspunkt für die als Frucht eines durchgetragenen Kreuzes bisweilen im Leib erfahrbare Einfachheit und Integriertheit und Gegründetheit und Freude des Erlösten. Oft genug bleiben solche Wirkungen auch aus, kein Lotos blüht, sondern zeitlebens bleiben Traumatisierung, Sinnlosigkeit und Untergang. Das das Christliche symbolisierende Kreuz verspricht keine innerweltliche Blüte. Und dennoch: Das Christliche könnte nicht ein Marterinstrument wie das Kreuz als Symbol der Erlösung ansehen, wenn aus dem Annehmen des Kreuzes im Alltag allein Untergang erwüchse. Die Botschaft des Kreuzes als Symbol ist, dass seine Erlösung und sein Heil gerade nicht abbildbar sind, da sie zwar real und erfahrbar, doch anders wirklich „sind” als alles, was wir als unsere Welt kennen. Karl Rahner sprach in diesem Zusammenhang immer wieder vom Sturz in den dunklen Abgrund, der das unbegreifliche Geheimnis Gottes „ist”.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, August 2015

Flüchtlinge

In diesem Jahr sind die Flüchtlinge, die zu uns kommen, ein dominantes Thema in der Öffentlichkeit. Die Aufgabe, mit ihnen umzugehen, wird vermutlich lange Thema bleiben, da die politischen und wirtschaftlichen Fluchtgründe in Afrika, dem Orient und vielen anderen Teilen der Welt fortbestehen, und die Aufnahme hier, in Europa, nicht selbstverständlich ist. Das waren Aufnahme und freundlicher Umgang mit Fremden nie. Auch in der Bibel kommt dieses Thema vor, keineswegs nur am Rande. Und die Bibel bezieht eine sehr klare Position. So heißt es beispielsweise in der Tora: „Wenn bei dir ein Fremder in eurem Land lebt, sollt ihr ihn nicht unterdrücken. Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich bin der Herr, euer Gott.” ( Lev 19, 33-34)

Der Tenor der Bibel Fremden, Armen und Flüchtlingen gegenüber ist durchweg freundlich. Erstaunlich ist jedoch, dass hier und an etlichen weiteren Stellen die Fremden nicht nur als Einwohner zweiter Klasse geduldet, sondern Einheimischen gleichgestellt, ja geliebt werden sollen, wie man sich selbst und seine Nächsten liebt. Eine Unterscheidung zwischen politisch Verfolgten und Armutsflüchtlingen, die die Bibel durchaus kennt, wird hier übrigens nicht getroffen: es ist einfach vom „Fremden” die Rede. An anderen Stellen erscheint der Umgang mit den Fremden und Schwachen als Maß für die Humanität der Gesellschaft (z.B. Sach 7, 9-11) bzw. wendet sich deren Inhumanität schließlich gegen diese selbst (Weish 19, 13f). Zur Begründung verweist der Text auf den Aufenthalt der eigenen Vorfahren in der Fremde: Ägypten, zunächst Ort der Rettung vor Hungersnot, wird allmählich zum Ort wachsender wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung, bis die Enkel sich entschließen müssen, die „Fleischtöpfe Ägyptens” zurückzulassen und zu fliehen. Das Durchleben dieses Exodus ermöglichte den Hebräern eine Erfahrung, die für sie als Nation und für die Ordnung ihres Zusammenlebens von überwältigender Bedeutung war: die Erfahrung eines Gottes, der da ist und wirkt.

Wir dürfen nicht vergessen, dass auch aus Europa Menschen vor Hunger, politischer oder religiöser Verfolgung fliehen mussten und dass auch wir nur Fremde und Gäste sind in dieser Welt. Deswegen mahnt Petrus: „Gebt den irdischen Begierden nicht nach, die gegen die Seele kämpfen.” (1 Petr. 2,11). Ein solcher Widerstand wäre bitter nötig: Inzwischen sind wir eine der reichsten Regionen der Welt, die überproportional globale Ressourcen (Energie, Bodenschätze, Umwelt, Klima) verzehrt. Doch scheinen Besitzstandswahrung und Profitmaximierung allgemeines Gesetz zu sein. Ja, Gier macht unsere wahre Welt aus, die hinter den Fassaden unser Leben bestimmt. Sie veranlasst zu einem erbarmungslosen Umgang miteinander; man steht in Gefahr, andere für seine Zwecke auszunutzen – „und alle verlieren ihre Seele”, ihre Humanität, ihren Frieden.

Und da sind nun die Flüchtlinge mit ihrer Erfahrung, alles zurückzulassen. Natürlich haben sie Angst und Not erlebt, etliche sind traumatisiert. Doch vielleicht können manche anderes erzählen als nur den Schrecken. Vielleicht ist manchen, wie den Hebräern auf ihrer Flucht, etwas von Sinn und Hoffnung aufgeleuchtet, von einem realen, präsenten Gott. Den kann man nicht kaufen. So könnten sie uns eine Perspektive geben, die mehr ist als Wachstum und das Weitermachen im Hamsterrad der Gier, der Erschöpfung und des Sinnverlustes.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juli 2015

Sich selbst sein lassen

In diesen Tagen erinnern mich die abgemähten Kornfelder mit dem noch auf ihnen befindlichen Stroh an eine grund-legende Erfahrung während meiner großen Exerzitien vor einigen Jahren: Während dieser vierwöchigen Intensiv-Zeit war viel mit und in mir geschehen, doch erlebte ich gleichzeitig Phasen der Unzufriedenheit, in denen ich diese positive Entwicklung überhaupt nicht sehen und schon gar nicht würdigen konnte.

Der Grund dafür erschloss sich mir erst spät: aus meiner theoretischen Kenntnis des Exerzitien-Prozesses heraus hatte ich mir – klammheimlich und mir selbst kaum bewusst – eine klare Zielvorstellung für diese Zeit entwickelt, hinter der ich jedoch hoffnungslos zurück blieb. Je mehr sich dies abzeichnete und die Zeit dahin ging, um so mehr wuchsen Unruhe, Anstrengung und Frustration. Gefangen in meiner eigenen Vorstellung, rannte ich dem vermeintlichen Ziel hinterher, um es sozusagen auf den letzten Metern doch noch irgendwie zu „schaffen” – aber vergeblich!

An einem der letzten Exerzitientage – es war sehr heiß – absolvierte ich meinen täglichen Spaziergang durch die Felder. Besser gesagt, ich schleppte mich matt und enttäuscht durch die Gegend und konnte kaum einen Fuß vor den anderen setzen. Als schließlich gar nichts mehr ging, ließ ich mich mit einem aufseufzenden „Schluss jetzt!” ermattet ins trockene Stroh am Feldrand sinken. Ich wollte und konnte nicht mehr: weder spazieren gehen, viel weniger aber noch meinem selbst konstruierten Ziel weiter nachlaufen. Müde und resigniert lag ich da, keine Ahnung, wie lange. Es war auch egal, da die „Schlacht” ohnehin verloren und ich mit meinen Vorstellungen gescheitert war. In diesem Moment der Kapitulation begann sich unmerklich etwas zu verändern. Die Fixierung auf die eigene Ziel-Vorstellung, die meinen Blick getrübt und meine Wahrnehmung total eingeschränkt hatte, lassend, kam ich langsam wieder in Kontakt mit mir selbst und meiner Umgebung: Ich lag im Feld – und nahm den Duft des Strohs wahr; ich lag am Boden – und merkte, dass er mich trug; ich lag in der Sonne – und spürte ihre Kraft und Wärme; ich lag einfach da – und musste nirgendwo ankommen; nichts fehlte, alles war da. Für einen wahrhaft gnadenhaften Moment konnte ich mich einfach sein lassen, wie ich war. Statt einem Idealbild genügen zu müssen, konnte ich mir gestatten, meine Wirklichkeit hier und jetzt wahrzunehmen, meinen Weg in meinem Tempo zu gehen und empfand eine unerklärliche, leise Freude daran, mich selbst sein zu lassen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Juni 2015

Bei den Dingen, nicht in den Dingen

Wer in jüngerer Zeit im Ashram gewesen ist, wird gestutzt haben, als er auf dem Dienste-Plan mehrmals täglich Karma Yoga zu lesen bekam, wo früher einfach „Arbeiten” stand. Karma Yoga ist Yoga des Handelns, Einheit mit sich selbst und Gott im Handeln, im Tun, durch die Arbeit, – freilich nur dann, wenn die Arbeit „das Anhaften aufgegeben habend” (Bhagavadgita II,48) getan wird.

Im entschleunigten und achtsamen Milieu des Ashram hat man gute Chancen zu merken, was einen beim Arbeiten alles bewegt: nämlich nicht nur Motive, die sich auf die Sache, sondern auch solche, die sich auf die Person des Arbeitenden beziehen, und letztere sind die interessanteren: So kann ein Gast beim Karma Yoga merken, dass er sich mehr als nötig anstrengt, – weil er seine Sache so gut machen will, dass andere es sehen und ihn loben. Oder er strengt sich an, weil er es auf einen Kick durch Leistung abgesehen hat. Eine andere Person mogelt sich an der Arbeit vorbei oder pfuscht; sie schmeckt ihr nicht und sie weicht vor der Unannehmlichkeit zurück. Ein dritter kommt nicht voran, weil sein Perfektionismus ihn gefangenhält. Oft ist es weniger die Sache selbst, die einen müde macht und unfrei, sondern solche persönlichen Motive, mit denen der Arbeitende an der Sache haftet. Diese „Anhaftung” – so die Bhagavadgita –verhindert, im Arbeiten mit sich und Gott in Frieden zu sein.

Ähnliche Gedanken finden sich auch im Christlichen: Meister Eckhart spricht davon, im Arbeiten und in Beziehungen bei – nicht in – den Dingen (und Personen) zu stehen und meint damit, sich nicht in die Dynamiken verstricken zu lassen, die diese in der Person zu entfesseln vermögen, sondern ein wenig Abstand zu halten, damit die innere Freiheit allzeit gewahrt werden kann; dass der Arbeitende Subjekt der Arbeit bleibt, fähig zu Abstand und in der Lage zu erkennen, wenn er sich verrennt und erschöpft oder dabei ist, Gewalt anzuwenden oder zu betrügen usw.. Von Ignatius, dem Gründer der Jesuiten, stammt der paradoxe Sinnspruch: bete, als ob alles von dir abhängt; arbeite, als ob alles von Gott abhängt. Gemeint ist, dass der Mensch sich alle Mühe geben soll, im Gebet den Willen Gottes zu erkennen, also ausfindig zu machen, was er zu tun hat, und wie es zu tun ist. Da aber der Erfolg dieses Tuns von Gott abhängt, kann er bei der Ausführung gelassen bleiben und frei von allen möglichen Antreibern.

Die globalisierte Welt befindet sich allerdings auf einem anderen Weg. Da steht man in den Dingen; Selbstausbeutung wird zur Lust erhoben, 24-Stunden-Erreichbarkeit verleiht einem Bedeutung, alles muss stets schneller und effizienter gehen. Nachdenken wird so unmöglich und Arbeiten in innerer Einheit und Freiheit auch. Gleichzeitg steigt die Zahl derjenigen, die ihren Alltag nur noch mit Psychopharmaka bewältigen können. Es macht mir Sorgen, wohin diese Entwicklung führt.

Ich schreibe Euch diese Gedanken zur Zeit des Jahresurlaubs. Er ist eine Chance, wieder „runter” zu kommen, „aus den Dingen” heraus, in den rechten Abstand zu ihnen. Im Alltag ist unsere Ashram-Methode des Innehaltens so etwas wie der tägliche Urlaub, der die Chance eröffnet, sich „bei den Dingen” aufzuhalten und seine innere Freiheit ihnen gegenüber zu wahren: Wäre es nicht ein erwägenswerter Gedanke, dies ab und an auch im Urlaub zu praktizieren und dann im Alltag damit weiterzumachen?

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2015

Gebet

Immer mal wieder stolpern unsere Gäste darüber, dass wir zwar ein Tischgebet haben, in den Schriftbetrachtungen über Gott oder Jesus sprechen, dass Gott, Christus,… jedoch in der Meditation selbst nicht explizit vorkommen, nicht angesprochen werden. Wenn das befremdet, ist es gut, vor allem, wenn das Befremden zum Gegenstand der Meditation wird und Fragen an sich selbst veranlasst: was einem dabei fehlt, welche eigene Erwartung enttäuscht wird, was das überhaupt für eine Person ist, an die man sich wendet, wenn man sich an Gott wendet. Das Bild von Gott, mit dem man es dabei zu tun hat, hat projektive Anteile. Oft soll mein Gott sich verhalten entsprechend der eigenen Vorstellungen von idealen Eltern. Das Problem besteht nicht nur darin, dass der wahre, transzendente Gott solche Erwartungen an sein Bild in seiner Über-Güte immer wieder enttäuschen muss, sondern auch in der reziproken Rollenzuschreibung an mich selbst: meinem Gottesbild – dem idealen Elternteil – steht umgekehrt auch ein illusionäres Selbstbild – z.B. des idealen Kindes – gegenüber, das sich Ansprüchen ausgesetzt sieht und vor ihnen versagt, die nicht vom wahren Gott kommen, und außerdem in einer Infantilität gefangen ist, die der wahre Gott nicht will.

Der Schmerz über das Verlieren des eigenen Gottesbildes, das sich auf dem Weg der Meditation zu ereignen beginnt, weicht bald einem Gefühl der Befreiung und Dankbarkeit. In der Tat mahnt die Schrift: „Du sollst dir kein Gottesbild machen.” (Dtn 4, 23)

Positiv reift das Gebet vom Sprechen mit Gott über ein Schweigen zum Hören auf Gott, dessen Wille auf dem Feld der eigenen inneren Bewegungen erkannt wird, indem diese zugelassen, angenommen und unterschieden werden. Da es gilt, auch mit denjenigen auszuhalten, die unerwünscht, störend, „kreuzigend” sind, wird dabei das eigene Herz gereinigt. Es sind „die Menschen reinen Herzens, die Gott schauen…” . Da diese Herzensreinigung als das Wesentliche sich von selbst ereignet, – der eigene Teil ist das Zustimmen zu diesem Prozess, das Aushalten, – kann das Gebet immer passiver werden. Mehr und mehr wird es zu einem Loslassen, Geschehenlassen, Sich Übergeben. Der Beter im Ashram sitzt vor Gott und entsagt mehr und mehr den eigenen Erwartungen und der Suche nach Befriedigung im Gebet, z.B. auch der, vor Gott sein Herz auszuschütten. Wozu auch? Was könnte er Gott sagen, was dieser nicht weiß? Der Beter im Ashram lässt alle eigene Aktivität, damit, was geschieht, nicht von ihm stamme. Was sich einstellt, ist Nichts, eine unsagbare, nüchterne und einfache Erfüllung.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2015

Die drei Heiligen Tage

Gründonnerstag ist die Deutung der Passion durch Jesus selbst: er gibt sich in den Tod, damit die Vielen begreifen, dass das Durchleben der guten und der schlechten Stunden und das Tun des Gesollten bis zur Annahme des Todes der Weg zu ewigem Leben ist. So stirbt er aus Liebe für uns Menschen. Diese Grund legende Wahrheit ist uns in der Messe aufbewahrt.

Karfreitag ist die Vergegenwärtigung des Sterbens Jesu in Liebe und Würde, – und Vergegenwärtigung der vielen Kreuze, die Menschen tragen.
Ostern ist als existentieller Prozess der Jünger zu verstehen, in dem Jesus ihnen als Auferstandener erscheint. Insbesondere das Markusevangelium schildert immer wieder, dass die Jünger Jesus nicht wirklich verstehen konnten, solange er noch mit ihnen wanderte. Nun stirbt er am Kreuz, und damit verlieren sie nicht nur seine Nähe, sondern auch ihre Vorstellungen von Jesus zerbersten. Damit sind sie mitten in ihrer Passion angelangt, die für sie den Boden bereitet, die Auferstehung, die Jesus verheißen hat und der Engel im Grab verkündet, in Leben und Sterben, in der Person Jesu und ihrem Wirken entdecken zu können.

Und tatsächlich widerfährt ihnen die Erkenntnis des „göttlichen Glanzes auf dem Antlitz Jesu” (2 Kor 4,6), für den sie zu Lebzeiten Jesu blind waren. Hier schließt sich der Kreis zum Gründonnerstag: die Erkenntnis Jesu als Auferstandenem ist nur möglich in einem existentiellen Prozess, der einen mit dem Tod konfrontiert. Nur darin wird das menschliche Herz von seiner Verstocktheit so geheilt, dass die Augen des Menschen wirklich beginnen zu sehen und seine Ohren wirklich hören und verstehen. Das ist die Chance, die in den schwierigen Zeiten des Lebens liegt, – wenn man sich ihnen stellt. Jesus als Auferstandenen zu erkennen bedeutet zugleich, sich selbst als Kind Gottes zu erfahren.

Das lese ich aus dem Osterevangelium, wenn man es weniger als Auferstehungslegende ansieht, sondern als Verkündigung des Weges zur Disposition für eine Ostererfahrung der Gläubigen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2015

Standhalten lernen

Der Kern der Lebens- und Meditationsweise im Ashram Jesu besteht im Standhalten bei dem, was ist, sei es angenehm oder unangenehm. Doch stoße ich immer wieder darauf, dass dieser Kern sich nicht leicht erschließt. Das ist nicht verwunderlich; ist er doch dem üblichen Verhalten entgegengesetzt.

Wenn uns etwas aufregt, positiv oder negativ, geraten wir in Spannung, und sofort entsteht der Wunsch, die Spannung möge sich auflösen, erst recht, wenn sie mit Gefahr und Angst verbunden ist. Wie alle Säugetiere fliehen auch wir dann oder greifen an (oder, wenn gar nichts mehr hilft, stellen wir uns tot und machen uns fühllos).

Standhalten heisst nun, bei der Spannung und ihrer Ursache, jedenfalls bei dem, was ist, in Sichtweite stehen zu bleiben; also weder aus der Gefahr zu fliehen, z.B. durch Ablenkung (beim Sitzen: indem man sich auf etwas anderes konzentriert oder die Meditation abbricht), noch anzugreifen, durch irgendwelche Aktionen die Ursachen der Spannung wegzuschaffen (beim Sitzen: durch ein wenig Herumzappeln oder Nachdenken über die Situation). Bei der Spannung stehen zu bleiben heißt, nahe genug dran sein, um sie zu spüren und damit auch die Gefühle, die sie auslöst: ich habe dann Angst oder Freude oder Wut, bin aber nicht damit identifiziert , gehe nicht darin auf oder unter, himmelhoch zu jauchzen oder zu Tode betrübt von den Gefühlen überschwemmt zu werden. Die Spannung ist dann zwar ein Teil der Person, sie hat sie, aber sie ist nicht ganz und gar diese Spannung.

Zu realisieren ist ein solches Standhalten in der Weise, wie im Ashram Meditation geübt wird, nämlich durch Verweilen in der Wahrnehmung: der Meditierende nimmt die Spannung wahr, er spürt sie. Insofern er aber im Wahrnehmen verweilt, steht er der Spannung, dem Objekt seiner Wahrnehmung, als wahrnehmendes Subjekt gegenüber: er spürt sie, aber er ist sie nicht.

Der Buddhismus lehrt, bei der Meditation gleichermaßen Angenehmes wie Unangenehmes auszuhalten. Das Evangelium spricht von „Selbstverleugnung und Kreuztragen” und meint damit nicht den Alltag des Hörens, in dem das Leben gelebt werden soll.

Das ist ein langer Weg. Auch die Jünger im Evangelium müssen ihn erst lernen. Dabei genügt guter Wille allein nicht: die Festnahme Jesu schwemmte die Jünger einfach hinweg, entgegen ihrem festen Vorsatz; sie mussten fliehen.

Wieso das Standhalten gelernt werden soll? Lernt man es nicht, dann wird das eigene Leben immer mehr von Angst beherrscht und die Straße, auf der es einhergeht, immer enger, bis sie an einer undurchdringbaren Wand endet. Das ist aber zugleich die Lernchance schlechthin für denjenigen, der sich seiner Vermeidungsstrategien bewusst ist. Denn nun, an der Wand, wo die bisherigen Strategien offenkundig gescheitert sind, bleibt ihm noch das Standhalten, das er bisher gescheut hat. Nutzt er diese Chance, wird er merken: nicht alles, was die eigenen Vorstellungen enttäuscht, ist schlecht; nicht in allem, wo Tod draufsteht, ist tatsächlich Tod drin, sondern das wahre Leben.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Januar 2015

Beheimatung in sich selbst

Die Welt hat in den letzten Wochen den Atem angehalten wegen der islamistischen Anschläge in Paris und weltweit – und ich halte ihn weiterhin an, wenn ich an die Ukraine, an Griechenland, an den ausbleibenden Aufschwung in Europa denke. Europa möchte größtmögliche Freiheit in Sicherheit und Wohlstand. Wie gelingt es jedoch, dass schwer erträgliche Meinungen stehen gelassen werden können, ohne dass diejenigen, die sie schwer ertragen, sich rächen wollen und gewalttätig werden? Ich kann es mir nicht anders vorstellen, als so, dass die Beheimatung in sich selbst wächst: in diesem Fall würden sich außerdem äußere Werte wie Wohlstand, Karriere usw. relativieren; dann käme man dahin, „zu haben, als habe man nicht”; die Beheimatung in sich selbst ist ein starker Motor, seiner Verantwortung zu entsprechen, da andernfalls der innere Frieden gestört ist. In Bezug darauf und in Bezug auf die Kenntnis anderer Religionen hat der Ashram Jesu eine wichtige Aufgabe.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2014

Weihnachten

Im letzten Newsletter hatte ich dazu eingeladen, im Advent eine "virtuelle" Meditationsgemeinschaft zu bilden. Fünfzig Personen sind dieser Idee gefolgt. Das hat mich gefreut. Ich selbst habe es als etwas Besonderes empfunden, zu Beginn meiner Meditation jeweils einige Personen aus dieser Gemeinschaft in Muße und Ruhe vor mir gegenwärtig werden zu lassen und mich mit ihnen zu verbinden.
Bis Weihnachten besteht diese Gemeinschaft noch.

Weihnachten: bei den ein oder zwei "Ausbrüchen" vom Schreibtisch, die ich im Advent unternehmen musste, habe ich festgestellt, dass die Weihnachtsmärkte immer ausladender werden und nun auch an romantischen Stellen stattfinden: in einer Burgruine, bei einem Kloster, um eine Waldschänke , – und die Tannen immer aufwändiger und kostbarer geziert werden. Das ist schön, doch Weihnachten wird es dadurch noch nicht. Weihnachten kann es werden, wenn wir die Sehnsucht spüren, die unser ganzes Leben durchdringt, und ihre Unerfülltheit jetzt. Mit der Arbeit an der Erfüllung unserer Wünsche und Vorstellungen befinden wir uns in der Stadt Bethlehem, um mit der Weihnachtsgeschichte (Lk 2, 1-20) zu sprechen. Maria und Josef stellten sich vor, dort Herberge zu finden und suchten danach. Da aber innerhalb der Stadt kein Bewusstsein ist für jene Sehnsucht, und schon gar nicht für ihre Unerfülltheit, gibt es keinen Platz für Jesus. Er kann dort nicht geboren werden. Er wird draußen vor der Stadt geboren, in der Nacht, auf freiem Gelände. Hier hat die Unerfülltheit unserer Sehnsucht ihr Zuhause, der Sehnsucht, die hinter all unserem Streben steht. Verspüren wir jedoch diese Unerfülltheit und zugleich die Sehnsucht, – was den Schmerz zunächst tiefer macht, – sind wir wie die Hirten, die "nachts auf dem Feld wachen". Sie erleben das Licht der Engel, vernehmen ihre Botschaft und finden in sich selbst das göttliche Neugeborene, den Anfang neuen, göttlichen Lebens.

Wir leben in Städten. Doch nicht nur an unserem eigenen Leben, auch am Zustand der Welt ist die Unerfülltheit jener Sehnsucht abzulesen, die wir als Menschen zutiefst in unserem Herzen tragen, und die all unser Machen und Getue nicht erfüllen kann. In diesem Sinn wünsche ich Euch allen, dass der Erlöser in Euch selbst geboren wird. Dann wird das neue Jahr gesegnet sein.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, November 2014

Virtuelle Meditationsgemeinschaft

Wer, wie ich, sich dieser Tage in ein Kaufhaus verirrt, merkt schon unterm Eingang, dass Weihnachten und der Jahreswechsel nicht mehr fern sind.

Den Jahreswechsel kann man auch im Ashram Jesu begehen, d.h. in Stille, mit den üblichen vier Meditationen und viel Luft für einen selbst, um spazierenzugehen, sich auszuruhen und/oder sich mit den Anregungen zu beschäftigen, die es im Ashram gibt. Wir bieten jedes Jahr zwei auch kombinierbare Kurse vom 28. Dezember bis zum 01. Januar und vom 01. Januar bis 5. oder 6. Januar an.

Das Weihnachtsfest möchte ich zum Anlass nehmen, allen zu danken, die den Ashram Jesu in diesem Jahr unterstützt haben, ob ideell und/oder materiell. In besonderer Weise gilt mein Dank den Mitgliedern des Unterstützer*innenkreises, die uns durch ihre Spendenzusage eine Berechenbarkeit der Einnahmen und damit eine gewisse Sicherheit ermöglichen. Die Unterstützer*innen möchte ich schon jetzt zum Wochenende über Pfingsten (23. - 25. Mai 2015) einladen.

Wer Weihnachten zum Anlass nimmt, über seine Spendenpraxis nachzudenken, den bitte ich, auch einen Beitritt zum Unterstützer*innenkreis des Ashram Jesu zu erwägen (Flyer). Da meine Kräfte mit den Aufgaben im Ashram nicht mitwachsen, kann ich fortan keine Kursverpflichtungen außerhalb mehr eingehen. Die Honorare aus solchen externen Kursen haben die Jesuiten großzügig dem Ashram überlassen, dem sie nun verloren gehen.

Nun steht also der Advent vor der Tür, eine Zeit des Innehaltens. Ich freue mich darauf. Ich werde an meinem Buch arbeiten, damit es 2016 erscheinen kann. Da das um so besser geht, je mehr ich im Kontakt mit meiner Tiefe lebe, in welcher die Dinge sich zeigen, wie sie wirklich sind, bin ich zum Meditieren geradezu "gezwungen". Um die Zeit und Ruhe dafür zu haben, will ich meine wenigen Weihnachtsgeschenke noch im November besorgen. Die Vorbereitung der Weihnachtstage selbst braucht im Ashram nicht viel Aufwand. Wollt nicht auch Ihr das Geschäftliche und Geschäftige in die Schranken verweisen, um den Advent besinnlicher gestalten und im Advent täglich meditieren zu können? Wir könnten doch eine Meditationsgemeinschaft im Advent bilden, jeder an seinem Ort, doch voneinander wissend, dass wir der Stille und dem Innehalten bewusst Raum geben. Wenn Ihr mir eine E-Mail schickt , werde ich Euer gedenken, und, wenn Ihr mir das erlaubt, Euren Namen an alle anderen zu gegenseitigem Gedenken weitergeben, die sich beteiligen und mir ebenfalls ihre Namen mailen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, September 2014

Zwei Welten

Deutlicher als je zuvor ist mir bei den Schriftbetrachtungen in den letzten Grundübungen die Existenz zweier Welten aufgegangen: Die erste Welt ist die uns selbstverständliche, in der wir unser tägliches Leben vollziehen. Es ist die gesellschaftlich konstruierte, inzwischen globalisierte Welt. Ihre Werte, ihre Kultur, ihre Normen und Regeln bestimmen unseren Lebensalltag: Machen und Gebrauchen der Dinge, Sich-Absichern – und von allem immer mehr. Hin und wieder erleben die Bürger dieser Welt etwas wie eine "Gipfelerfahrung": unbedingte Annahme ihrer selbst und Eröffnung des Seins auf seine Tiefe und Mitte hin. Liebe, Bescheidenheit, Freundlichkeit, … teilen sich mit. Und das eigene Herz bejaht erfüllt, was es erlebt. Doch verblassen solche Gipfelerfahrungen auch wieder im Tal des von Haben-Wollen und Gewalt geprägten Alltags. Sie sind seltene und tröstliche Momente, sie sind auch Indizien und Einladungen einer anderen Welt, die ebenso gegeben, dauerhaft und präsent ist.

Das tibetanische Totenbuch sieht diese als die ursprüngliche Welt an:"Erinnere dich an das klare Licht, das reine, klare, weiße Licht, von dem alles im Universum abstammt, zu dem alles im Universum zurückkehrt, die ur¬sprüngliche Natur deines eigenen Geistes. Der ur¬sprüngliche Zustand des nicht-manifestierten Univer¬sums. Ergib dich dem klaren Licht, vertraue ihm, ver¬schmelze mit ihm. Es ist deine eigene wahre Natur, dein Zuhause. … Die Visionen, die du hast, sind Ausge¬burten deines eigenen Bewusstseins."
Die globalisierte Alltagswelt, die durch unsere Wahrnehmungen und Gedanken ("Visionen") konstituiert wird, ist demnach lediglich Ausgeburt unseres eigenen Bewusstseins, von der man sich "nicht in Bann ziehen lassen sollte", wie es dort weiter heißt. Nicht dass sie nicht real wäre, doch ist die Welt des "reinen, klaren, weißen Lichtes" in höherem Sinne wirklich, da ursprünglicher und unzerstörbar.

Auch das Evangelium kennt zwei Welten: die eine ist schlicht "die Welt", gefangen in Sünde. Die andere ist das Reich Gottes. Es ist erlöste Schöpfung. Das Universum wird ja nicht dadurch zur Schöpfung, dass der Schöpfer den Urknall zündet, sondern so, dass er allen Dingen einwohnt: von ihm empfangen sie fortwährend ihr Dasein und Sosein, statt es egoman zu produzieren. Und erlöst ist die Schöpfung, wenn die Geschöpfe dieses Sich-Verdanken je nach ihrer Art vollziehen. "In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Wir sind von Gottes Art." (Apg 17). Die Versöhntheit im eigenen Herzen, die dies bedeutet, äußert sich in der Versöhnung mit allen Wesen.

Wieso ich Euch das mitteile? Weil mich schon lange Zustand und Perspektiven der "Welt" Schlimmes befürchten lassen. Die in der Alltagswelt nicht zu befriedende Zerstörung und Gewalt an so vielen Orten der Erde sind ein Indiz dafür, dass auch im Inneren des noch ruhigen Westens etwas schief läuft.

Die beiden Welten sind "unvermischt und ungetrennt", um die christologische Formel zu benutzen. Das drückt auch das tibetanische Totenbuch aus. "Ungetrennt" heißt: es handelt sich nicht um Parallelwelten, sondern die "Territorien" und Wesen der beiden Welten sind die gleichen. "Unvermischt" bedeutet, dass kein Teilchen der einen Welt identisch sein kann mit einem Teilchen der anderen Welt: der Übergang von der Alltagswelt zur wahren Wirklichkeit bedeutet eine Transformation. Wie geschieht sie? Die buddhistische Antwort ist eher methodischer Art. Die christliche weist auf die Bedeutung dessen hin, was geschehen muss: etwas im Menschen muss sterben, damit Neues entsteht. Damit ist nicht nur das Sterben am Ende des Lebens gemeint, sondern alle Tode im Leben, die gestorben werden, wenn man sich seinem Leben und seiner Wahrheit stellt. Das ist der Weg, den der Ashram Jesu zu gehen versucht.

Mit diesen ernsten Gedanken entlasse ich Euch nach den Ferien in den Alltag, hoffend Euch zu unterstützen, ihn zu bewältigen.

Zurück zur Übersicht

 

Petra Maria Hothum SND, Juli 2014

Wir sind hier nicht bei WÜNSCH DIR WAS, sondern bei SO ISSES!

"Wir sind hier nicht bei WÜNSCH DIR WAS, sondern bei SO ISSES!"

In diesem kurzen, eindrücklichen Slogan hatte ein Teilnehmer unserer Ausbildung im vergangenen Jahr beim Ashram-Jubiläum zusammengefasst, worum es hier im Ashram Jesu geht. Ein kleines Plakat mit diesen Spruch, das er entworfen hatte, hat seither seinen Platz in einem Winkel unseres Essraumes, und immer wieder werden Gäste des Ashram darauf aufmerksam. Interessant ist, welch unterschiedliche Reaktionen der Spruch hervorruft: Sie reichen von Erstaunen über Abwehr, Unverständnis, ja sogar Ärger bis hin zum Empfinden von Ermutigung, Freude, ja Faszination. Besonders eindrücklich war für mich die Reaktion einer Frau, die vor kurzem einen unserer Kurse besucht hat. Sie erzählte mir, dass sie auf einem Foto im Internet den Spruch entdeckt hatte und dies den letzten Ausschlag dafür gegeben habe, endlich einmal in den Ashram zu kommen. Sie folgte ihrem spontanen Impuls: "Da muss ich unbedingt hin!"

Wie kommt es zu einer solchen Reaktion? Was ist so einladend an diesem "SO ISSES", dass man sich deshalb tatsächlich auf den Weg macht? Immerhin ist ja das, was ist, vielfach gar nicht so erstrebenswert, außergewöhnlich oder erhebend – oft genug vielleicht sogar das Gegenteil davon! Warum also unbedingt hin zu einer Lebensschule, in der das Lernprogramm v.a. darin besteht, bei sich einzukehren, auszuhalten und in der Wahrnehmung der eigenen Wirklichkeit zu verweilen?

Ich glaube, dieses "SO ISSES" rührt an eine tiefe Sehnsucht in uns, der Mensch sein zu dürfen und zu können, der man in Wahrheit ist, aus seinem Inneren zu leben und zu handeln, im Kontakt zu sein mit sich selbst und der Wirklichkeit, wie sie ist.

Nur zu gut kennen wir jedoch die "WÜNSCH DIR WAS"-Antreiber in uns und um uns, die auf unterschiedlichste Weisen zu immer mehr und spektakulärerem Haben-, Erleben-, Erreichen-, Verhindern-Müssen animieren. Der Druck dieser Antreiber – nicht selten unbemerkt von uns – kann enorm und unersättlich sein. Zwar können wir unter dem Einfluss dieses Regimes durchaus Momente kurzfristiger Befriedigung und punktuellen Wohlbefindens erleben, doch bleiben wir auf lange Sicht unerfüllt und mit dem Verlangen nach immer noch mehr zurück. Um dem nachzukommen, funktionieren und re-agieren wir, erfüllen an uns gestellte Erwartungen, spielen unsere Rollen, drücken Knöpfe oder ziehen Fäden – und verlieren dabei immer mehr den Menschen aus dem Blick, der wir selber wirklich sind.

Der Weg aus dieser Dynamik führt über das Innehalten und das geduldige Verweilen bei dem, was man jeweils von sich selbst spürt. In diesem Aushalten bei sich selbst kann man bemerken, wie es einem wirklich geht, was einen beschäftigt und antreibt, wohin die eigene Sehnsucht geht. Und im liebevollen Daseinlassen dessen, was ist – gleich ob angenehm oder unangenehm, willkommen oder störend – kann sich langsam etwas klären und vielleicht ein nächster Schritt zeigen.

Solches Innehalten und Bei-Sich-Verweilen ist sicher immer wieder auch schmerzlich und eine Herausforderung. Aber letztlich ist es immer wieder wohltuend, stärkend und befreiend, Kontakt zum eigenen Inneren zu finden und sich je neu seinem "SO ISSES!" zu stellen.

In diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen einen wohltuenden, erholsamen Sommer, der neben manchen äußeren Erlebnissen und Reisen auch Zeiten der inneren Einkehr mit sich bringt.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Juni 2014

Pfingsten, Unterstützer*innentreffen

Impuls zu Pfingsten

Pfingsten, "das liebliche Fest", gefeiert zu einer Zeit, da in der Natur die Blüten zur Frucht werden, ist das Tor, durch das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu für uns fruchtbar werden können. Der Geist, den Jesus atmet, geht nun auf die Jünger über. Gottes Heiliger Geist wird nun zu ihrem Atem, "in dem sie leben, sich bewegen und sind". Möglich wird dieser "Geistransfer" durch ihr Mitleben mit Jesus und durch die Schule, in die sie sich von ihm nehmen ließen. Vor allem aber werden die Jünger für Gottes Geist empfänglich durch ihre Passion anlässlich der Passion Jesu: sie sitzen da, eingesperrt in Angst und Scheitern, da sie ihn auf seinem Kreuzweg und bei seinem Sterben alleine ließen, ihn, den Geliebten.

Doch in der Mitte ihrer Nacht entsteht eine Bewegung.

Frieden breitet sich aus. Ein Friede, der begangene Fehler nicht ungeschehen macht, sondern alles Geschehene, ja das ganze Leben unterfasst. Ein Friede, der Frucht der zu Ende durchlittenen Verbindung von Unglück und Schuld ist, die das eigene Leben traf. Sie erkennen ihn als Frieden des Herrn (Gottes). In ihm sind sie gesandt zum Dienst der Versöhnung: derselben Versöhnung, die gerade an ihnen geschieht. Nun werden sie den Geist dieses Friedens atmen. Andere, die dafür bereit sind, werden darin ebenfalls Versöhnung und Heimat finden.

Was für eine Botschaft! Was für eine Möglichkeit wird hier eröffnet. So viele sind es in unserer Zeit, die ohne Heimat, ohne Ort, an den sie gehören, innerlich zerissen leben müssen. Der Alltag gewinnt auf Grund dieser Botschaft eine neue Ausrichtung, die sich allmählich gegen die ökonomischen und gesellschaftlichen Notwendigkeiten behauptet. Durch sie wird das profane Leben in persönliche Heilsgeschichte verwandelt, zum Ort, an dem Gottes Geist am Werk ist und Frieden und Beheimatung schafft. Dass dieser Geist Euch mehr und mehr erfüllt, dass Ihr für ihn empfänglich werdet, das ist in diesen Pfingsttagen meine Bitte für Euch.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2014

Berufsbegleitende Auszeit

Nächstes Jahr bieten wir eine "Berufsbegleitende Auszeit" an. Manche werden verwundert feststellen, dass dies doch ein Widerspruch in sich selbst ist. Nicht ganz. Die Wirkungen der besten und längsten Auszeit werden relativ schnell vom Alltag kassiert, wenn nicht gelernt wird, diesen Alltag selbst anders zu gestalten. Dies ist aber nicht leicht, da wir mit vielen Fesseln sozusagen in ihn hineingebunden sind. Neben den Notwendigkeiten gibt es die Gewohnheiten, die Erwartungen der Mitwelt, die eigenen Vorstellungen usw.

Um diesen Gegebenheiten Rechnung zu tragen, hat unsere "Berufsbegleitende Auszeit" folgenden Aufbau:

Sie beginnt mit einer 10-tägigen Grundübung (15. – 25. Januar 2015) und gestaltet sich dann im Wechsel von normalem Alltag zu Hause und diesen unterbrechenden vierteljährlichen Übungseinheiten hier, im Ashram. Diese verlängerten Wochenenden dienen vor allem der Implementierung derjenigen Veränderungen in den Alltag, die einem im Januar bewusst geworden sind.

Über dieses Angebot hinaus ist es möglich, die Intensivzeit im Januar individuell auf den ganzen Monat auszudehnen. Wer das möchte, beginnt mit dem Kurs "Das neue Jahr in Stille beginnen" am 1. Januar und hält sich vor und nach der Auszeit-Grundübung als Gast im Ashram auf. Das ist bis maximal 31. Januar möglich. Vielleicht finden einige Geschmack an dieser Auszeit, die merken, dass sie dem Druck der Alltagswelt etwas entgegensetzen müssen, um sich nicht zu verlieren, und die die Sehnsucht haben, in die eigene Tiefe zu graben, um sich neu auszurichten und authentischer leben zu können.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, April 2014

Ostern

Eine große Schwierigkeit, die sich dem Glauben an Ostern entgegenstellt, ja überhaupt dem christlichen Glauben, ist unser modernes Realitätsbewusstsein. Danach ist Realität "nur", was objektiv ist, am besten immer wieder herstellbar und beobachtbar. Mit der Aufklärung setzten Bemühungen ein, die Auferstehung Jesu als objektives, historisches Ereignis zu rekonstruieren und zu ergründen, ob das Grab tatsächlich leer war. Überzeugend finde ich sie nicht, sie können es auch kaum sein. Wie soll eine Auferstehung, die nicht Rückkehr ins irdische Lebens ist, auch nicht ein bisschen, eine historische Tatsache sein können? Zugegeben: auch ich finde es nicht so leicht, sich damit abzufinden, dass die Auferstehung keine historisch-objektive Tatsache ist.

Nehmen wir aber mal an, es sei so. Jesus ist gestorben und begraben worden. Was weiter mit ihm geschieht oder nicht geschieht, klammern wir zunächst einmal ein. Was bleibt dann übrig von Ostern? Übrig bleibt eine geistliche Erfahrung der Jünger. Spirituelle Erfahrungen gibt es unterschiedlichster Art. Diese hier aber ist speziell: Sie macht aus einer sich auflösenden Gruppe ängstlicher, enttäuschter Jünger mutige Bekenner. Sie hat folgende Charakteristika:

Spirituelle Erfahrungen dieser Art machen Menschen durch die ganze Geschichte, über den ganzen Erdball, wenn sie bereit sind, sich auch den "tödlichen" Wirklichkeiten ihres Lebens zu stellen, ihre Vorstellungen dabei loslassen und annehmen, was ist. Wie die Jünger, erfahren sie an sich selbst, wovon Jesus gesprochen hat: die Nähe des Reiches Gottes, ein Angeld ewigen Lebens, einen Zugang zu Gott, die Hoffnung, im Tod nicht unterzugehen. Kurz: Auferstehung. Im Ernst: ist das nicht genug, um leben und sterben zu können?

Offen bleibt jetzt nur das persönliche Schicksal des gekreuzigten Jesus. Hier kommt das Besondere der spirituellen Erfahrung der Auferstehungszeugen Jesu zum Tragen. Ihnen widerfährt eine besondere Auferstehungserfahrung. Sie ist sowohl zeitlich als auch auf einen bestimmten Personenkreis begrenzt (1 Kor 15, 5-8) mit dem inhaltlichen Kern "Gott hat ihn (Jesus) von den Toten erweckt" (Röm 10,9). Wenn schon die Jünger Jesu Auferstehung erfahren, sollte dann nicht der Protagonist auf diesem Weg, Jesus, erst recht in das Leben Gottes eingegangen sein? Dies zu glauben, fällt mir nun nicht mehr so schwer, und das wünsche ich auch Euch.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2014

Notwendigkeit des Gebets

Wenn die Beschäftigung mit der Heiligen Schrift beim Imperativ endet, genügt es nicht. Es ist zwar gut, immer wieder daran erinnert zu werden, z.B. sich zu versöhnen, barmherzig auch gegenüber den Gegnern zu sein usw. Auch ist es notwendig, diese Imperative immer wieder zu hören, wo doch so viele Botschaften um unser Gehör ringen. Aber das allein genügt nicht. Im Getriebe des Alltags ist solch ein Appell schnell vergessen. Woher sollen außerdem die Kraft und der Sinn zur Selbstüberwindung kommen? 
Das Gebet ist es, das nötig ist – irgendwie in der Form, wie es im Ashram Jesu praktiziert wird: als Verweilen bei dem, was man je jetzt von sich selbst spürt, von seinem Körper, seinen Gefühlen, seinen inneren Empfindungen, von seiner momentanen geistigen Haltung. Bei solchem Gewahrwerden kommt der Beter in Kontakt mit sich selbst, wie er gerade ist, und erfährt Annahme. Das entlastet und lässt aufatmen. Im Durchleben der inneren Bewegungen klären sich diese und können unterschieden werden. Die komplexe äußere Situation und die eigenen Möglichkeiten werden deutlicher. Ihm tut sich die Wahl auf, zu welchem Menschen er sich nun bestimmen und wie er sich also verhalten will. Wer innehält, gewinnt dadurch Freiheit gegenüber den Mächten des blinden So-und-So-Reagieren -Müssens. Und er spürt die Kraft, die ihm aus der Tiefe zufließt. Denn das Durchleben der Stunden, gleich ob gut oder böse, führt schließlich zu dem "Brunnenpunkt, an dem alle Stunden aus Gott hervorgehen." (Delp).

Das gilt für den Christen, aber das gilt für jeden Menschen, der nicht einfach vom Regime dessen, was in der Luft liegt an Meinungen und Trends, bestimmt werden will, sondern sein Leben selbst gestalten möchte. In dieser Weise innezuhalten ist auch dem möglich, der nicht an Gott glaubt.

Weil dieses Innehalten so wichtig ist für das Gelingen des eigenen Lebens, möchte ich es Euch wieder für die Fastenzeit ans Herz legen. Sollte nicht doch im Alltag ein Winkel zu entdecken sein, in dem die Schlagzahl des Lebens verlangsamt und die eigene Person besucht werden kann?

Entlastend und klärend wirkt auch ein Gespräch, in dem man sich selbst zum Thema machen kann und Resonanz erfährt. Vielleicht wäre dies eine weitere Möglichkeit des "Fastenprogramms" bis Ostern? Wie könnte es wohl tun, vor einem annehmenden Zuhörer /einer annehmenden Zuhörerin einmal ausbreiten zu können, womit man sich herumschlägt und abquält, was einen belastet und mürbe macht. Wenn diese Vorstellung Raum gewinnen darf, dann werden auch mögliche Gesprächspartner*innen einfallen und der heilsame Ruck sich einstellen, der dazu nötig ist.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2013

Weihnachten

Ein weihnachtlicher Gedanke zur Betrachtung
 
Wenn ich die Unruhen all überall auf der Welt verfolge, bin ich froh, in einem Land wie Deutschland leben zu dürfen. Und doch beunruhigt mich unsere Lebensweise.

Machen unsere Errungenschaften, unsere Weise zu leben, zu arbeiten uns menschlicher?

Wird der Preis nicht immer höher, den wir für "mehr vom selben" zahlen?

Glück für uns, die Nachkriegsgeneration; Glück für uns, die wir früh mit der Ausbeutung der Erde begonnen haben, Pech für die andern, die zu spät kommen?

Zur Zeit des Noach "aßen und tranken und heirateten [die Menschen] bis zu dem Tag, an dem Noach in die Arche ging; dann kam die Flut und vernichtete alle." (Lk 17,27). Wie wir tun auch die hier beschriebenen Menschen nichts Böses. Sie sind beschäftigt mit dem, was an der Oberfläche liegt; was die Zeit, die Moden, die herrschenden Kräfte halt nahe legen. So sieht es auch bei uns aus. Und so wird es zur Stunde der Geburt Jesu ebenfalls gewesen sein: letztlich beherrschen Gier und Vermeidung die Welt. Doch es geht auch anders: Einige sind in der Nacht draußen auf dem Feld und wachen. So Noach, so die Hirten, …

Draußen auf dem Feld gibt es nichts, was begehrt werden könnte; da ist nichts, was ablenkt.

Draußen auf dem Feld muss man die Nächte seines Lebens durchwachen.

Draußen auf dem Feld muss man die schweren Stunden, die Krisen, die Einsamkeit, die Unruhe, die Erschöpfung und was sonst einem gerade aufgegeben ist, durchleben.

Die in der Nacht draußen auf dem Feld wachen, die – und nur sie – werden, damals wie heute, der Engel gewahr, die ihnen die Anwesenheit Gottes als neuen Anfang zeigen; und sie – und nur sie – werden seinen Frieden verspüren, der alles Verstehen übersteigt (Phil 4,7).

Draußen auf dem Feld – das ist weniger ein Ort als eine Lebens-Haltung. Es ist eine Haltung des Vertrauens und der Hingabe. Petra Maria und ich wünschen Euch von Herzen, dass diese Haltung in Euch wachsen kann, und dass Ihr die wahre Freude und den wahren Frieden erfahrt.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, November 2013

Innehalten im Advent

„Eigentlich” lädt die Adventszeit zu Besinnlichkeit ein: die lange Dunkelheit; das Jahr, das zu Ende geht; die verheißungsvollen Texte des Advents, –z.B. von den Schwertern, die zu Pflugscharen umgeschmiedet werden (Jes 2, 4) oder vom abgestorbenen Baumstumpf, aus dem ein neuer Trieb sprosst, und dann wohnt der Wolf beim Lamm, Kalb und Löwe weiden zusammen, – gehütet von einem kleinen Knaben (Jes 11,1.6). Und die Tannen, die grün sind und still und duften… . Wie das Jahr, so geht das Leben dahin – zugebracht womit? Ist tatsächlich alles, um dessentwillen wir rennen, das Rennen wert?

Lassen wir uns doch einladen, inne zu halten im Advent; sich täglich eine kleine Zeit zu nehmen, die nur einem selbst gehört und in der man den Menschen besucht, der ich bin, – so wie man einen lieben Freund oder eine liebe Freundin besuchen würde. In dieser Zeit höre ich mir ein wenig zu: spüre heraus, wie es mir geht, wie ich mich fühle, was mein Körper mir sagt, was ich möchte und was nicht. Ich verweile ein wenig bei mir, bei dem, was ich jeweils merke. Darüber nachdenken brauche ich nicht in dieser täglichen Viertelstunde. …

Wie kann ich das tun? Ich könnte dazu in eine Kirche gehen, ich könnte einen sehr langsamen Spaziergang durch einen Park  in der Dämmerung machen oder, nicht so leicht, im Zug bei mir einkehren. Oder gibt es eventuell zu Hause eine Zeit und einen Sessel, wo ich allein und ungestört sein kann? …

Vielleicht will der/die Besuchte erst gar nicht öffnen. Er/Sie fürchtet, gestört zu werden. Oder, wenn ich mich doch empfange, bin ich kaum da und renne unruhig hin und her. Doch das verändert sich, wenn ich, der Besucher meiner selbst, einen Blick der Liebe und Annahme auf mich richte, gleich, wie ich mich vorfinde.…

Im Ernst: wenn ich selbst mir kaum begegnen kann, wie soll es jemand anderes können? Wie kann mir dann Weihnachten werden?

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2013

Grundübungen

Im Ashram Jesu geht es darum, einen spirituellen Weg zu gehen und ihn mit Menschen, die dafür offen sind, Christen und Nicht-Christen, zu teilen. Die Grundübungen sind dabei das Hauptinstrument. Sie helfen zu erkennen, worauf man das eigene Leben tatsächlich gegründet hat. Diese Gründe sind zwar verborgen, doch liefert, was ein Mensch jeweils mitbringt an aktuellen Lebenserfahrungen, Fragestellungen, inneren und äußeren Ereignissen, einen Zugangsweg zu ihnen. Dabei kommt der achtsamen, gelassenen und liebevollen Atmosphäre im Ashram Jesu besondere Bedeutung zu.

Die Achtsamkeit bezieht sich vor allem auf die eigene Person, auch auf ihren Leib. Gewöhnlich wird die Person lediglich "benutzt": der Leib, um das Selbst von hier nach dort zu tragen; die Hände, um Knöpfe zu drücken; der Kopf, um zu analysieren; und das Selbst, um zu funktionieren. Im Ashram übt man stattdessen, sein Selbst um seiner selbst willen wahrzunehmen: was es beschäftigt und was sich in ihm innerlich bewegt, um so sich selbst liebevoll nahe zu kommen – so wie man einem Geliebten nahekommen und bei ihm verweilen möchte. Langsam gibt die eigene innere Wirklichkeit den Blick in die Gründe frei, die das tägliche Leben und Verhalten aus dem Verborgenen bestimmen, – wenn man gelassen bleibt. Gelassensein bedeutet, dasein zu lassen, was da ist, auch dann, wenn dies Daseiende unangenehm und ent-täuschend ist und den eigenen Erwartungen und Wünschen nicht entspricht.

Kann der Übende diese seine (enttäuschende) Wahrheit anerkennen, so wird Wandlung möglich: er kann die Wahrnehmung seiner inneren Wirklichkeit an dieser überprüfen durch einen zweiten Blick. Ebenso kann er die Interpretation überprüfen, die er seiner Wahrnehmung gibt. Auf diese Weise kann er frei werden von alten, verzerrenden Mustern. Das bislang Vermiedene, das hinter seinen "falschen" Gründen steckt und ihn dazu antrieb, beginnt, sich in sein Seelenleben zu integrieren. Noch wichtiger aber ist, was dabei "nebenher" und gratis geschieht: eine innerliche Berührung, die "ewiges Leben" vermittelt; Anhauch eines Nichts, das die Flamme reiner Liebe nährt. Davon kommen Würde und Freiheit und eine unbedingte Bejahung. Zu Beginn des spirituellen Weges verspürt man nur einen Trost und eine Sehnsucht. In dieser Erfahrung liegt der Keim einer anderen Erfüllung als der, die unsere Kultur propagiert, und eines anderen Lebens als dem, das aus Arbeit und Spass besteht. Doch im Alltag werden dieser Keim und die Sehnsucht durch Vielerlei und Oberflächlichkeit oft erstickt. Wer also auf dem Weg bleiben will, dem ist es eine große Hilfe, sich täglich und monatlich eine Zeit des Innehaltens und jährlich eine Zeit des Tiefergrabens zu reservieren. Auf diese Weise bereitet er sich, nicht nur Trost zu erfahren, sondern auch den zu erkennen, der den Trost spendet.

Deshalb sind also Grundübungen stets aktuell. Ich möchte Sie/Euch dazu einladen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, März 2013

Liebe, nicht Disziplin

Im letzten Newsletter habe ich eine "kleine" Übung für die Fastenzeit vorgeschlagen. Ich hoffe, dass diejenigen, die sie ausprobiert haben, etwas von ihrer wohltuenden, zentrierenden Wirkung erfahren haben. Und ich hoffe und wünsche ihnen, dass Sie sie bis Ostern weiterführen können, vielleicht sogar darüber hinaus.

Letztlich ist sie nicht mit Disziplin aufrecht zu erhalten, sondern mit Liebe. Liebe gegenüber dem Menschen, der je ich selber bin. So wird sie zu einer Verlängerung der Liebe und Gutheißung des Schöpfers gegenüber mir, seinem Geschöpf – "und siehe, es war sehr gut!" Sie ist Annahme dieser Liebe, die besteht, auch wenn der Übende sich dabei in Weh und Ach und Enttäuschung vorfindet, krank und schwach, wie manche von Euch es in den letzten Wochen vielleicht tatsächlich gewesen sind. Auf solchen trüben Wegen des Lebens ist der Übende herausgefordert, der Bejahung durch Gott zu vertrauen – sogar blind, wenn die Stimmung düster ist. Weiter auf diesem Weg wird man selbst zum Liebenden, d.h. zum Annehmenden, zum Bejahenden. Denn die Liebe ist nicht zuerst eine Sache des guten Willens; den braucht man auch, um übernommene Aufgaben zu erfüllen. Sie ist auch nicht zuerst Sache des anderen, der liebenswert erscheinen muss, um sich ihm liebend zuwenden zu können: denn oft erscheint er dem Betrachter nicht so. Quelle der Liebe ist die Annahme, die der Übende erfährt und die ihm selbst gilt – gerade dann, wenn er sich auch in düsteren Stunden so dasein lässt, wie er sich wahrnimmt.

Da beim Weitergehen auf diesem Übungsweg manche Hindernisse begegnen, ist Unterstützung nötig. Helfen kann das Gespräch mit einer Person, die ebenfalls auf diese Weise unterwegs ist. Helfen kann auch ein Kurs im Ashram Jesu. Unsere Kurse, besonders die Grundübungen, lassen einen achtsamen, gelassenen, liebevollen Umgang mit sich, den anderen, der Erde erfahren. Unsere Ausbildung "achtsam, gelassen, liebevoll", die gerade läuft, dient dazu, regionale Gruppen aufbauen zu können, in denen Gleichgesinnte miteinander üben und sich unterstützen. Ferner beschäftigt mich die Idee, über diesen Kreis hinaus Menschen miteinander zu verbinden, die die Reise des Verweilens beim Inneren, des Gebets, im Alltag unternehmen wollen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Februar 2013

Innehalten im Alltag

Die Fastenzeit hat begonnen. Vielleicht kann ich demjenigen noch eine Idee liefern, der nach einem "guten Vorsatz" für diese Zeit sucht oder mit seinem bisherigen nicht ganz zufrieden ist.
Meine Idee hat vor allem mit Selbstliebe zu tun und lautet:

Im Alltag innehalten und
bei sich selbst verweilen.

Ich halte dies für lebensnotwendig für jeden Menschen, der bei sich selbst ankommen und ein selbstbestimmtes Leben führen will. Denn nur so wird er der Kraftfelder bewusst, in denen er steht, und vorstoßen zu dem, was er – oder vielleicht sogar Gott von ihm – hier und jetzt will. Ich werde auf dieses Anliegen sicherlich noch öfter in diesem Jahr zu sprechen kommen und gehe jetzt gleich zur Praxis über, die in drei Schritten besteht:

Erster Schritt: Unterbrechen. Für zehn, zwanzig Minuten, eine halbe Stunde am Tag einmal aufhören damit, zu funktionieren, zu benutzen, im Hamsterrad zu laufen, sich abzulenken, zu zerstreuen, sich mit anderen und anderem zu beschäftigen… und statt dessen sich dem Menschen zuwenden, der je ich selber bin.
Dazu sollte man sich einen Ort suchen, wo man Ruhe hat: auf dem Sofa zu Hause, bei einem langsamen Spaziergang, notfalls auch im Zug, in einer Kirche am Weg; morgens, bevor der Betrieb losgeht, oder abends, wenn es wieder still wird.

Zweiter Schritt: Sich selbst nachspüren. Mit folgendem Interesse:

Wie gesagt: nachspüren, wahrnehmen, nicht nachdenken, nicht überlegen.


Dritter Schritt: Verweilen in der Wahrnehmung. Üblich ist, wenn man etwas von sich merkt, sehr schnell das Wahrnehmen zu verlassen und zum Denken überzugehen, also die Tätigkeit zu wechseln – weil man unwillkürlich über das Wahrgenommene nachdenkt, auf Abhilfe sinnt, sich etwas vornimmt. Doch bei unserer Übung hier geht es darum, in der Wahrnehmung zu verweilen, sie zu halten. Mit anderen Worten: das Wahrgenommene dasein zu lassen, es anzunehmen – und zwar ganz gleich, ob es angenehm oder unangenehm, freudig oder beängstigend, passend oder unpassend ist. Wie auch immer: es ist. Und ich erlaube dem, was ist, zu sein… . Die Denk- und Handlungsimpulse sind erst im Anschluss an die Übung dran.

Daher empfiehlt es sich vor Beginn, die Dauer der Übung festzulegen und für diese Dauer bei dem auszuhalten, was ist. Aushalten kann man auch dabei, dass man nichts von sich wahrnehmen kann, beim Umherspringen der Aufmerksamkeit, bei der Unruhe, beim Atem usw.

Euch und Ihnen allen einen guten Start in die Fastenzeit.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Oktober 2012

Grund-Übungen

Die Grund-Übungen sind nach wie vor das Hauptangebot des Ashram Jesu. Wer auf Aufbau-Übungen wartet, wird weiterhin vergeblich warten.

Denn mit Grundübungen meinen wir, dass der Grund bearbeitet wird, aus dem das eigene Leben herauswächst. Er wird gejätet, gelockert, gedüngt, damit das Leben mehr erblühen kann. Diese Blüte trägt Früchte wie bessere Beziehungsfähigkeit, mehr Selbstkontakt, mehr Freiheit, mehr Klarheit, mehr Selbststand, vielleicht auch mehr Gesundheit.

Doch trägt diese Blüte auch Früchte die über den innerweltlichen Erfahrungshorizont hinaus gehen. An den Grenzen nämlich, die im Bearbeiten des Grundes erfahren werden, erwacht der Übende zur wahren Wirklichkeit. Sie lässt als ihre Quelle, aus der sie hervorquillt, eine Liebe und ein Glück erahnen, ein "unendliches Glück, das die Sinne übersteigt." (Bhagavadgita VI,21).

Darum also "Grundübungen".

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, pril 2012

Gemeinschaft im Ashram

Mir ist in den letzten Wochen in Grundübungen und Ashramtagen klarer geworden, wie wichtig Ihr für uns seid, Ihr, die Ihr in den Ashram kommt. Natürlich "braucht" Ihr auch uns, die diesen "kraftvollen Ort" – wie kürzlich jemand den Ashram nannte – halten.

Aber dass dies sinnvoll und wertvoll ist, erfahren wir besonders, wenn Menschen sich im Ashram aufhalten, miteinander meditieren, sich mitteilen, miteinander leben: dann entfaltet sich die Kraft des Ortes in besonderer Weise; dann hält und stärkt man sich gegenseitig; dann tritt jene reine Gegenwärtigkeit deutlicher in Erfahrung, die sonst im Herzen aller Dinge verborgen ist.

Dann spüren auch wir hier unmittelbar, dass unser Einsatz nicht nur unsere Privatsache ist, sondern dass sich im Rahmen des Ashram Gott mitteilt, – Menschen Heil erfahren, ja dass hier "Kirche geheilt wird", wie eine Teilnehmerin sagte.

Da dieses Miteinander so bedeutsam ist, ist es uns ein Anliegen, möglichst bald regionale Ashramgruppen zu bilden. Dem dient auch unsere Ausbildung, für die Ihr Euch noch bis Ende Mai bewerben könnt.

Immer wieder stelle ich fest, dass es bezüglich der Stille eine Ambivalenz gibt: einerseits fühlt man sich hinterher gestärkt, zentriert, gereinigt: es hat gut getan. Also, mehr davon! Und zugleich gibt es eine Scheu, ja eine Sorge: womit werde ich konfrontiert; wieviel Kraft und Überwindung wird mich das Stand halten wieder kosten? Es ist seelische Arbeit zu verrichten. Wäre nicht Wellness besser oder ein paar Tage Urlaub, Abhängen, Vergessen? Diese Ambivalenz ist verständlich. Und es ist die Gemeinschaft, in der ihr Stand gehalten werden kann.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Februar 2012

Winter im Ashram

Im Winter ist es im Ashram Jesu besonders still. Die Arbeit auf den Äckern und Feldern ruht. Die Natur schläft. Das Leben zieht sich nach Innen.
So ist es auch mit der Meditation: Denken und Empfinden kommen zur Ruhe. Der Geist zieht sich nach Innen und wacht – und empfängt Liebe und Leben.

In diesem Jahr lesen wir wieder einmal aus der Bhagavadgita, dem Gesang des Erhabenen, dieser sehr populären Schrift des Hinduismus. Im VI. Gesang fand ich den Vers, wo der Andächtige "wie eine am windstillen Ort befindliche Lampe nicht flackert, durch das Selbst das Selbst schauend am Selbst sich freut – wo man das unendliche Glück kennt, das nur der Vernunft fassbar ist, die Sinne aber übersteigt…"

Eine Ahnung dieses unendlichen Glücks wünsche ich Euch.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, November 2011

Lassen braucht Muße

Unter den Faktoren, von denen das "Gelingen" eines Kurses abhängt, ist sicherlich von Bedeutung, wieviel der Begleiter seinerseits zulassen kann, ohne unter Druck zu geraten, was er verkraften kann, ohne sich abwenden zu müssen, wie sehr er sich selbst lassen kann.

Wir haben das Gefühl, dass sich um den Ashram herum langsam eine Gemeinschaft von Menschen bildet, die mit uns die Perle entdecken, die er in sich birgt, die hier ihre spirituelle Heimat finden und ihren Alltag entsprechend gestalten möchten. Diese Resonanz gibt unserem Leben im Ashram und unserer Arbeit Rückhalt.

Den "Alltag entsprechend gestalten": kontemplatives Leben erfordert Muße. Die Wirklichkeit an sich heranlassen, ihrer Wirkungen auf das Innere gewahr werden und ihnen nachspüren, das braucht in der Tat Muße. Aber der Alltag birgt auch vielerlei Kräfte, die einen, gleich Ungeheuern, aus dem ruhigen Gewahrsein bringen und in ihren unguten Bann ziehen. Sie können allerdings nur wirken, weil sie einen Ansatzpunkt an der eigenen Person finden; eine Stelle, wo man für sie empfänglich ist. So führen sie einen dankenswerter Weise an die eigenen wunden Stellen.

Auch wenn wir öfters hören, man lebe im Ashram eingetaucht ins Sein, gilt diese Alltagsdynamik hier wie dort. Im Sommer ging es mir so, dass ich dachte: "Ich habe mich jetzt hier eingerichtet. Doch habe ich Gott nicht verloren?" Wie oft kehrt meine Sehnsucht an den Mauern der Bequemlichkeit um, wird sie getötet von der Flucht in die, ach so wichtige!, Betriebsamkeit des Alltags. Ich merkte das und wollte oder konnte mich doch nicht daraus befreien. "The show must go on!", band mich. Ab Ende August ging es mir gesundheitlich nicht gut. Konsolidierung und Routine ade! Zur Abklärung musste ich ins Krankenhaus. Ich musste inne halten. Und ich konnte mich stellen. Da zerbrach die Wand. Wieviele Lektionen werde ich noch brauchen, um zu lernen: wer mit Gott leben will, der muss sich entäußern: loslassen, was ihm je zum Äußeren wird; "nicht anhaften"(Bhagavadgita).
 

BITTE

Wir werden eingetaucht
und mit dem Wasser der Sintflut gewaschen,
wir werden durchnäßt
bis auf die Herzhaut.

Der Wunsch nach der Landschaft
diesseits der Tränengrenze
taugt nicht,
der Wunsch, den Blütenfrühling zu halten,
der Wunsch, verschont zu bleiben,
taugt nicht.

Es taugt die Bitte,
daß bei Sonnenaufgang die Taube
den Zweig vom Ölbaum bringe.
Daß die Frucht so bunt wie die Blüte sei,
daß noch die Blätter der Rose am Boden
eine leuchtende Krone bilden.

Und daß wir aus der Flut,
daß wir aus der Löwengrube und dem feurigen Ofen
immer versehrter und immer heiler
stets von neuem
zu uns selbst
entlassen werden.

— Hilde Domin

"Daß wir … immer versehrter und immer heiler … zu uns selbst entlassen werden." Nichts ist tödlicher als siegen, als Besitzstände wahren, als fortschreiten. Niederlage, meine Freundin, Verlust, mein Helfer – steht ihr mir auch im nächsten Jahr bei – auch wenn ich euch nicht willkommen heiße?

Euch/Ihnen alle eine Adventszeit mit Muße, ein fröhliches Weihnachtsfest und ein gesegnetes Neues Jahr.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2010

Die wahre Herausforderung im Leben

In diesen Tagen des Advent möchte ich mich an Sie wenden und Ihnen eine gnadenreiche Weihnachtszeit und ein gesegnetes Neues Jahr wünschen.

Hier, im Ashram, haben Sr. Petra Maria und ich viel Grund zur Dankbarkeit: Wir leben ja nun ganzjährig hier und sind auf einem guten Weg, uns selbst an das Ashramleben zu gewöhnen: Stille, Achtsamkeit, Meditation, menschlich ehrliches Miteinander, Hausarbeiten und sonstige berufliche Arbeit. In der Begegnung mit unseren Gästen und Kursteilnehmer*innen haben wir viel Ermutigung erfahren. Und im Herbst hat mir mein Jesuitenoberer mitgeteilt, dass er den Ashram Jesu als "unterstützenswerten Dienst an der Kirche in bewegter Zeit" ansieht. Da die Deutsche Ordensoberenkonferenz die Trägerschaft übernehmen will, ist damit eine Zukunft des Ashram über 2011 hinaus sehr wahrscheinlich geworden.

Anlass zu noch mehr Dankbarkeit sind mir interessanterweise gerade die schwierigen Ereignisse geworden, an denen ich gekaut und mit denen ich gerungen habe: Seit 2002 habe ich mich im Übermaß bemüht, ein zukunftsweisendes und nachhaltiges Fortbildungsprogramm für das IMS [das Fortbildungsinstitut der deutschsprachigen Ordensleute und bisheriger Träger des Ashram Jesu] zu entwickeln – nun wird das IMS aufgelöst. Im Februar schien mir die wieder neu entstandene Unklarheit über die Zukunft des Ashram unerträglich zu sein – doch ich musste sie ertragen bis vor Kurzem. Da wir nun ganzjährig im Ashram leben, haben wir unsere Angebote ausgeweitet – doch es kamen weniger Menschen als zuvor. Für mich persönlich war das Jahr geprägt von Erschöpfung, Krankheit, Verlust.
Wenn ich die Situation unseres Landes und des "reichen Westens" überhaupt betrachte im Blick auf die Ressourcen, den Klimawandel, die Finanzen, auf die Art unseres Arbeitens und Zusammenlebens, scheinen mir meine kleinen Desillusionierungen geradezu paradigmatisch zu sein. Diese sehr großen Ereignisse sind ebenso desillusionierend, ernüchternd. Auch sie verlangen nach Umkehr, nach Loslassen der uns gewohnten Lebensweise. Die wirkliche Herausforderung im Leben besteht darin, die Ernüchterungen des Lebens zuzulassen und anzunehmen, ohne bitter zu werden oder zu verzweifeln. In dem Maße, wie dies gelingt, werden nach meiner Überzeugung gerade sie zum Tor zu jenem "ewigen" Leben, von dem Jesus spricht, zum Weg in das unaussprechliche Geheimnis, das wir Gott nennen, zum Zugang zu jenem unzugänglichen Licht, das sich unverfügbar uns mitteilen will.

Sr. Petra Maria und ich werden auch nächstes Jahr für Sie dasein und uns freuen, wenn Sie in den Ashram kommen. Im Rahmen unserer Kräfte und Möglichkeiten soll der Ashram ein gastfreundlicher Platz sein, an dem die Menschen Zentrierung und Vertiefung finden. In unserem Programm werden Sie immer nur wenige neue Themen finden. Hauptsächlich deswegen, weil das Thema hier der Mensch selber ist, der kommt mit dem, was er mitbringt. Darin liegt der Weg verborgen.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Mai 2008

Alternative

Mir wird klarer, dass der Ashram eine klare Alternative zu unserer Kultur der Selbstinszenierung und Subjektlosigkeit darstellt, indem er durch die Hingabe an die Wirklichkeit hier und jetzt zur Klärung führt, was Vorgegebenes ist und was echte Freiheitsspielräume sind. Diese zu gestalten bedeutet, seine Würde zu erleben.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2007

Geistlicher Tag

Wenn Du auf dem geistlichen Weg
voranschreiten willst, dann übe
eine Stunde am Tag
einen Tag im Monat,
und eine Woche im Jahr.
(Alte spirituelle Regel)

Beim Programm dieser alten spirituellen Regel ist mir persönlich der "eine Tag im Monat" immer wieder am schwersten gefallen: es ist ja so viel anderes zu tun. Anfang des Jahres habe ich für mich beschlossen: Schluss! Ich will nicht immer zuletzt kommen oder sogar hinten herunterfallen; allen und allem anderen genügen und selbst auf der Strecke bleiben. Ich habe neu angefangen, den "Geistlichen Tag" zu pflegen. Wenn es ging, mit einem Wandertag in der Natur zuvor. Am "Geistlichen Tag" habe ich dann ein paar Einheiten meditiert, geschwiegen – und festgestellt, welche Wohltat das war; wie ich wieder in Kontakt mit mir gekommen bin; wie ich neu ausgerichtet und zentriert wurde. Er kostet Überwindung, ja! Aber er wirkt wie eine Oase im Alltag.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Juli 2007

Wirksamkeit des Ashram

Immer wieder frage ich mich nach den Gründen für die hohe Wirksamkeit des Ashram. In der Medizin ist man gerade dabei, "Achtsamkeit" – ähnlich wie wir sie hier in Meditation und Körperübungen praktizieren – bei Depressionen und zum Stressabbau einzusetzen.

Dennoch glaube ich, dass die immer wieder staunenswerte Wirksamkeit des Ashram auf dem Zueinander all seiner Elemente beruht: auf der Einfachheit und Unmittelbarkeit, dem gemeinsamen Arbeiten und Meditieren, der Gruppe, dem Schweigen und der Achtsamkeit bei allem, dem Entzug von Tempo und Ablenkung.

Mir ist deutlicher geworden, dass Gruppe und Meditation sich sehr gut ergänzen: das Schweigen erlaubt und fordert, sich dem zu stellen, was die Gruppe bei einem selbst berührt hat. Man kennt das ja, dass mehr Reden manchmal zu einem Zer-Reden der inneren Befindlichkeit wird; besser hätte man seinen Schmerz oder seine Angst alleine durchgestanden und der leisen Ahnung getraut, dass darin wahrer, tragfähiger Grund und Boden für einen selbst liegt: etwas ganz und gar Kostbares, das man sich nicht rauben oder zerstören lassen darf und dem man nur alleine und im Schweigen begegnen kann.

Nicht selten sind wir auch sprachlos vor den Schicksalen, die die Menschen mitteilen, vor der Ohnmacht, nachdem sie viele Wege ausprobiert haben, um Heilung oder Erleichterung oder Sinn und Hoffnung im Leben zu finden. Und immer wieder erlebt man die Tragfähigkeit der Gruppe, oft gerade in solchen Momenten, oft in der Sprachlosigkeit.

Zurück zur Übersicht

 

Bertram Dickerhof SJ, Dezember 2006

Was im Ashram geschieht

Schweigend zusammen leben,
arbeiten, essen, meditieren und Achtsamkeit in allem üben

in einer allein liegenden Mühle am Elbbach im Westerwald

zur Ruhe kommen,
bei sich einkehren,
wahrnehmen,
zulassen,
sich hineinführen lassen,

gelassen standhalten,
ausharren,
liebevoll sein lassen;

sich in der Gruppe äußern können,
mit Spiritualität befassen;
auf biblische und Texte anderer Religionen hören;
seinen Leib erspüren,

um, weniger getrieben, bei sich selber anzukommen,
sich zu stärken und zu zentrieren,
seiner göttlichen Würde inne zu werden.

Zurück zur Übersicht

Erhältlich im Buchhandel

Ein Lese- und Übungsbuch, das die Quintessenz des Forschens und Übens des Autors enthält: eine praktische Einführung in die Meditation und ein kommentiertes Textpaar mit Hinweisen zu Methode und Grundhaltungen der Meditation für jede Woche des Jahres.

Erhältlich im Buchhandel

Der Kern des Christlichen liegt in der Verwandlung des Menschen. Auf diesem Weg ist für Bertram Dickerhof das bewusste Durchleben von Grenzsituationen entscheidend, die das Illusionäre und Selbstsüchtige des eigenen Strebens offenlegen. Wird das erkannt und angenom­men, "stirbt" das bisherige Selbstverständnis und der wahre Grund aller Wirklichkeit öffnet sich: unbedingte Liebe, eine Liebe, die einen dazu befreit, aus der Einheit mit diesem Grund zu leben und darin bleibende Erfüllung zu finden.

Erhältlich im Buchhandel

Bertram Dickerhof stellt den «Spirituellen Weg» als das Ergebnis eines mehr als 40 Jahre wäh­ren­den Selbstversuchs vor. Grundlage dieses alle Bereiche durch­dringen­den Lebens-Wegs ist ein Innehalten und Hören auf die eigene Wirklich­keit, die sich auf einen Grund hin öffnet, in dem alles verankert ist. Das so erfahrene neue Leben gilt es durch Entscheidungen und Handlungen wirklich werden zu lassen.